Davis wanderte ohne Ziel vor Augen durch die ruhige Innenstadt. Der Himmel über ihnen war wolkenverhangen und grau und schien ein perfektes Ebenbild seiner Sinne zu sein. Es herrschte ein eisiger scharfer Wind. Der frühe Schnee, der vor einigen Tagen gefallen war, hatte sich zu einer formlosen Matsch Masse verwandelt, die die New Yorker Gehsteige säumte. Hundeurin, Streusalz und Dreck hatten es stellenweise gelblich verfärbt. Abgebrannte Zigarettenstummel und durchnässte Pappbecher ragten daraus hervor. Er beschloss das er Schnee noch nie so hässlich gesehen hatte. Er passierte eine tiefe Häuserschlucht und der Wind fuhr ihm mit ungehemmter Schärfe ins Gesicht. Ihm schien es, als bliese der Herbstwind seine gesamte Enttäuschung entgegen. Kurz verschwamm alles vor seinen Augen, bis er sich wieder fokussierte. Eine der riesige Werbetafeln schien zum Leben zu erwachen, die Hand des Models überproportional groß zu werden und aus der Luft nach ihm zu greifen. Ein Sirren schwang in der Luft mit und drückte auf seine Gehörgänge. Beinahe reflexartig glitt seine Hand in die Tasche, fand das gesuchte und drückte blind zwei Pillen aus einem Blister. Er schluckte sie beide auf einmal trocken, legte den Kopf in den Nacken und wartete bis seine Sinnestrübungen sich wieder legten. Kalter Wind, stinkende Großstadtluft und ein leicht einsetzender Nieselschauer prasselten auf ihn ein. Aus dem Abluftsystems eines chinesischen Imbisses drang warme Luft und der Geruch nach gebrannten Nudeln. Obwohl ihn das wild blinkende Neonschild unter anderen Umständen davon abgehalten hätte, betrat er den kleinen Laden. Rote Lampions hingen von der Decke und an den Stirnseiten des Raumes war ein großes Aquarium angebracht, aus dessen trüben Wasser ihm Fische mit großen Augen und sich hebenden und senkenden Kiemen anstarrte. Dampf wallte aus der offenen Kochnische als ein kleiner untersetzter Koch eine Wok Pfanne mit den Nudeln schwenkte. Er schien den einzigen Kunden im Laden zuerst nicht bemerkt zu haben, drehte sich dann aber um als Davis einen Schritt machte und dabei auf den Schwanz einer kleinen schwarzen Katze trat, die sich im Schatten einer Plastikdrachenstatue zusammengerollt hatte. Das Tier fauchte empört und schlug seine Krallen nach ihm, ehe es fluchtartig davonschoss und dem Koch um die Beine flitzte. Es war so warm, dass ihm schon nach wenigen Sekunden sein dünner, leicht feuchter Anzug wie der dickste Wintermantel der Welt vorkam. Hastig entledigte er sich seiner Jacke, wohl wissend das er sich vermutlich gerade jetzt durch die heftigen Temperaturschwankungen eine Erkältung einheimsen würde. „Was darfs sein?" Der Koch drehte sich zu ihm um. Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn, und nur auf seiner Stirn. Nicht in das Essen wie er inständig hoffte. „Die 49. Bitte." Er verschränkte die Arme und lehnte sich gegen einen der zweckdienlichen weißen Plastikstühle. Der Imbiss verströmte den Charme eines billigen vollgestopften Ramschladens, aber das Essen roch lecker. Und schmeckte auch gut, wie er kurz darauf feststellte, als er sich gebratene Nudeln mit Hähnchen schmecken ließ. „Im Winter ist nichts gut Wetter. Ich wollen nach China gehen, aber Laden läuft so gut." Erklärte der Koch, der anscheinend auch der Betreiber war und stellte ihm unaufgefordert noch einen Litschi Eistee daneben. Davis linste aus dem Augenwinkel in den vollkommen leeren Raum, entschied aber, dass es ihm nicht Wert war was zu sagen. Der Laden lief ja anscheinend gut. Er bedankte sich kurz und beugte sich anschließend tiefer über den Tisch. Sein Handy summte, er ignorierte es. Als es erneut summte, stellte er es auf Stumm. Obwohl das Essen verführerisch roch und er unglaublich hungrig war, verging ihm der Appetit bereits beim ersten Bissen. Er zwängte sich etwa nur die Hälfte der Nudeln in sich rein, ehe er den Teller von sich schob. Als sein Handy erneut zu vibrieren begann, zuckte er gereizt zusammen und drückte den Anruf weg. Er war von Ethan. Davis starrte einen Moment auf das dunkle Display, ehe er sich ruckartig erhob. Ohne sich zu verabschieden, stellte er das Tablett in den dafür vorgesehenen Ständer und verließ den leeren Laden. Bezahlt hatte er bereits. Der Koch hatte sich in einen Hinterraum verzogen. Draußen regnete es Bindfäden. Der triste Nachmittag ließ die bereits angebrachte Weihnachtsdekoration, Lichterketten und Sternlampen an den Straßenleuchten nur noch trostloser wirken. Einsam baumelten die Lichterketten im Wind umher. Von dem Imbiss zum Club war es nicht weit. Doch schon nach wenigen hundert Metern war er komplett durchnässt. Als er durch die wie immer unverschlossene Tür zutrat und Mikey zunickte, schüttelte ein heftiger Nieser seinen Körper. Mikey grinste und entblößte dabei seinen fehlenden Schneidezahn. „Chef ist unten." Er ließ den ehemaligen Eiskunststar links liegen und vertiefte sich wieder in sein Handy. Davis verschwand ins Innere, froh diesem ekelhaften Regen entkommen zu sein. Ethan war nicht auf der Tanzfläche. Auch im Barbereich und im Lager war er nicht. Er fand seinen Freund schließlich im Büro mit großen Kopfhören auf den Ohren über den Schreibtisch gebeugt. Sein dabei so lässiges Outfit, das Bandana und der Zigarettenstummel stand dabei im krassen Kontrast zu den zahlreichen vor Papieren überquellenden Ordnern. Da auf das Klopfen keine Reaktion erfolgte, trat Davis wie selbstverständlich ein. Erst als er im Blickfeld des Clubbetreibers war, hob dieser erstaunt den Kopf. Ethans Mundwinkel verzogen sich zu einem breiten Grinsen, den Zigarettenstummel warf er in eine der unzähligen leeren bereits überquellenden Tassen. Es roch nach kaltem Rauch und Tabak. „Davis, was führt dich zu mir? Du schaffst es auch nicht mal zwei Tage keine Schlagzeilen zu machen? Die Klatschpresse zerreißt sich ja das Maul." Der Angesprochene verzog schmerzhaft das Gesicht. Sein Imagewechsel hatte ja super geklappt. So viel zum Thema blieb unsichtbar. „Ich habe den Streit nicht angefangen." Verteidigte er sich unbewusst. Ethan zuckte mit einer Schulter. „Is mir egal. Aber das der Pisser kein guter Freund ist, hätte ich dir vom ersten Augenblick ansagen können." Er deutete mit dem Zeigefinger auf sich selbst. „Menschenkenntnis und so." Davis ging nicht darauf ein. „Hör mal kann ich mir n paar Klamotten ausleihen?" Der spöttische Blick seines Freundes strich über seinem komplett durchnässten Sakko. „Klar. Meine Sachen liegen im Schrank nebenan. Meine Kleidung, deine Kleidung." Verkündete er großzügig. Davis dankte und Ethan vertiefte sich wieder in seine Akten. Als er den Raum nebenan betrat, schlug ihm zuerst der erneut Intensive Geruch nach Sishatabak und Gras entgegen. Der fensterlose Raum war an der Stirnseite mit einer dunkelroten Tapete versehen über die sich scheinbar mutwillig angebracht, wilde schwarze Farbschmierereien zierten. Es gab ein zerwühltes Bett, dessen Laken halb heraushing und einen verspiegelten Schrank. Allerdings schienen die Regale auch mehr zur Dekoration zu sein, denn als Davis die Tür öffnete, quoll ihm der halbe Inhalt des Kleiderschranks heraus. Na, hoffentlich betrieb Ethan seine Buchhaltung sorgfältiger. Traurigkeit überkam ihm als sein Blick sein Spiegelbild traf. Von dem ehemaligen Stolz und der Arroganz, auf die er so stolz gewesen war, war nichts mehr übriggeblieben. Seine Augen wirkten matt und waren in tiefe Höhlen gefallen. Ein Effekt der durch das düstere Rotlicht des Raumes nur noch weiter verstärkt wurde. Seine Haut spannte so straff über seinen Wangenknochen das er etliche Jahre älter wirkte. Er hatte deutlich abgenommen, an Muskelmasse und Körperfett. Als er so dastand und sich selbst betrachtete kehrte endlich wieder ein Teil der alten Wut zurück und damit auch ein Teil seines selbst. Da er wusste das Ethan kein Problem damit hatte das er hier drin war und die nächsten paar Stunden noch beschäftigt sein würde, ließ er sich auf die Bettkante sinken und streckte die langen Beine von sich. Das Hemd klebte unangenehm feucht an seinem Nacken, doch er ignorierte es und ließ sich rücklings auf das ungemachte Bett fallen. Während er an die Decke starrte, schwirrten die Gedanken nur so um seinen Kopf herum. Geistesgegenwärtig glitt seine Hand zur Hosentasche und er zog sein Handy heraus, als es hell aufleuchtete. Eine Nachricht von Olivia. Lust sich die Nacht, um die Ohren zu schlagen?

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STARDUST - 365 Tage mit dir
Mistério / SuspenseEigentlich läuft in Davis Leben alles perfekt. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Eiskunstlaufkarriere, die Presse liebt ihn und Olympia scheint zum greifen nah. Wäre da nicht diese eine verhängnisvolle Partynacht bei der ein Mädchen verschwindet. Sie...