Die Tür des Diners ging auf und der Wind schien mit einem Mal den gesamten Atem auszupusten, der sich den gesamten Tag über aufgestaut hatte. Zumindest fühlte es sich so für sie an. In Wahrheit war es aber wohl nur ihr eigener Atem der keuchend aus ihrer Lunge entwich. Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch umher. Dumme Highschoolerin schimpfte sie sich innerlich, konnte aber nicht leugnen das ihre Augen vermutlich tatsächlich verräterisch glitzerten, als sie ihn erblickte. Er sah blendend aus, unerwartet elegant in der dunklen Anzughose und dem Hemd. Ganz so, als habe er eben ein geschäftliches Meeting hinter sich gehabt. „Wusste gar nicht, dass man sich als Eiskunstläufer so elegant anzieht." Grüßte sie ihn. Ihr Tonfall war zu hoch und ihre Atmung zu schnell. Sie kaschierte es mit einem leichten Husten. Er musste ja nicht gleich denken das jedes Mädchen bei seinem Anblick zerfloss. Er lachte nicht, sondern zog stattdessen leicht die dunklen Augenbrauen zusammen. „Ich fahre nicht mehr." In seiner Stimme lag ein Schmerz, der sie überraschte, vermutlich gestand er sich das selbst nicht ein. „Aber ein Kaffee trinke ich trotzdem gerne." „Jetzt? So spät abends?" Sie warf einen Blick auf die Uhr. Acht Uhr. Joeys Diner war gut gefüllt doch mit einem Mal war ihr der Trubel an den anderen Tischen egal. „Wie wäre es mit einem Wasser?" Schlug sie stattdessen vor und verdrehte innerlich die Augen. Bestimmt würde er sich gleich über sie lustig machen. Da kam auch schon ihre Retourkutsche. „Na dann danke an meine Stimme der Vernunft, ich nehme ein Wasser. Still. Nicht das die Bläschen irgendwelche wachmachenden Substanzen enthalten." Er grinste breit, während er die Hände in die Hosentaschen steckte. „Bist du nur gekommen, um einen Kaffee zu trinken und dich über mich lustig zu machen?" Sie schlug ihren Notizblock auf, um sich seine Bestellung zu notieren. Nicht dass sie sich das eine Wasser nicht auch so gemerkt hätte. „Nein. Ich wollte sehen, wie es dir geht." Sie blickte auf und begegnete seinem Blick. „Wie nett von dir." Die Rührung in ihrer Stimme war nicht gespielt. „Willst du nachher eine Runde durch den Park laufen? Ich habe gleich Feierabend. „Gerne." Er sah sich nach einem freien Platz und ließ sich darauf nieder. Olivia drückte sich an den anderen Gästen vorbei, ohne eine weitere Bestellung aufzunehmen. „Becci!" Sie hastete in die Küche wo ihre Freundin dabei war einige Salatblätter von einem großen Kopf abzurupfen. „Er ist da und wir gehen gleich eine Runde spazieren." Das doofe Grinsen wollte einfach nicht aus ihrem Gesicht, es blieb wie angeklebt und sie stellte fest, dass sie sich wirklich freute ihn zu sehen. „Oha." Rebecca kreischte üblich theatralisch auf und rannte sofort nach vorne, um durch das Bedienfenster in den Gastraum zu sehen. „Also wenn ich Louis nicht hätte..." Sie seufzte auf und wand sich dann energisch ihrer Freundin zu. „Du meine Liebe hast jetzt Feierabend. Geh und amüsiere dich." „Aber..." Prostete Oliva verlegen und hob die Arme als ihre Freundin die Schürze von ihrer Taille losband. „Nichts aber." Rebecca schob sie energisch aus der Küche. „Ich schaff das schon alleine." Diesmal protestierte Olivia nicht. Sie drückte ihrer Freundin einen Kuss auf die Wange. „Du bist die Beste." „Ich weiß und jetzt geh schon."
Davis sah erstaunt auf als sie vor ihm stand. „So schnell ist deine Schicht schon zu Ende?" Sie errötete. „Ist nicht viel los, die anderen schaffen das schon alleine. „Mmh." Er warf einen Blick auf das volle Diner und grinste wissend. Doch dann erhob er sich. „Na dann. Sie streckte ihm die Wasserflasche entgegen und wickelte sich einen dicken Schal um die Schultern. „Gehen wir." Entschieden trat sie an ihm vorbei und stieß die Tür zum Diner auf. Es war Mitte November, ein scharfer Wind blies ihnen entgegen bei dem es sie fröstelte. Er ging rechts von ihr und so hatte sie ein wenig Windschatten. Sie liefen durch die abendlichen Gassen, die weg von dem turbulenten Stadtzentrum recht verlassen waren. Die Gehwege waren vereist und leicht rutschig. Eine Streumaschine, die sie überholte, war das einzige Auto. Das Licht der gelblichen Straßenlaternen warf körnige Schatten auf das Streusalz und ließ die Oberfläche wie eine unruhige Kraterlandschaft erscheinen. Olivia stieß dampfend die Luft aus und blinzelte nach oben in das grelle Licht. „Sieht fast so aus, als ob es bald schneien würde. Kalt genug wäre es ja. Hoffentlich." Er ging neben ihr her, so tief in Gedanken versunken das er sie scheinbar nicht mal gehört hatte. Doch ihr machte die Stille nichts aus. Während sie liefen und er auf seine Schuhspitzen starrte, musterte sie ihn. Sein schönes Profil, das sich scharf zwischen Licht und Schatten schnitt und innerhalb weniger Sekundenbruchteile so düster und verschlossen wirken konnte. Sie konnte kaum glauben das das derselbe Junge war, der immer so offenherzig lächelnd in den ganzen TV-Interwies und Postern der Klatschzeitschriften ihrer Freundin gewesen war. Langsam begann sie zu ahnen wie viele Tiefe unter dieser Oberfläche wirklich lag, und obwohl es sie auf eine Art abstieß, zog es sie auf eine andere Art magisch an. Es faszinierte sie. Er faszinierte sie. Er war wie eine dunkle verstaubte Truhe auf dem Dachboden die seit Urzeiten unberührt dastand. Man wollte sie öffnen um herausfinden welche Geheimnisse in ihr befinden, doch zugleich hatte man zuviel Ehrfrucht in der Gewissheit wie viele Jahrzehnte an Leben an dieser Truhe vorbeigezogen waren und dass sie vermutlich auch lange nach einem noch dastehen würde. „Ich glaube für die nächsten Tage haben sie sogar leichten Schneefall gebracht." Also hatte er sie doch gehört. Sie gluckste und vergrub ihre inzwischen steif gefrorenen Finger tiefer in den Manteltaschen. Er warf ihr von der Seite einen Blick zu. „Warum arbeitest du in dem Diner?" Olivia versteifte sich ein wenig, während sie nach links in eine weitere breitere Gasse abbogen. Die ersten Lichterketten waren bereits hoch über ihre Köpfe gespannt. Doch noch leuchteten sie nicht. „Irgendwie muss ich meinen Lebensunterhalt ja finanzieren." Gab sie verschnupft zurück. „Indem du in einem Diner arbeitest? Macht dir das Spaß? Ist es das, was du wirklich möchtest?" Bohrte er nach und seine Fragerei machte sie wütend. Wütend, weil er Recht hatte. Weil er einen spitzen Stachel getroffen hatte, der sich bereits seit langen in ihr Herzen grub und den sie bislang erfolgreich zu ignorieren geschafft hatte. „Was soll all die Fragerei?" Sie fühlte sich in die Ecke gedrängt und er wusste das auch. Er zuckte nonchalant mit den Schultern. „Eine Situation ist schließlich nur dann änderbar, wenn man sich ihr bewusst ist." Was wollte er ihr damit sagen? Sie grub mit den Schuhspitzen in einem kleinen Kiesbett rum und fiel fast über ihre eigenen Füße, als sie dabei weiterlief. Er packte sie am Arm. Fest. Wohl eher aus Reflex als das er wirklich befürchtet hatte, sie könnte fallen. „Danke. Ich kann selbst laufen." Sie schüttelte seinen Arm ab und ging ein wenig weiter nach links, um etwas Distanz zwischen ihnen zu schaffen. Entweder er bemerkte es schlicht nicht, oder er tat ihr den Gefallen es nicht zu zeigen. Sie schwiegen eine Weile, während sie weiterliefen. Die Gasse wurde weiter, mündete schließlich in eine breite Straße, die auf die Zufahrt zum Central Park zuführte. Während sie in das Dunkel des Kronendachs hinabtauchten, holte Olivia tief Luft. „Es ist schwer zu versuchen eine Perspektive für sich zu finden und nicht den Tunnelblick zu verlieren, wenn du gelichzeitig das Gefühl hast in einem Hamsterrad zu stecken. Tagaus. Tagein. Du denkst du kannst nichts daran ändern und das deine aktuelle Situation ausweglos ist. Vielleicht ist sie das, vielleicht aber auch nicht." Nun war es an ihr mit dem nonchalanten Schulterzucken. „Als meine Mom vor einigen Jahren krank wurde, musste ich mich um sie kümmern. Ich hatte damals große Pläne wollte nach dem College Psychologie studieren und dann raus in die Welt. Vielleicht nach Europa. Am liebsten Griechenland." Sie lächelte wehmütig bei dem Gedanken. Wie leicht es ihr mittlerweile fiel darüber zu sprechen! Vielleicht gerade, weil sie damit abgeschlossen hatte und diese großen Träume zerplatzt waren. Nichts weiter als ein fader Tagtraum. Gepinselt in Schwarz und Weiß. Durchtränkt von einer Wirklichkeit, die ihr bewusst machte, dass sie niemals das Hamsterrad durchbrechen würde. Niemals wirklich frei sein würde. Nicht so lange all die zerbrochenen Scherben ihrer Familiengeschichte vor ihr lagen. Sie war ihm dankbar, dass er nichts sagte. Sie nicht zu trösten versuchte. Er nieste unterdrückt. „Was hat sie?" „Wer meine Mom?" Sie sagte das bloß, um Zeit zu schinden, entschied aber wenn es eine Person gab, der sie alles anvertrauen konnte, er war. Ausgerechnet. Sie kannten sich kaum, hätten unterschiedlicher nicht sein können. Sie war das Mädchen von der Eastside, eine Schulabbrecherin mit Augenbrauenpircing. Er ein gefallener Star. Und doch liefen sie nebeneinander durch den nächtlichen Central Park. „Sie ist verrückt." Sie lachte trocken auf. Das winzige Zucken, das durch seine Züge glitt, entging ihr nicht. „Zumindest sagen das die Ärzte. Als mein Vater mit meinem Bruder vor 15 Jahren abgehauen und seitdem spurlos verschwunden ist hat sie sich verändert. Es hat harmlos angefangen. Sie hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen, viel geweint. Angefangen Dinge zu vergessen mit den Wänden zu reden, sie anzuschreien." Sie schloss die Augen, während sie darüber sprach. Ein böiger Wind trieb ihr lange dunkle Strähnen ins Gesicht. Aus Gewohnheit wickelte sie sich eine Strähne um den Finger und zog daran, während sie sprach. „Ich war gerade zehn und jeden Tag, wenn ich nachhause kam, kam ich in eine dunkle verwahrloste Wohnung. An manchen Tagen saß sie nur da und starrte die Wand an. Stundenlang. An anderen wippte sie vor und zurück, riss Dinge in Fetzen und kratzte sich auf unserem Fußboden die Nägel blutig. Sie wurde eingewiesen. Mehrmals. Hat Therapie hinter sich. Viel. Ein Pflegerin konnten wir uns nicht leisten, die steigenden Arztkosten auch nicht mehr. Also schmiss ich die Schule, um in dem Diner zu arbeiten. Mittlerweile ist sie soweit über den Berg das ihre Selbstzerstörerische Art verschwunden ist. Aber noch immer hat sie manische Episoden. Depressive Phasen. Extreme Hoch und Tiefs. Sie war nie eine einfache Frau aber wir haben gelernt in den Jahren miteinander auszukommen." Olivia zog geräuschlos die Nase ein. Es war so still zwischen ihnen das sie in der Ferne den Lärm der Autos hören konnten. Der Wind fuhr in die kahlen Baumkronen und verursachte klagende zerrende Laute. „Jemand wie du kann das wahrscheinlich nicht nachvollziehen." „Jemand wie ich?" Er sah sie von der Seite an und sie kam nicht umhin das Gefühl zu haben das er sie auf die Probe stellte. „Naja. Ein Leben im Scheinwerferlicht zu führen, stelle ich mir auch nicht als einfach vor, aber zumindest musst du dich nicht mit dieser Art von Problemen rumschlagen." Verteidigte sie sich. Er blieb stumm, zog nur verächtlich eine Augenbraue hoch. „Menschen urteilen gern über andere. Und dabei haben sie doch keine Ahnung, wovon sie sprechen." Er sagte das schnell und kalt und es traf sie. Mit diesen Worten hatte er eine Distanz zwischen sie geschaffen. Eine unsichtbare Mauer die jegliche Gefühle und Verständnis abblockte. „Ich wollte dich nicht verletzten." Wehrte sie ab, zwischen Wut und Unglauben schwankend. „Nein schon gut." Gab er zurück, bereits wieder versöhnlicher. Sie konnte nicht anders als ihn fassungslos anstarren. Wie schnell seine Laune umschlug. Ein fahlen Glitzern trat in seine Augen. „Spürst du das?" „Was?" Sie drehte sich einmal halb um die Achse um zu sehen, was er meinte, doch dann nahm sie es wahr. „Es schneit", hauchte sie ungläubig. Tatsächlich. Erste feine Schneeflocken fielen vom Himmel ab, wirbelten um sie herum und schmolzen, als sie den Boden berührten. Davis fing eine auf und betrachtete sie, während er sie zwischen seinen Fingern zerrieb. „Es schneit." Jauchzte sie überschwänglich diesmal und rüttelte an seinen Armen, während sie vor Freude auf der Stelle sprang. Er lächelte sie an. „Spring auch mal." Forderte sie ihn auf. Davis schüttelte den Kopf, als hätte sie etwas total Dummes gesagt. „Doch komm." Sie griff nach seinen Händen und zerrte ihn mit sich. Erst stand er steif da, doch dann schien etwas in seiner Miene brechen und er sprang mit ihr. Sie hüpften beide, an den Händen haltend an Ort und Stelle. Die Köpfe in den Nacken gelegt, die Zungen rausgestreckt im dem Versuch den ersten Vorboten des nahenden Winters zu kosten. Ihr lautes Lachen durch den stillen Wald hallend. Ein stummer Beobachter hätte sie wohl für Kinder gehalten. Als ihr schließlich die Luft ausging, sank sie auf den harten kalten Boden und zog ihn mit. Sie lagen nebeneinander mit bebenden Brustkörben im steif gefrorenen Gras und sahen zu wie ihr Atem zwischen den dichter wirbelnden Schneeflocken emporstieg. Olivia drehte den Kopf, um ihn anzusehen. Er vollführte in gleichen Moment dieselbe Bewegung und sie lagen sich so dicht aneinander, dass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten. „Da war toll." Sie lachte glucksend. „Das war kindisch." Der Ernst in seiner Stimme wurde von einem verräterischen Zwinkern gestraft. Dann verstummten sei beide und sahen sich an. Ihr schnell schlagendes Herz pochte, das Blut rauschte in ihren Ohren. „Du hast wunderschöne Augen." Flüsterte sie und strich ihm einem Impuls folgend über die Wange. Er nahm ihre Hand und hielt sie fest. Als ihre kalten Lippen aufeinandertrafen, schlossen sie beide die Augen.

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STARDUST - 365 Tage mit dir
Mystère / ThrillerEigentlich läuft in Davis Leben alles perfekt. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Eiskunstlaufkarriere, die Presse liebt ihn und Olympia scheint zum greifen nah. Wäre da nicht diese eine verhängnisvolle Partynacht bei der ein Mädchen verschwindet. Sie...