Sie ließ das Handy sinken und nahm einen tiefen Schluck ihrer Sprite. Normalerweise verabscheute sie diese gezuckerten Süßgetränke, doch Sprite bildete da eine Ausnahme und heute brauchte sie entweder eine Sprite oder sogar was Stärkeres. Die violette Couch, auf der sie saß, war durchgesessen und ihre linke Körperhälfte sank unangenehm tief ein. Im Gegensatz zu ihrem letzten Besuch war die Wohnung deutlich aufgeräumter. Nichts lag auf dem Boden herum, und auch auf dem Tisch stapelten sich statt Unterwäsche nur einige leere Pizzakartons, Flyer und eine leere Schachtel Kondome wie sie etwas angewidert feststellte. Sie spielte abwesend mit ihrem Augenbrauenpircing herum, während sie die Lippen schürzte. Was sie sich von ihrem Besuch bei ihrer Freundin erhofft hatte, das wusste sie nicht so genau. Jedenfalls war sie, nachdem sie von ihrem spontanen Kurztrip mit Davis zurückgekommen war, am nächsten Morgen zur Frühschicht gegangen, nur um zu erfahren das ihre Freundin fristlos gekündigt hatte. Ein ziemlich missgelaunter Joey und eine hochschwangere Sirena die kurzfristig eingesprungen war, hatten sich auch nicht erklären können, was Rebecca da geritten hatte und wo sie nun war. Olivia konnte es sich denken, auch wenn es ihr sichtlich missfiel. Louis. Das 24/8. Sie hätten an Halloween niemals diesen Club betreten dürfen. Aber hinterher war man bekanntlich immer schlauer und so begeistert wie ihre Freundin von der Party erzählt hatte, hätte Olivia es ihr auch nie und nimmer ausreden können. Sie hatte es ja sogar versucht! Einem Impuls folgend war sie nach der Arbeit mit der U-Bahn zu dem schäbigen Appartement ihrer Freundin gefahren. Wo der Zweitschlüssel versteckt war, wusste sie. Natürlich hatte sie zuerst geklingelt und es war wenig verwunderlich das ihr keiner öffnete. Also hatte sie sich selbst hereingelassen und die Wohnung nach Hinweisen auf den Verbleib ihrer Freundin untersucht. Das dringendste Anzeichen war der alte Flyer der PartyEscortGirls den sie bereits bei ihrem letzten Besuch herumliegen gesehen hatte. Nun da sie in Rebeccas Schlafzimmer neben ziemlich knapper Unterwäsche auch einige aufreizende Perücken gefunden hatte, war es sonnenklar, wo ihre Freundin hin war. Olivia hoffte nur das es noch nicht zu spät war und dass sie und Davis Rebecca wieder zur Vernunft bringen würden. Leider bezweifelte sie das stark. Sie kannte ihre Freundin lange genug, um zu wissen das diese immer von Impulsen und plötzlichen Emotionen geleitet wurde. Etwas zu kalkulieren und durchplanen war nicht ihre Stärke. Sie war überzeugt davon, dass dieser Dreckssack Louis ihre beste Freundin eingelullt und ihr, wer weiß was versprochen hatte. Hoffentlich würde Davis sie überzeugen können. Sie hatte im Internet recherchiert und festgestellt das es eine ziemlich strenge Kleiderordnung gab, Cocktailkleid und hohe Schuhe waren ein Muss in diesem elitären Club. Sie besaß sowas nicht. Rebecca aber zu genüge. Auch wenn sie selbst etwas kleiner und zierlicher als ihre Freundin war, würde sie aus dem großen Sortiment schon etwas finden. Nach einem Blick auf die Uhr, es war nach fünf, entschied sie sich so langsam fertig zu machen. Sie ging ins Schlafzimmer und öffnete den großen doppeltürigen Kleiderschrank. Nur wenige Minuten später betrachtete sie prüfend ihr Outfit im Spiegel und erkannte sich kaum wieder. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid mit dünnen Trägern, dazu dunkle Strumpfhosen und schwarze Pumps. Ihren unscheinbaren Nasenring hatte sie gegen einen glitzernden Diamantstecker ausgetauscht, die Augen betont und die Lippen dunkel geschminkt. Für ihre Haare hatte sie fast am längsten gebraucht, da ihr der Umgang mit dem Lockenstab nur wenig vertraut war. Schließlich hatte sie das Locken machen wollen entnervt aufgegeben, als diese sich ständig in die falsche Richtung gedreht hatten und ihre langen dunklen Haare zu einem hohen Zopf gebunden. Einigermaßen zufrieden aber auch beinahe eingeschüchtert, wie sehr ein Outfit einen Menschen verändern konnte, ließ sie sich auf die Couch zurückfallen und streckte ihre langen Beine, die nun in spitzen Pumps endete, bequem aus. Lange musste sie allerdings nicht warten, denn kurz darauf klingelte es an der Tür. Sie sprang auf und knickte prompt beinahe um als sie für einen Moment das Gleichgewicht verlor. Peinlich, zum Glück aber hatte diese kleine Stunteinlage keiner gesehen. Es klingelte nicht erneut, sich musste lächeln, als sie zur Tür schritt. Sie kannte keinen dessen Geduld so weitreichend war wie seine. Ihr Geduldsfaden war eher dünn und riss schnell, aber durch ihre Mutter hatte sie genügend Übung bekommen. Davis stand vor der Tür und machte große Augen, als er sie sah. „Oh wow." „Das nehme ich mal als Kompliment." Gab sie zurück und lächelte unsicher. „Das kannst du." Versicherte er ihr Ernst. Sie trat einen Schritt beiseite, um ihn reinzulassen, dabei musterte sie ihn. Obwohl er unglaublich müde aussah, strahlte er eine Selbstsicherheit aus, die sie jedes Mal wieder aufs Neue faszinierte. Er trug eine Lederjacke, wie meistens, ein helles T-Shirt und eine gebleichte zerfranste Jeans. „Was ist der Grund das du mir geschrieben hast? Sicherlich nicht damit wir feiern gehen, an einem Wochentag? Du brauchst meine Hilfe, nicht?" Er stemmte die Hände in die Hüften und sah sie direkt an. Olivia seufzte leise. Manchmal wünschte sie sich das er ein wenig weniger scharfsinnig und direkt wäre. Natürlich verbrachte sie gerne Zeit mit ihm, aber in erster Instanz brauchte sie ihn, weil sie sich nicht alleine in den Club traute. Nur war es eine Sache das so zu denken, und eine andere es ihm so direkt ins Gesicht zu schleudern das sie ihn praktisch nur ausnutze. „Also gut." Sie straffte die Schultern. „Ich brauche deine Hilfe. Ich mache mir Sorgen um Rebecca wollte aber nicht alleine dorthin." Er nickte und schien das ohne weiteres zu akzeptieren. Offensichtlich hatte er so etwas bereits erwartet. „Sollen wir direkt los?" Davis warf einen raschen abschätzenden Blick durch die Wohnung und sah dann auf seine Uhr. „Klar, am besten wir nehmen ein Uber oder Taxi." Schlug sie vor und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Als sie nebeneinander die Treppen hinunterliefen, berührten sich ihre Hände für einen Sekundenbruchteil. „Danke das du mitgekommen bist." In dem schummrigen Licht des Treppenhauses wirkte das helle blau seiner Augen noch eisiger als sonst. Ihr fuhr ein Schauer über den Rücken, aber gleichzeitig war sie auch seltsam erregt. Seine Hand fuhr wie beiläufig ihr Rückgrat hinunter und blieb dort auf ihrem unteren Rücken, kurz oberhalb des Pos liegen. Sie standen so dicht beieinander das sie seinen herben Duft wahrnahm. Tannenharz und Herbstlaub stiegen ihr in die Nase und verursachten faszinierende Assoziationen. Sie beide im Kerzenschein in der Hütte. Er über sie gebeut. Seine Mundwinkel zuckten als ihre Blicke sich gefangen hielten und seine Grübchen vertieften sich. Er schien genau zu wissen, woran sie dachte. Kurz überlegte sie ihn einfach zu küssen, doch als unten die Haustür aufging war der seltsam intime Moment vorbei. Sie fuhren auseinander als wären sie dabei etwas verbotenes zu tun und machten zwei kleinen Kindern Platz die polternd mit einem Hund auf dem Arm die Treppe hinaufstürmten. Davis sah den Kindern hinterher. „Manchmal wäre es schön wieder ein Kind zu sein. Das Leben ist so viel einfacher." Sagte er seufzend, nahm ihre Hand und zog sie weiter die Treppe runter. Sie spürte das hinter diesem Satz mehr steckte als nur eine leere Floskel, entschied aber, dass es nicht der richtige Moment war, um das Thema anzusprechen. „Komm." Ihm Gehen nahm sie seine Hand. Er folgte ihr. „Wohin fahren wir?" Das Uber war bereits vor dem Haus vorgefahren, ein schnittiger hellgrauer Opel Insignia. „Ins 24/8. Kennst du den Club?" Er schüttelte den Kopf, öffnete die Tür, ließ sie zuerst einsteigen und nannte dem Fahrer den gesagten Ort. „Alles klar, einsteigen und anschnallen." Gab ein Mann mittleren Alters mit einem gewaltigen Schnäuzer gut gelaunt zurück und fädelte sich in den dichter werdenden abendverkehr New Yorks ein. Die grauen Häuser verschwammen mit der Wolkenwand. Ihre Oberschenkel berührten sich ebenso auffordernd wie ihre Blicke. Er führte sein Gesicht an ihres. „Du siehst wirklich gut aus." Sein heißer Atem streifte ihre Kehle hinab, sie fühlte sich nackt. Entblößt und doch wohl. Als der Wagen an einer roten Ampel hielt und das Licht der Straßenbeleuchtung ihre Züge in harte Schatten teilte, beugte sie sich näher zu ihm und gab ihm einen leichten Kuss. Fast federnd, nicht mehr als eine zarte Berührung ihrer Lippen und doch reichte es aus, um ein Feuer tief in ihrem inneren zu entfachen. „Komm mit mir nach Griechenland." Wisperte sie einem Impuls folgend. Sein Blick streifte sie brennend, lodernd. Ob sie ihn liebte, das wusste sie nicht, aber ein Teil von ihr liebte einen Teil von ihm, und so unterschiedlich sie auch waren, schienen ihre Seelen eins zu sein. Das Blau seiner Augen schien so unendlich zu werden wie die weiten des Ozeans. Sie sah ihn an, sah durch ihn hindurch. Und sah doch nur ihn. Ihre Hände fanden einen Weg zueinander, seine fuhr weiter kletterte unter den Saum des kurzen Kleides. Sie störte sich nicht daran das ihr Kleid über den Netzstrumpfhose ein Stück zu weit über den Oberschenkel hochrutschte. Sein Daumen fuhr neckische Kreise über dem Bund der Strumpfhose und glitt tiefer. Er beugte sich weiter vor, sodass ihr Körper durch den freien Schlitz in der Trennwand vor dem Mittelsitz geschützt wurde. Sie beobachtete ihn wie er das innere des Wangens scannte. Der Taxifahrer schaltete die Freisprechanlage an und fing an zu telefonieren. Als Davis sich sicher war, dass er sie nicht beachtete und in seiner Welt war, wandte er das Gesicht wieder ihr zu. Sie öffnete ihre Lippen zu einem schmalen Spalt und legte den Kopf nach hinten in den Nacken. „Mach keinen Laut." Wisperte er ihr zu und presste eine Hand auf ihren Mund. Sie war ihm dankbar dafür, denn während er das Feuer in ihrem Körper entfachte und es durch ihre Adern wallte, drohte sie beinahe daran zu verbrennen. Die durch die Scheiben zuckende Straßenbeleuchtung veranstaltete ein Lichtspiel auf ihren Körpern, die in Kleidung steckte, aber unter seinen Berührungen nackt wurden. Die Intensität seiner Berührung steigerte sich, ebenso das Glitzern in seinen Augen als er sie genau betrachtete und jede ihrer Bewegungen genau zu folgen schien. Olivia atmete Lust, Flammen und Rauch und ihn. Tannenharz und Honig verflocht sich zu einer einzigen Duftkomponente, die so sehr er war, dass es ihr beinahe Tränen in die Augen trieb. Immer nur ihn. Sie biss die Zähne in seine Handflächen, erst neckisch doch dann verzweifelter als er sie zum Höhepunkt hintrieb. Der Druck seiner Hand um ihren Mund wurde fester, während seine andere Hand noch tiefer glitt, sein Oberschenkel fest an ihre Taille gepresst. Das der Gurt sich spannte und ihr in den Hals schnitt nahm sie nur am Rande wahr. Beinahe war sie dankbar für diesen kurzen Druckschmerz. Das Taxi fuhr weiter, der Fahrer telefonierte und sie kam. Eine heiße Welle schoss durch ihr innerstes und schien ihr Blut verbrennen zu wollen. Jede weitere seiner Bewegungen intensivierten sich und schickten ihr unglaubliche Empfindungen entgegen. Ihr Körper wölbte sich ihm entgegen und er empfing sie als er die Hand von ihrem Mund nahm und daran entlangglitt. Feiner Schweiß perlte auf ihrer Stirn und sie fühlte das heftige elektrische Beben durch ihre Adern zucken. Das Gefühl war wohltuend, wie ein warmer Sommerregen, die ersten Sonnenstrahlen, die über die Haut strichen. Sie fühlte sich lebendig. Sie fühlte sich weiblich. Er senkte seinen Kopf, nicht jedoch ohne verschmitzt zu grinsen, bis sich ihre Stirn berührte. Seine schönen eisblauen Augen funkelten, das Licht, das in ihnen glänzte, schien sie noch weiter zu verbrennen. Eine perfekte Mischung aus Zuneigung Stolz und Arroganz. Ein Sturm aus Gefühlen und eine schmale Gratwanderung. Er senkte seinen Mund zu ihren Lippen hin, streifte ihr Ohrläppchen ganz sanft, doch allein diese Berührung reichte aus, um ihr ein leises Stöhnen zu entlocken. Sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. „Das werde ich. Eines Tages werde ich dir folgten." Die Antwort, das geflüsterte Versprechen das er ihr soeben gemacht hatte, ließ sie für einen kurzen Augenblick zur glücklichsten Frau der Welt werden. Sie grinste und wischte sich unauffällig mit dem Ärmel über den Mund. „Na das war unerwartet." Außer Atem und seltsam peinlich berührt, stieß sie ihn ein wenig von sich weg und warf einen Blick nach vorne. Entweder schien der Mann wegen seiner Telefoniererei wirklich nichts mitbekommen zu haben, oder er verstand es gut, dass zu verstecken. Sie hoffte auf ersteres. Befürchtete aber zweiteres. Davis strich sich die Haare aus der Stirn. Sein lächeln fand sie beinahe ein wenig eingebildet, aber vermutlich konnte er nichts dafür. „Warum genau machst du dir den Sorge um deine Freundin? Als ich Rebecca das erlebt habe, schien sie nicht so, als könnte sie nicht auf sich aufpassen." Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und schien beinahe mit der Rückwand des Sitzes verschmelzen zu wollen. „Du kennst sie nicht so wie ich. Sie ist sehr gutgläubig und offenherzig. Eine Sache, die man an ihr lieben kann, die aber gleichzeitig auch eine Schwäche ist." Er nickte kaum merklich mit dem Kopf. So als wüsste er ganz genau, was sie meinte. „Sie hat sich da in diesen Typen verknallt und ich habe Angst das er sie zu etwas drängt, was sie nicht möchte." „Prostitution?" Schlug er leise vor und sah ihr dabei direkt in die Augen. In seinem Blick lag beinahe so etwas wie Mitgefühl. Schockiert aber auch verärgert das er das einfach so ausgesprochen hatte, fuhr sie ihn an. Heftiger als gewollt. Dabei war es selbst genau das, woran sie gedacht hatte. „Mann, nein natürlich nicht! Zumindest bin ich mir nicht ganz sicher." Ruderte sie ein wenig zurück, als sie sah, wie sich angesichts ihrer Reaktion seine Augenbraue hob. Er wusste immer wann sie log. Noch ein weiterer Grund sie zur Weißglut zu bringen, aber nicht jetzt. Nicht hier. Sie hatten wichtigeres zu besprechen als eigene Differenzen. Eine verlorene Freundin retten zum Beispiel. Das Taxi hielt mit quietschenden Reifen und ein Schwall schmutziges Regenwasser spritzte auf und rann in Sturzbächen das Fenster hinab. Davis bezahlte, sie öffnete die Tür und stieg aus wobei sie aufpassen musste, nicht mit ihren hohen offenen Schuhen umzuknicken oder ebenfalls ins Wasser zu treten. Der leichte Schneeregen war im Laufe des Tages zu einem heftigen anhaltenden Regenfall geworden, der nun abgeebbt war. Große Pfützen waren überall auf den Bürgersteigen verteilt. Der Himmel war noch immer wolkenverhangen, es ging auf Abend zu. Das Licht wurde dunkler und die ersten Straßenlaternen erwachten flackernd zum Leben. Sie gingen schweigend über die Straße das kurze Stück auf den Club hin. Obwohl der Weg breit genug für sie beide gewesen wäre, lief sie so eng bei ihm das sich ihre Schultern oder Handflächen immer wieder versehentlich berührten. Er nahm sie nicht. Sie war ihm dankbar dafür. Hätte er ihre Hand genommen, hätte er sofort gemerkt wie viel Angst sie vor diesem Treffen hatte. Ihre beste Freundin, die dabei war, ihr zu entgleiten. Als ein scharfer Wind durch eine Windschneise fuhr, fuhr ein Zittern über ihren Körper. Sie konnte nicht fassen, wie dumm sie war mitten im November keine Jacke und nur diesen Fetzen Stoff am Körper zu haben. Davis streifte noch im Gehen seine Lederjacke herunter und reichte sie ihr. Sie schüttelte zuerst protestierend mit dem Kopf, doch er beharrte darauf. „Eiskunstläufer. Schon vergessen?" Er grinste sie schief an und sie nahm die Jacke doch. Ein wenig kleinlaut bedankte sie sich bei ihm und zog sich erleichtert an. Sofort fühlte sie sich besser. Er legte ihr eine Hand ins Kreuz. Diese Bewegung erinnerte sie unweigerlich daran, wie sie sich kennengelernt hatten. Damals hatte er sie zwar mehr geschubst und seine Berührung hatte auch nichts Zärtliches gehabt, aber damit hatte er ihr wohl das Leben gerettet. Unfassbar was seitdem zwischen ihnen alles passiert war. Er war wortwörtlich durch ihr Leben gefegt und hatte alles umgeworfen. Wenn sie ihn nicht kennengelernt hätte, säße sie jetzt vermutlich immer noch in ihrem kleinen Loch zuhause und würde ihr Tagebuch schreiben. Den Traum von einem besseren Leben. Ein hysterisches Lachen kroch ihre Kehle empor als sie sich bildlich einen Orkan vorstellte, der durch ihr organisiertes Leben und ihren kleinen Freundeskreis fegte. Sie presste die Zähne aufeinander doch ein leises Kichern entwich ihr doch. Er warf ihr einen fragenden Blick zu. „Was ist?" „Ach nichts." Sie winkte ab. Das Gefühl der absurden Komik verschwand jedoch rasch, als sie den Club vor sich auftauchen sah. Anders als beim letzten Mal waberte kein Kunstnebel aus der verschlossenen Türe und es waren auch keine Kürbisse und Spinnenweben angebracht, aber das hatte sie auch nicht wirklich erwartet. „Ist es das?" Er deutete mit dem Kinn nach vorne und seine Mimik spiegelte eine Mischung aus Abscheu und Wut die sie anziehend fand aber auch gleichermaßen verwirrte. „Ja." Sie zog etwas Rotz in ihrer Nase hoch und unterdrückte ein Niesen. „Sieht ja einladend aus." Er betrachtete die große Eingangstür und die abgedunkelten Fenster. Doch je näher sie kamen, desto deutlicher hörte man laute wummernde Beats aus den inneren. Sie blieb vor der Eingangstüre stehen, unschlüssig ob sie wirklich einfach so eintreten sollte. Davis nahm ihr die Entscheidung ab, indem er an ihr vorbeitrat und die Tür mit einem heftigen Ruck aufriss. „Voila" Mit einer überspitzten Bewegung, als wäre er ein Butler ließ er ihr den Vortritt. Sie verdrehte die Augen, trat aber an ihm vorbei ein. Im inneren war es so dunkel, dass sie kaum die Hand vor Augen sah. Sie spürte, wie dicht Davis hinter ihr stand und tastete zitternd nach seiner Hand. Er drückte sie beruhigend. Gleichzeitig spürte sie aber auch wie er heftig herumtastete. „Was tust du?" Zischte sie. „Handy." Gab er leise zurück. „Es ist mir wohl im Taxi aus der Tasche gefallen." „Ich habe meins dabei." Sie zog ihres heraus und aktivierte die Handylampe. „Wir können nachher beim Taxiunternehmen anrufen und danach fragen." Er schien kurz zu überlegen. „Nein. Vielleicht ist es ganz gut, dass ich es verloren habe. Zu viele schlechte Erinnerungen." Olivia spürte ganz deutlich das hinter dieser Aussage mehr steckte als es anfangs den Anschein machte. Denn wer verlor sein Handy und war froh mit allen Kontakten und Nummern abgeschlossen zu haben? Nur jemand der komplett mit allem abgeschlossen hatte. Die Musik die kurz verklungen war, setzte wieder ein und drang nun umso lauter an ihr Ohr. Sie stiegen im Licht der Taschenlampe die eisernen Stufen hinab, zu einer weiteren Tür unter deren Spalt ein feiner Schimmer drang. Diesmal war sie es die die Tür öffnete und den Raum betrat. Die Tanzfläche war größer als sie sie in Erinnerung hatte, aber vielleicht wirkte sie ja auch nur so weil sie beim letzten Mal zum Bersten voll war. Der Barkeeper, der gerade dabei war, leere Gläser in ein Regal zu räumen, sah kurz auf und musterte das junge Paar mit einem abschätzenden Blick. „Seid ihr Tänzer?" Sie konnte schlecht lügen, doch Davis schob sich einfach vor sie und straffte selbstbewusst die Schultern. „Ja, wir sind ein bisschen zu spät das wissen wir, wo finden wir die anderen?" Der Barkeeper nickte gelangweilt und wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Gläsern zu, nicht aber ohne vorher auf einen Raum zu deuten. Davis bedankte sich kurz und ergriff ihr Handgelenk. „Du bist so ein guter Lügner." Flüsterte sie ihm zu, während sie die leere Tanzfläche überquerten und auf den Raum zuliefen. „Das nenn ich wohl ein Kompliment." Er lächelte etwas angestrengt. Da die Musik mit jedem Schritt lauter wurde und schließlich nur noch als ohrenbetäubend bezeichnet werden könnte, verständigten sie sich zum Schluss nur noch über Blicke. Als sie in das Zimmer traten, wo sich die Tänzer laut dem Barkeeper aufhielten, wurde ihr fast übel. Ein überwältigender Geruch nach Schweiß, Deo und wummernden Beats schlug ihnen entgegen. Sie war froh am Morgen nichts gegessen zu haben, ansonsten wäre sie jetzt unweigerlich auf der Toilette geendet. Ihr Blick zuckte zwischen den Pooldance Stangen, Sofas und leicht bekleideten Körpern hin und her. Unbewusst klammerte sie sich enger an Davis Hand. Im Moment schien er die einzige unbewegliche Konstante in ihrem Universum zu sein. Anders als sie die nichts als Abscheu verspürte, betrachtete er die Umgebung mit einer distanzierten und kühlen Mimik. Als wäre er nur ein Betrachter und nicht mittendrin. „Ich sehe Rebecca nicht." Schrie sie ihm zu. Sie wandte sich auf der Suche nach ihrer Freundin um, hoffte das sie sie nicht antreffen würde, und spürte doch, dass es so war. „Sie ist nicht hier, da hinten geht's weiter. Zu den Einzelzimmern." „Ich dachte das ist ein Club und kein Bordell", gab sie trocken zurück, stakste aber vorsichtig über den Boden. „Du bist in New York." Antwortete er nur, als würde das alles erklären. Sie ließen die Tänzer links liegen und verließen den Raum schnell. „Ich glaub ich kann das nicht." Gab sie hervor, als er in den abführenden dunklen Gang trat, eines der Zimmer öffnete und den Blick auf ein zerwühltes Bett freigab, dessen Bezug das offensichtliche bestätigte. „Ich find's toll." Gab er zurück. Sie starrte ihn entsetzt an, wusste im ersten Moment nicht, ob er es ernst meinte, sah dann aber ein Lächeln um seine Mundwinkel spielen. „Idiot." Murmelte sie und gab ihm einen spielerischen Klaps gegen die Schulter. Er lachte sie kurz an und drückte ihre Schulter. Sie öffneten noch etwa drei weitere Türen, allesamt leere Betten, bis sie an der vierten fündig wurden. Zwei leicht bekleidete Mädchen räkelten sich aufreizend im Bett mit einem älteren Mann. Olivia warf nur einen raschen Blick hinein und wandte sich schnell ab. „Ist das dieser Louis?" Fragte Davis und ließ seine Fingerknochen knacken. Sie warf ihm einen warnenden Blick zu, musste abermals daran denken wie er damals diesem Gangster, ohne zu zögern bewusstlos geschlagen hatte. In Davis ruhte diese dunkle Seite die von Zeit zu Zeit zum Vorscheinen kam. Seinen Hang zu Gewaltbereitschaft konnte sie nicht leugnen. Ebenso nicht dass sie gerade das seltsam faszinierend fand. Geschockt über sich selbst schüttelte sie den Kopf. „Das ist sie, oder?" Riss Davis sie aus ihren Gedanken und sie merkte das sie unbeabsichtigt den Blick abgewandt und zu Boden gestarrt hatte. Er deutete auf eine schlanke rothaarige die hingebungsvoll den Freier küsste. Ihr nackter Oberkörper streifte dabei seine Brüste. Sie musste nicht nicken. Er sah es an ihrem Blick. Davis ließ ihre Hand los und trat auf die ineinander im Bett verschlungenen Menschen zu. „Rebecca?" Er griff beherzt nach dem Bein ihrer Freundin und zerrte sie von dem Mann herunter. „Was ist?" Fauchte diese und fuhr herum. Ihr langen Nägel schellten durch die Luft, und gruben sich in seine Oberarme. Er hielt ihre Handgelenke fest, um sie davon ab ihn weiter zu kratzen. Dann erst erkannte sie ihn. „Davis. Was tust du hier?" „Das Gleiche könnte ich dich fragen." Entgegnete er grob und trat einen Schritt zurück. Rebecca strich sich die langen Locken nach hinten und warf einen unglücklichen Blick auf ihre Sexpartner, Davis und Olivia hin und her. „Wir sprechen am besten draußen." Schlug er vor und schob ihre Freundin mit derselben Nachdrücklichkeit aus der Tür wie Olivia schon oft bei ihm beobachtet hatte. Es war der Davis der gewohnt war Anweisungen zu geben und Befehle zu erteilen die befolgt wurden, selbst wenn er seine Karriere mittlerweile hinter sich gelassen zu haben schien. Diese Seite von sich konnte er nicht gänzlich unterdrücken. Rebecca öffnete den Mund, um zu protestieren, schloss ihn aber und trat mit ihnen aus der Tür in den Gang. „Was willst du?" Wandte sie sich abweisend an ihre Freundin und verschränkte die Arme vor ihren nackten Brüsten. „Was wohl? Dich hier rausholen." Entgegnete Olivia wobei sie sich schmerzlich bewusst war das sie neben ihrer Freundin in ihrem Outfit ebenso als Stripperin durchgehen könnte. „Ich brauch deine Hilfe nicht, danke." Entgegnete Rebecca und schien sich abwenden zu wollen. „Mann Becci, ich erkenne dich nicht wieder, seit du mit Louis zusammen bist. Das hier", sie machte eine ausladende Bewegungen, die den gesamten Club und sie beide miteinschlossen, „sind nicht wir. Das sind doch nicht wir. Seit wann sind wir so?" Der Blick, den ihre Freundin ihr zuwarf, war beinahe mitleidig. „Ach ja, die arme kleine Olivia. Die immer so süß und unschuldig ist und immer das Zentrum der Gerechtigkeit. Aber die Welt ist nicht nur pink und Einhorn Glitzer. Ich werde endlich erwachsen. Davis hat das längst erkannt." Höhnte sie. Davis der nicht in diese Konversation miteinbezogen werden wollte, drückte sich enger an die Wand. In Olivias Augen glitzerten Tränen. „So siehst du mich und unsere Freundschaft?" „Wir sind doch schon lange keine Freunde mehr, deine Definition von Freundschaft besteht doch nur darin das wir alle nach deiner Pfeife tanzen." Rebecca ließ ihre Arme sinken und es schien ihr mittlerweile vollkommen egal das sie nackt war. Mit einem Mal verließ jegliche Macht sie. Müde und des Streitens müde. Auch Olivia gab ihre defensive Haltung auf. „Komm mit uns." Flehte sie. Wir können das alles hinter uns lassen. Ich mein was hält uns hier in NYC?" Die Art wie Rebecca sie ansah zerschlug jegliche Hoffnungen. Die Mundwinkel verächtlich verzogen, schwankte sie einen Moment sichtlich fing sich aber wieder und lehnte an einen Heizkörper. „New York ist ein Loch. Mein einziger Weg es zu etwas zu bringen ist Louis. Soll ich ansonsten etwa mein Leben lang Burger braten?" „Nein, darum geht es nicht und es ist Bullshit zu glauben das Louis es ernst mit dir meint. Der Typ ist ein Aufreißer, sobald er dich dort hat, wo er will, lässt er dich fallen. Genau wie alle anderen zuvor." Feuerte Olivia zurück. Zum ersten Mal schaltete sich Davis in die Konversation ein. Er trat vor und packte Rebecca am Ellenbogen, als diese sich auf ihre Freundin stürzen wollte. Wut und Tränen glitzerten in ihren Augen. „Was hast du genommen?" Er sah sie ruhig an. Olivia runzelte die Stirn und fragte sich im ersten Moment, was er meinte, doch dann sah auch sie die merklich geweiteten Pupillen ihrer Freundin. Sie hatte es erst für Makeup oder Wut gehalten, aber er hatte Recht. Es waren Drogen. Rebecca schwieg und starrte ertappt auf dem Boden. Sie wich dem fassungslosen Blick Olivias aus. „Bitte komm mit uns." Flehte sie noch einmal. Davis, überzeugt das Rebecca sich wieder im Griff hatte, ließ sie so plötzlich los, als hätte er sich verbrannt und trat einige Schritte weiter nach hinten. „Louis, kommt gleich, er wird wütend, wenn ich nicht arbeite." Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit, drehte sich aber noch einmal um. „So ist das eben im Leben Olivia. Menschen sind nicht dafür gemacht für immer zusammenzubleiben, manche Wege trennen sich einfach. Louis hat mir gezeigt, wofür ich wirklich geschaffen bin, dafür bin ich ihm dankbar. Ich wünsche euch beiden viel Glück, aber ruf mich nicht wieder an." Ein letzter Tränenverschleierter Blick, dann trat Rebecca durch die Tür hindurch. Das hohle Knallen des Türrahmens war endgültig.
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STARDUST - 365 Tage mit dir
Misteri / ThrillerEigentlich läuft in Davis Leben alles perfekt. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Eiskunstlaufkarriere, die Presse liebt ihn und Olympia scheint zum greifen nah. Wäre da nicht diese eine verhängnisvolle Partynacht bei der ein Mädchen verschwindet. Sie...