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Der Kaffee in ihrer Hand war schon längst kalt. Ein feiner Filterfilm hatte sich bereits auf der Oberfläche gebildet und glänzte trüb. Die ersten fahlen Lichtschimmer mischten sich in ein Band aus Wolkenschleier und kündigten einen weiteren grauen Novembertag an. Geschlafen hatten sie beide nicht, das Ende der Nacht und der Anbeginn eines neuen Tages nicht mehr als ein Wechsel in der Beleuchtung. Hinter ihnen erwachte die Stadt zum Leben und dichter zäher Morgenverkehr fädelte sich wie ein funkelndes Gitternetz durch die Straßen der Stadt. Ein scharfer Wind fuhr durch die Gitterstäbe der Brooklyn Bridge und zerzauste ihr Haar. Es war lausig kalt, doch keine kälte der Welt konnte gegen die leere in ihrem Inneren ankämpfen. Als sie einen Schritt nach vorne trat, trat sie versehentlich gegen die große zerbeulte Reisetasche. „Bist du bereit?" Davis sah sie von der Seite an und hielt ihr eine Hand hin. Sie ergriff sie dankbar und erwiderte den Druck mit kalten Handflächen. Er lächelte schwach, nicht breit genug um das Strahlen in seinen Augen das sie so liebte zum Leben erwecken, aber doch breit genug das es aufmunternd wirkte. Sie hatten beide in der Nacht viel verloren, Freunde, Familie. Ihr gesamtes Leben. In New York waren alle Brücken abgebrannt, ein Erdbeben hatte eine Schneiße der Zerstörung in ihre Seelen gerissen und keiner von ihnen fühlte sich hier mehr wohl. Davis noch weniger, ihn hatte bisher eh kaum was mit der Stadt verbunden. Olivia die ihr gesamtes Leben in New York verbracht hatte, und die jeden Winkel der East Side kannte, schon viel mehr. Und doch hatte sie nicht gezögert, als er sie beim Verlassen des Clubs gefragt hatte, ob sie mit ihm kommen wolle. Ihr war es egal wohin, mit ihm würde sie an jeden Ort der Welt ziehen. Nur mit ihm. Sie hatte Sirena eine lange Nachricht hinterlassen, mit der Bitte sich eine Weile um ihre kranke Mutter zu kümmern, Joey gekündigt und ein paar Habseligkeiten gepackt. Davis trug eine Wollmütze, eine dicke Holzfällerjacke und eine breite Hose deren Ende er zweimal umkrempeln musste. Allesamt Sachen die sie noch aus dem Bestand der Kleidung ihres Vaters herauskramen konnten. Sie waren noch zu einem weiteren Club gefahren, wo er sich bei ein paar Leuten verabschiedet, hatte an die sich vage erinnern konnte in Joeys Diner bedient zu haben. Und nun standen sie hier auf der Brooklyn Bridge. Sie hielten sich an den Händen, schwiegen, tief in Gedanken versunken während ihr Blick zwischen den Häuserschluchten Irrlichte. „Also wohin?" Sie riss ihren Blick als erstes los und wandte sich ihm zu. Er legte den Arm um sie. Für einen außenstehenden Fußgänger mochten sie wohl wie ein junges verliebtes Pärchen wirken, das früh am Morgen einen Spaziergang machte, doch für sie beide wohnte in dieser Umklammerung nichts Sinnliches inne. Ihr Leben war eine Sturzflut und er war das Treibgut an, das sie sich klammerte, um nicht zu sinken. „Wie wäre es mit Griechenland?" Scherzte sie, um die Stimmung ein wenig zu heben. Er lächelte sie zwar an, doch an seinen Augen sah sie an das er nicht wirklich bei ihr war. Die Schatten unter seinen Augen schienen dunkler zu werden und auf seinen Wangen zeichnete sich ein Bartschatten ab. Erste Stoppel die sonst nicht so zu seinem glatten Image passten. „Ich gehe mit dir, wohin du willst, aber erst muss ich meinen Namen reinwaschen." „Falls du glaubst, damit deine Karriere..." Begann sie, doch er unterbrach sie brüsk. „Mir geht es nicht ums Eislaufen, nicht mehr. Ich muss mich selbst wieder im Spiegel betrachten können und wissen das ich nicht nur freigesprochen, sondern auch unschuldig bin." „Also zurück." Der Druck ihrer Hände wurde stärker. Er seufzte leise. „Ich will mit diesem Kapitel endlich abschließen und mich zur Not Blake stellen, diese eine Nacht hat mein ganzes Leben ruiniert." Sie sah ihn prüfend an, in der Erwartung Tränen in seinen schönen Augen glitzern zu sehen. Doch da war nichts, kein feuchter Schimmer, kein Bemitleide mich, nur eine eiserne Entschlossenheit. Er hatte diese Tatsache einfach so akzeptiert. Sie bewunderte und beneidete ihn gleichermaßen dafür. „Sollen wir uns ein Auto mieten und einen kleinen Roadtrip daraus machen?" Er zog sie in seine Arme und legte sein Kinn auf ihren Scheitel. „Es gibt so viele schöne Dinge auf dieser Welt und wir sehen sie nicht, weil wir viel zu beschäftigt damit sind, unseren eigenen Sorgen hinterherzulaufen." Noch einen kurzen Augenblick lang betrachteten sie durch das trübe Wolkenband hindurch die Skyline New Yorks und zumindest Davis wusste, er würde nie wieder herkommen. 

STARDUST - 365 Tage mit dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt