Draußen war es noch hell, als sie vor die Halle traten, die Wolken hatten sich verzogen und es versprach ein freundlicher Herbstnachmittag zu werden. Als sie zum Auto gingen, bemerkten sie verwundert das der Schotter unter ihren Füßen nass glänzte. Anscheinend hatte es einen kurzen Regenschauer gegeben. „Und jetzt?" Davis atmete tief durch und stemmte die Hände in die Hüften. „Essen?" Schlug sie vor. „Und dann schwimmen?" Zuerst dachte sie er scherzte doch als sie ihn ungläubig ansah, lächelte er bloß. „Um die Jahreszeit, die Schwimmhallen schließen doch gleich", bemerkte sie zweifelnd, mit einem Blick auf die Uhr. „Wer hat denn was von Schwimmhallen gesagt?" Schalk funkelte hinter seinen Augen als er hinter dem Beifahrersitz Platz nahm und den Wagen startete. „Ich kenne da einen schönen Ort."
Die Lichter der Stadt spiegelten sich in der Scheibe des Cabrios. Davis massierte sich mit einer Hand den schmerzenden Nacken, während er mit der linken geschickt durch den dichter werdenden Verkehr kurvte. Es war Feierabend und die Kleinstadt wimmelte nur so vor Leben. Sie kauften sich beide einen Döner, ehe er den Blinker setzte und wendete. „Wo fahren wir hin?" Sie zupfte mit spitzen Fingern das durchweichte Papier des Döners zur Seite. Kacey musste schreien, um die laute Musik zu übertönen die er eingelegt hatte. „Nachhause." Er gab Gas und schoss knapp über eine rote Ampel. Seine Schwester warf ihm einen ärgerlichen Blick zu und zog dann die Kapuze ihrer Jacke tiefer ins Gesicht ganz so, als wolle sie bloß nicht mit ihm erkannt werden. Er nahm die Autobahn, die in Richtung der Farm führte, doch schon nach wenigen Kilometern nahm er eine schmale Abfahrt, die in Richtung Wald mündete. Der Weg war länger und führte einmal am Fuß der Seneca Rocks vorbei, nach dem geselligen Trubel auf der Eishalle war die Natur, die ihm urplötzlich umgab wie Medizin für seine Augen. Er dachte an die ersten Ausscheidungskämpe die nächste Woche starten würden. Noch hatte Davis den Lauf nicht gewonnen, aber eigentlich war das auch unwesentlich. Er hatte eine dermaßen hohe Punktzahl in der Rangliste das er auch ohne einen erneuten Sieg in das Trainingslager für aufstrebende Talente würde fahren dürfen. Seit er fünf Jahre alt war, ging er jährlich in ein zweiwöchiges Lager, wo nur die besten liefen die jedes Jahr ausgelost wurden. Es wurde viel mit Ergotherapeuten gearbeitet, und an Feinheiten des einzelnen Läufers gefeilt. Auch mit Paarlauf hatte er es probiert, und schnell festgestellt das es nicht so sein Ding war. Er mochte es nicht sein Tempo andern anpassen zu müssen. Er verließ eine weitere Stadt, ohne auch nur einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Davis drückte den Kopf neben dem Armaturenbrett und das Stoffdach des Cabrios faltete sich zusammen und fuhr nach hinten. Der kühle Fahrtwind wehte ihm durch das dichte Haar, er warf einen kurzen Blick nach oben, ehe die gewundene Straße seine gesamte Aufmerksamkeit erforderte. Die Sonne stand tief und je weiter er Richtung der Berge fuhr, desto länger erstreckten sich die Schatten. Es sah aus, als würde flüssiges Pech langsam die Berghänge und die Waldwipfel ins Tal hinunterlaufen. Die Umrisse des massiven Bergkammes erhob sich dunkel gegen den strahlenden Himmel. Seine Schwester hatte ihren Zopf gelöst und der Fahrtwind spielte mit ihrem langen Haar. Davis passierte einige Weiden auf denen Schafe und Ziegen grasten und kam an die Ausläufer des Waldes der direkt an die Felsen angrenzte. Die Straße führte in einer leichten Anhöhe nach oben und von fern hörte er schon des Rauschen des Flusses. Kacey richtete sich ein wenig auf und sah sich um als sie die Umgebung erkannte. „Ich war seit Jahren schon nicht mehr hier, Dad ist manchmal mit uns hier langgefahren. Wir haben da unten gepicknickt." Die Straße führte nun steil aufwärts und gab nach rechts hin einen Blick auf ein breiter werdendes Flussbeet hin. Sie zeigte auf einen Parkplatz, den sie eben passiert hatten, von dem ein schmaler ausgetretener Wildpfad direkt zum Flussufer führte. „Erinnerst du dich?" Davis warf nur einen kurzen Blick nach unten und schüttelte dann den Kopf. Die Straße wurde enger und führte in steilen Kurven aufwärts. Wenn hier Gegenverkehr kam, würden sie aufpassen müssen. Er krampfte seine Finger um das Lenkrad, während der Wagen beschleunigte und um die nächste Kurve fuhr. Sie passierten ein Geschwindigkeitsschild das 60 zeigte. Die Straße war schmal genug, um das zu rechtfertigen, doch er fuhr immer noch viel zu schnell. Sie warf ihm einen Blick zu, sagte aber nichts und streckte stattdessen eine Hand aus die direkt über dem Abgrund zu schweben schien. Das Rauschen des Flusses, der nun unter ihnen war, schwoll an und vermischte sich mit den Rhythmischen Beats der Musik, die aus den Lautsprechern dröhnte. Der Potomac River erreichte an seiner breitesten Stelle 13 Kilometer und floss etwa 71km lang, quer durch das Land und an entlang der Berghänge. Das Rauschen wurde lauter und Davis wurde klar, dass er direkt an einem der zahlreichen Wasserfälle vorbeifuhr. Bald verschluckte das Tosen des Wassers sämtliche andere Geräusche und obwohl er sehr schnell fuhr und die Straße an dieser Verengung seine gesamte Konzentration erforderte, gestattete er sich einen Blick auf den Fluss der direkt zu seiner linken floss. Stromlinienförmig spalteten sich kleine Bäche davon ab und verschwanden in der andern Seite des Waldes, das Wasser schäumte und brodelte. Es war wunderschön. „Pass auf!" Schrie seine Schwester da. Davis reagierte noch im selben Moment und riss das Lenkrad so scharf nach links, dass die Räder hinten ausscherten. Es gelang ihm dem Reh auszuweichen. Nur knapp scheuerte er an den Leitplanken vorbei, und als Davis mit zitternden Händen das Lenkrad fester umgriff, war das Tier schon aus seinem Rückspiegel verschwunden. Es gelang ihm den schlingernden Wagen unter Kontrolle zu bekommen, bevor dieser links über den Abgrund stürzen konnte. Er bremste und sah nach hinten, um sicherzugehen das kein Verkehr war. Dann schaltete er in den ersten Gang runter. Seine Schwester sagte nichts. Sie hatte die Augen nur weit aufgerissen, wie eben das Reh, das den Unfall beinahe verursacht hatte. Davis kratzte sich die Nase. „Nun ja das war knapp." Er sagte es betont leichthin. Kacey stand immer noch unter Schock und starrte aschfahl nach vorne durch die Scheibe. Dann drehte sie ihren Kopf und sah den Abgrund hinunter den sie beinahe befahren hätten. Auch Davis folgte ihrem Blick. Er stellte die Musik aus und das Rauschen des Wassers, das in einen kleinen Wasserfall münden mochte, schwoll ohrenbetäubend an. Seinen Irrtum erkannte er erst verzögert. Es war gar kein Wasserfall wie er anfangs gedacht hatte, sondern Stromschellen die brodelnd über eine kleine Anhöhe stürzten. Der Unterschied betrug kaum zwei Meter und doch sah er die unfassbare Wucht, mit der das Wasser gegen die Felsen klatschte. Und Davis sah noch etwas anderes: die rot leuchtende Anzeige des Tankes. Er fluchte leise und sah seine Schwester an. „Jonathan hat doch immer einen vollen Ersatzkanister dabei, hinten im Kofferraum, ist der noch da? Wir könnten ihn gut gebrauchen." Sie nickte manisch und schien langsam zu sich zu kommen. „Du hast uns das Leben gerettet, du und deine katzenartigen Reflexe." Er nickte bescheiden und erwähnte nicht das es seine überhöhte Geschwindigkeit erst gewesen war die sie in diese Situation gebracht hatten. Als er ausstieg und zum Kofferraum ging, zitterten seine Beine wie Espenlaub und er ärgerte sich selbst darüber. Zum Glück war Kaceys Verlobter die Art von Person, die einen riesigen gut gefüllten Vorratskeller hatte und zusätzlich noch einen Bunker gegen den Weltuntergang oder so bauen würde. Davis hatte sich wegen der übermäßigen Vorsicht immer lustig gemacht, doch nach heute schwor er sich nichts mehr zu sagen. Er hätte in dieser Situation sicherlich keinen Ersatztank im Kofferraum gehabt. Tatsächlich fand er einen gut gefüllten Kanister, der auch ziemlich schwer war. Ächzend wuchtete er das unförmige Teil das zum Glück einen Trichter besaß aus dem Kofferraum und tankte den Wagen. Er schüttete noch das letzte bisschen Rest aus, und der Wagen zeigte an das er fast voll war. Er würde noch einmal zum Tanken fahren und den Kanister füllen müssen, bevor seine Schwester nachhause fuhr. Als er wieder hinter dem Steuer Platz nahm, war wieder einigermaßen die Farbe in das Gesicht seiner Schwester zurückgekehrt. „Hoffentlich ist es nicht mehr so weit bis zu deinem See. Noch einen Unfall überlebe ich nicht." „Keine Sorge wir sind bald da. Nicht mehr lange." Mit dem Kopf deutete er in eine unbestimmte Richtung Berge. Die restlichen paar Wege führen sie in gemächlicherem Tempo und genossen die Geräusche der abendlichen Natur. „Hier unten sieht man die Sonne überhaupt nicht." Sie zog die Jacke am Kragen enger. „Sobald du am See bist, wirst du sie sehen, er zeigt genau nach Westen und ist bei Sonnenuntergang wunderschön." Nach etwa einer weiteren Viertelstunde hatten sie die halbe Höhe der Seneca Rocks erreicht und das meiste an Wald hinter sich gelassen. Er parkte den Wagen auf dem geschotterten Standstreifen und sie stiegen aus. Davis zeigte seiner Schwester einen schmalen überwucherten Weg, der ein Wildpfad sein mochte. Schließlich erreichten sie die Ausläufer der Seneca Rocks. Sie mussten etwas klettern, doch das störte beide nicht. Er ließ seine Schwester in seine verschränkten Hände treten und half ihr so auf den Felsen. Die unruhige grobkörnige Textur des kalten Steins grub sich unerbittlich in seine Finger als er sich über die Kante zog und seiner Schwester weiter nach oben half. „Wahnsinn." Ihr blieb der Mund angesichts des Anblicks offenstehen.
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STARDUST - 365 Tage mit dir
Tajemnica / ThrillerEigentlich läuft in Davis Leben alles perfekt. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Eiskunstlaufkarriere, die Presse liebt ihn und Olympia scheint zum greifen nah. Wäre da nicht diese eine verhängnisvolle Partynacht bei der ein Mädchen verschwindet. Sie...