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Davis selbst war irgendwann in der Nacht in einen tiefen traumlosen Schlaf gefallen. Als er aufwachte, fühlte er sich müde und zerschlagen. Seine Stirn war heiß und seine Augen glänzten fiebrig. Als er hustete, kam aus seiner Kehle ein trockenes Geräusch das alles andere als gut klang. Naja, jede Erkältung ging mal vorbei. Er setzte sich auch und versuchte einzuschätzen wie viel Uhr es wohl war. Den Lichtverhältnissen zufolge mochte etwa 6 Uhr rum sein. Er wusch sich in dem kleinen Handwaschbecken so gut es ging. Spritzte sich das eiskalte Wasser ins Gesicht und schauderte. Erst da fiel ihm auf das es nichts gab, womit er es abwaschen konnte. Na super. Seufzend rieb er sich das Gesicht an dem Ärmel seines grauen Nike Kapuzenpullis ab, den er nun nie wieder tragen würde, können, ohne an diese Zelle zu denken und setzte sich zurück auf die Pritsche. Ihm war furchtbar kalt. Fiebrige Schübe glitten über seinen Körper und er zog seine Knie eng an die Brust und legte die Arme darum. Er hatte seine Medikamente weder heute noch gestern genommen und soweit er sich erinnern konnte, vorgestern auch nicht. Davis hatte bereits längere Episoden ohne seine Medikamente durchlebt und festgestellt das es nicht gut endete. Wahnvorstellungen, Stimmen in seinem Kopf. Schatten die sich zu Kreaturen formten. Er wusste das Schizophrenie viele verschiedene Symptome hatte, und nicht alle führten auf Selbstmordgedanken hinaus. Seine zum Beispiel nicht. Es waren mehr Fantasien und Wahnvorstellungen. Manchmal auch nur kurze Augenblicke, in denen er Leute sah, die schon längst tot waren. Seinen Großvater im Rückspiegel ihres Autos zum Beispiel. Er wusste nie vorher, wann diese Episoden auftraten und wie heftig sie waren, doch wenn er seine Medikamente in den nächsten paar Minuten nicht einnehmen würde, würde es ungemütlich für ihn werden. Doch noch war draußen auf dem Gang alles still. Erst jetzt entdeckte er das auf dem Boden hinter einer eingelassenen Klappe der Tür ein Tablett mit einer dünn mit Butter bestrichenen Brotscheibe lag, daneben eine Edelstahl Tasse mit Wasser. Als wäre er wirklich ein Gefangener. Er schleppte sich mit schmerzenden Gliedern aus dem Bett, ignorierte das Essen trank aber das Wasser. Die kalte klare Flüssigkeit rann seine ausgedörrte Kehle hinunter und sofort fühlte er sich ein wenig lebendiger. Er warf einen verstohlenen Blick auf die Kamera, die so positioniert war, dass sie jeden Winkel der Zelle einnahm. Um ja nichts Verdächtiges zu tun, kehrte Davis zu seiner Pritsche zurück und umklammerte fest seine Knie, damit seine Hände ja nicht um sich schlagen konnten. Er klemmte den Kopf zwischen die Beine, schloss die Augen und versuchte sich zu beruhigen. Hielt die Augen ganz fest geschlossen und versuchte sich einzureden das die Schatten die er flackernd an seinem Blickfeld wahrnahm nicht da waren. Nur das sie es eben doch waren, und er wusste das. Nicht in der Realität, aber in der Wirklichkeit die für Davis Gehirn eben zur Realität wurde. Sein knirschen drang an seine Ohren, als würde jemand mit kiesbesetzten Schuhen in seiner Zelle auf und ab laufen. Er zuckte zurück und meinte fast die körperliche Präsenz einer anderen Person zu spüren. Sein Herzschlag beschleunigte sich, er hielt den Atem an und seine Haut schien plötzlich überall zu spannen und jucken. Die feinen Härchen auf seinen Armen stellten sich auf als würden sie wirklich die psychische Präsenz einer anderen Person spüren. „Du weißt das du dich nicht ewig vor mir verstecken kannst, Davis." Er hob den Kopf und sie stand vor ihm. Roxana. Nur in letzter Sekunde konnte er sich davon abhalten ihren Namen laut auszusprechen, denn ihm fielen die Kameras an der Decke wieder ein. „Was tust du hier?" Wisperte er und betrachtete durch einen Tränenschleier hindurch, wie sie vor ihm in die Hocke ging und liebreizend anlächelte. Ihre Haut war so blass, dass sie fast durchsichtig wirkte und er die Konturen der Wandkacheln dadurch schimmern sehen konnte. Was ihm ein wenig half an der Wirklichkeit festzuhalten. „Du bist gar nicht da, ich habe nur meine Medikamente seit Tagen nicht genommen", wisperte er, den Kopf gesenkt damit die Kamera seine Lippenbewegungen nicht auffangen würden können. Sie griff nach ihm und er zuckte zurück. Es geschah automatisch natürlich, doch als er auf seinen Unterarm blickte und ihren Arm da liegen sah, musste er doch heftig schlucken. Doch er spürte nichts. Natürlich nicht. „Du bist nicht echt, du kommst nur aus meiner Fantasie. Du bist nicht echt, du kommst nur aus meiner Fantasie." Wiederholte er leise, beinahe manisch. Er kniff die Augen fest zusammen, denn anscheinend waren sie Momentan sein größter Gegner. Für Davis war Schizophrenie an alle Sinne gekoppelt, er sah, hörte, fühlte, schmeckte oder roch Dinge die gar nicht da waren. Herausgefunden hatte das seine Mutter ausgerechnet am Heiligen Abend, als er die Illusion einer lichterloh brennenden Küche hatte, noch heute stellten sich ihm die Nackenhaare auf, denn er hatte das Feuer nicht nur gesehen, sondern auch gerochen und die schmerzhaften Verbrennungen beinahe lebensecht nachempfunden. Er hatte damals die Feuerwehr gerufen. Während die das Ganze für den schlechten Scherz eines gelangweilten Jungen gehalten und seiner Mutter eine saftige Rechnung in die Hand gedrückt hatte, war sie aufmerksam geworden und hatte ihn seither mit Argsaugen beobachtet. Natürlich war ihr irgendwann aufgefallen das seine imaginären Spielkameraden, die wohl jedes Kind in jungen Jahren mal gehabt hatte, nichts mit Feen und fliegenden Dinosauriern zu tun, sondern sehr viel ernstere Hintergründe hatte. Er hatte oft stundenlang in seinem Zimmer gesessen und seinem Großvater zugehört wie der Geschichten vom Krieg und von seinem Leben erzählt hatte. Nur dass er dann später entsetzt hatte feststellen müssen, dass sein Großvater lange vor seiner Geburt verstorben war. Mit zunehmendem Alter hatte er zwar gelernt diese Episoden besser zu überspielen und verstecken, aber leider würden sie auch immer lebhafter. Oft wusste Davis nicht, wer ihm was erzählt hatte, was real war und nicht. Eine Zeit lang hatte er sich daher sogar Sticker mit kleinen Notizen unter die Schreibtischplatte geheftet, einfach um Traum und Realität besser unterscheiden zu können. Natürlich hatte seine Mutter die eines Tages beim Sauber machen gefunden, was zu einem riesigen Streit und mehreren Arztbesuchen bei Dr. Brahms geführt hatte. Seitdem nahm er mehr oder weniger regelmäßig seine Medikamente ein. Allerdings hatte noch keine Episode bisher ein so schlechtes Timing gehabt wie die heute, wo ausgerechnet die Person auftauchte, wegen der er in Untersuchungshaft saß. Das Roxana nun auftauchte bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen, denn er sah immer nur bereits verstorbene Menschen. Die Hand verschwand von seinem Unterarm, mit ihr ein eisiger Luftzug. Stattdessen summte sie ein grauenhaftes Lied.

STARDUST - 365 Tage mit dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt