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Davis plagten derweil ganz andere Sorgen als Hunger und Kälte: Langeweile. Allesumfassende nervenzerrende gähnende Langeweile. Alles, was er kannte, war das Laufen, das hatte seinen Lebensinhalt ausgefüllt und seine Tage. Es nun so brutal entrissen zu bekommen war, als hätte man ihn selbst ein Organ transplantiert. Unter seinen Fingern juckte es und nicht wegen irgendwelchen Hautirritationen. Er hatte sich das ganze Wochenende in der Wohnung herumgetrieben, nachdem sein Vater nicht wie versprochen aufgetaucht war. Von dessen Verlobter auch keine Spur. Obwohl er mitten im Finanzdistrikt war, vermochten die glitzernde Wolkentürme und die glänzende Atmosphäre vor dem Fenster seinen Laune nicht zu heben. Das Internet hatte er nicht aufgerufen, er wollte nicht wissen welche Gerüchte momentan über ihn kursierten. Blake hatte sich nicht gemeldet und seine Familie, falls er den noch eine hatte, auch nicht. Wenn er das richtig verstanden hatte, war er einer Gerichtsverhandlung und einem einhergehendem Urteil um Haaresbreite entgangen doch ob die anderen ihn auch wirklich für unschuldig hielten, stand auf einem anderen Blatt. Er ließ sich auf die weiße Boxspringmatratze fallen und sah sich in dem schlichten, aber luxuriösen Zimmer um. Wenn er die Augen schloss, konnte er spitze Fingernägel über die Wände kratzen hören. Schatten die von überall her zu quellen schienen. Sein Blick fiel auf die Medikamentenampulle, die auf seinem Nachttisch lag. Neue zu beschaffen würde ein Problem werden. Dr. Brahms konnte ihm erst mal gestorben blieben. Warum es sich so hintergangen fühlte das seine Mutter sich ausgerechnet mit Dr. Brahms anbahnte, konnte er nicht richtig benennen, es war wohl eher dieser Allumfassende Verrat und die Tatsache das er in ihren Augen nichts als eine Enttäuschung war. Vielleicht war er das ja auch. Zu nichts anderes zu gebrauchen. Was sollte ein Eiskunstläufer schon tun der nicht mehr laufen konnte? Als eine einsame alberne Träne über seine Wange rollte musste er widerwillig schmunzeln. Mit einem entschlossen Grunzen schnappte er sich seine Lederjacke, die über der Stuhllehne hing und zog die Tür hinter sich zu. Auf der Straße nahm er das erstbeste Taxi, das er fand und ließ sich direkt zum Times Square fahren. Wohin genau war ihm eigentlich egal. Der Verkehr war zäh und der Fahrer nicht besonders gesprächig. Zum Glück. Er grunzte nur einsilbig als Davis ihn nach ewigem Verkehrsstau bezahlte ausstieg und schließlich zu Fuß ging. Interessanterweise waren es nicht die schillernden Werbeanzeigen des Times Square selbst die seine Aufmerksamkeit auf sich zogen, sondern der Hiphop Beat, der einige Hausblöcke entfernt an sein Ohr drang. Er ließ sein ursprüngliches Vorhaben ab und folgte der Musik. Schäbige mehrstöckige Häuser mit windzerbeulten Eingangstüren und blinden Fensterscheiben wuchsen dunkel um ihn herum in den düsteren Nachthimmel. Schuttrohre führten in mehrere große Container in denen sich alte Möbel, Dachpappe und Ziegel türmten. Zweifellos eine der weniger von Touristen besuchten Gegenden. Tauben gurrten von den Dachstöcken und vermischten sich mit den Klängen von Eminems Mockingbird. Straßenlaternen waren nur in großen Abständen angebracht und jede zweite blieb dunkel. An Stromkästen klebten zerfledderte und durchweichte Poster sowie alte Kaugummis. Jemand hatte sich einen Spaß gemacht und das Gesicht des amtierenden Bürgermeisters als Karikatur auf eine Litfaßsäule zu sprühen. Die Nase war dabei so lang, dass sie direkt aus den Augenbrauen herauswuchsen und eher an den Schnabel eines Pelikans erinnerte. Die Beine waren dünn wie Streichhölzer und verschwanden unter einem Bauch dessen Umfang kein Medizinball gerecht wurde. In schrägen Kaligraphischen Lettern war der Slogan Lügen haben kurze Beine gesprüht. Er lief weiter, fiel beinahe in ein Loch. Eigentlich hätte dort ein Kanaldeckel sein sollen doch dieser fehlte und gab den Blick auf eine klaffende runde Lücke in der Straße frei. Es war nicht abzusehen, wie tief der Schacht war. Er runzelte missbilligend die Stirn und trat mit gebührendem Abstand auch über die weiteren Kanaldeckel hinüber. Auch wenn es seltsam aussah, er hatte keine Lust ein weiteres Mal beinahe zu stürzen und sich am Ende noch die Beine zu brechen. Damit könnte er seine Karriere vergessen. Die Erkenntnis das sie auch bereits jetzt schon in Schutt und Asche lag, traf ihn wie ein Schlag mit voller Wucht und trieb ihm Tränen in die Augen. Er war so auf seinen merkwürdigen Spießrutenlauf konzentriert das ihn das glucksende Gelächter eines Typen der im Halbdunkel an ein Gerüst gelehnt stand nicht auffiel. „Was läufst du wie ein besoffener Storch durch die Gegend Mann?" Davis schreckte peinlich berührt auf und führ sich durch die Haare. „Lauerst du mir mit Absicht auf oder macht es dir Spaß mitten in der Nacht rumzustehen und Leute anzugeiern?" Fragte er schneidend. Den Typen anzugreifen war ein Fehler und er wusste das immerhin war der andere eine Unbekannte Variable und obwohl sie ungefähr die gleiche Körpergröße hatten, war deutlich sichtbar das der andere mindestens das doppelte von Davis Gewichten stemmen konnte. Mindestens. Doch statt aggressiv zu werden lachte der Typ nur und drückte seine Zigarette am Geländer aus. Davis sah den kleinen orangenen Glutpunkt in der Dunkelheit aufleuchten und schließlich erloschen. „Willst du in Club?" Der Fremde trat vor und zum ersten Mal konnten sich die beiden Männer sehen. Sie taxierten sich im Halbschalenlicht einer gelben Halogenlampe. Der andere war dunkelhäutig und trug ein breites weißes Bandana über seinen kahl geschorenen Schädel. Außerdem eine breite Collegejacke und weiße Jordans. Seine Jeans war so weit das Davis Beine sicher zweimal reingepasst hätten. „Ich bin Ethan." Sagte der andere schließlich und deutete mit einem Nicken nach hinten, wo Davis den Eingang des Clubs vermutete aus dem die Musik so dröhnend laut drang, dass es seine Ohren zu sprengen drohte. Er taxierte Davis und diesem fiel auf das Ethan beim Sprechen eine Reihe gerader Zähne entblößte, nur der obere linke Schneidezahn war halb abgebrochen und verlieh ihm etwas Bedrohliches. Er sah deutliche Schwielen an den Händen, die nun locker zu Boden hingen, aber sicher kein Problem damit hatten eine Faus zu ballen und zuzuschlagen. Egal auf was. Sein erster Impuls war es höflich abzulehnen, sich umzudrehen und schlafen zu legen. Schließlich wusste er das am nächsten Tag ein langer Tag voller Training anstand. Doch das Training gab es nicht mehr und Davis würde vermutlich nie wieder der Alte sein. Also nahm er Ethans Angebot auf ein Bier zu gehen an. Als sie auf die von Balken gesäumten Tür des Clubs zutraten, stand ein bulliger Türsteher auf, dessen Arme halbe Baumstämme hätte sein können. Ethan nickte lässig nach hinten. „Mikey das ist mein Freund..." „Davis." Warf Davis schnell ein, dem erst jetzt bewusst geworden war das er Ethan gar nicht seinen Namen gesagt hatte. „Davis. Er ist cool." Der Türsteher nickte nur mürrisch und ließ sich wieder auf seinen Stuhl sinken. Alles an ihm wirkte massiv und bullig. „Also Davis. Ich habe dich hier in der Hood noch nie gesehen, dabei kenn ich die meisten. Bist du neu hier?" Ethan führte ihn vorbei an der Garderobe eine steile Kellertreppe hinunter die von Neonleuchten gesäumt war. Der Beat der Musik schien von den Steinen niederhallen und vermischte sich zu einem leisen Echo, was die Umgebung nur noch plastischer wirken ließ. Ethan zündete sich eine neue Zigarette an. Entweder war das hier erlaubt oder es kümmerte ihn schlicht nicht. Wenn hätte wetten müssen, hätte er auf letzteres getippt. „Bin vor zwei Tagen hergezogen." Gab er zurück und kniff die Augen zusammen damit sich die Lichtreflexionen nicht so auf seine Netzhaut brannten. „Willst du auch?" Sein neuer Freund (?) bot ihm eine Kippe an, doch Davis schüttelte dankbar den Kopf. „Ne lass mal. Lieber was richtiges." Wie zum Beispiel ein Bier. „Die Einstellung gefällt mir." Ethan schlug ihm anerkennend auf die Schulter und führte ihm schnurstracks zur Theke. Das ihre Definition von was Richtigem ziemlich unterschiedlich war, kam Davis erst in den Sinn als der andere aus seiner Collegejacke ein Tütchen mit einen weißen Pulver hervorzog. Ethan sah Davis mit seinen trüben dunkeln Augen schräg an. „Ohne Pulver keine Party." Wie sehr er sich in den letzten Wochen verändert hatte, würde ihm erst bewusst als in seinem inneren Stille herrschte. Keine Stimme die ihn davon abriet. Davis starrte das Päckchen an, und traf in einem Sekundenbruchteil eine Entscheidung.

STARDUST - 365 Tage mit dirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt