Olivia öffnete die Tür zur Wohnung und schickte ein Dankesgebet in den Himmel, als diese nicht knarzte. Vermutlich würde ihre Mutter eh aufwachen, spätestens wenn sie Duschen würden. Er trat an ihr vorbei, wobei er den Kopf ein wenig einzog. Eher aus Reflex vermutlich, als dass er wirklich Gefahr lief sich irgendwo anzuschlagen. „Hier lang." Sie deutete im Halbdunkeln auf die erste Tür links. Bis zum letzten Moment hatte sie mit sich gehadert ob sie wirklich einen Fremden in ihre Wohnung lassen wollte, doch das war sie ihm wohl schuldig. „Danke." Seine Stimme klang rau. Ob vor Müdigkeit oder weil sie beide seit Stunden nichts mehr getrunken hatten, vermochte sie nicht zu sagen. Sie betätigte den Lichtschalter im kleinen Badezimmer und die Leuchtröhre über den Badezimmerspiegel erwachte mit einem monotonen Summen zum Leben. Er sah sich um und runzelte ein wenig die Stirn. Vermutlich war er besseres gewohnt, doch sie war ihm dankbar dafür das er schwieg und keinen Kommentar abgab. Sie beobachtete, wie er sich nach vorne beugte und mit den Fingern vorsichtig die Härchen seiner Augenbraue beiseiteschob, um den Schnitt zu begutachten. „Tut's sehr weh?" Erkundigte sie sich mitfühlend und scholt sich innerlich dafür. Natürlich musste die Wunde schmerzen, sie selbst blutete zwar nicht, spürte aber einen großen Bluterguss pochen auf der Hüfte. An der Stelle, wo er sie über den Gartenzaun gerissen hatte. Er schüttelte nur den Kopf und irgendwie nahm sie ihm das sogar ab. Er wirkte nicht wie jemand der sein Leid klagte oder überhaupt weinte. Noch immer kam er ihr merkwürdig bekannt vor und das nicht nur aus dem Diner. Doch das anzusprechen war nicht der richtige Augenblick. „Wenn du kurz wartest, bringe ich dir ein Handtuch und ein paar Wechselklamotten. Deine alten Sachen brauchst du ja nicht mehr schätze ich." Sie deutete mit der Kinnspitze auf die zerrissene Jacke und das schmuddelige weiße Hemd. „Ja klar." Er nickte, lehnte sich an die Waschmaschine, die in dem kleinen Badezimmer wohl die Hälfte des Raumes einnahm. Olivia hastete in den Raum den eigentlich sie bewohnte und schob den schrägen Kleiderschrank zur Seite. In einem Spalt zwischen Wand und Schrank waren einige vergilbten mit staubbedeckten Kartons gestapelt, halb in sich eingesunken. Ihr Herz zog sich für einen Moment zusammen, doch dann mahnte sie sich zur Besinnung. Jetzt war nicht die Zeit, um über solche Wehleidigkeiten nachzudenken. Entschlossener als sie sich fühlte, nahm sie den Deckel der obersten Truhe ab und ertastete Männerkleidung. Sie nahm ein großes Holzfällerhemd heraus, das zwar etwas nach Moder und Staub roch ansonsten aber intakt zu sein schien. Wühlte weiter, fand ein paar Jogginghosen und nahm ein frisches Handtuch aus dem Schrank. Jahrelang hatte sie ihre Mutter versucht dazu zu bewegen die Sachen ihres Vaters und Bruders wegzuwerfen, hatte es schließlich sogar aufgegeben und die Sachen zwischenzeitlich sogar ganz vergessen. Nun war sie zum ersten Mal froh darüber, denn wer hätte den ahnen können das ihr das alte Zeug nochmal von Nutzen sein könnte. Als sie einen raschen Blick durch das Fenster warf, sah sie das der Morgen bereits graute. Kein Wunder es war bereits sechs. Doch trotz allem fühlte sie sich hellwach. Mal sehen, wie das aussehen würde, wenn sie geduscht hatten. Sie gab ihrem Retter seine Sachen und lauschte an der Tür gelehnt dem harten Strahl des Wassers. Doch schon bald kam sie sich wie eine Stalkerin vor, ging in die Küche fand zwei saubere Tassen und setzte einen Tee auf. Als er fertig war und noch mit feuchten Haaren an ihr vorbeilief, ging sie ebenfalls rasch duschen und begutachtete den großen grünvioletten Fleck, der sich an ihrer Hüfte gebildet hatte. Das schöne Andenken würde ihr noch einige Wochen erhalten bleiben, so viel stand sicher. Nur wenig später kniete sie mit einem Verbandskasten zwischen den Beinen vor ihm. Er hatte sich mit dem Rücken an die Wand gelehnt und roch zwischen dem herben Waldgeruch irritierend nach Blumenwiese. Sie unterdrückte ein Schmunzeln und sah stattdessen zu wie das fahle Morgenlicht durch den Vorhang schien und über seine schmale gerade Nase strich. Beim Duschen war der Schnitt wieder aufgequollen und frisches Blut rann sein Augenlied hinab. Sie nahm ein Wattepad und reinigte und desinfizierte die Wunde. Er hielt die Augen geschlossen, doch als sie sich nun seiner Hand widmete und sie vorsichtig in seinen Schoß nahm merkte sie das sein Blick auf ihr ruhte. „Wir haben uns noch nicht mal vorgestellt." Brach sie schließlich das einvernehmliche Schweigen. „Stimmt." Er klang so, als wäre ihm das jetzt erst aufgefallen. „Ich bin Olivia und du?" „Davis." Das leichte Zögern in seiner Stimme war ihr nicht entgangen. Er schien auf etwas zu warten, entspannte sich aber merklich, als sie nicht reagierte. Sie wickelte einen Verband ab. „Freut mich dich kennen zu lernen Davis." Sie gab ihm ein kleines Heftpflaster und er klebte es sich auf die Augenbraue. „Läufst du immer nachts auf solchen Wegen herum?" Er klang beinahe so, als würde es ihn wirklich interessieren. Sie seufzte, während sie den Verband um seine Hand legte. „Nein natürlich nicht." Er musste sie ja für ein totales Dummchen halten. „Ich hatte sozusagen einen Streit mit meiner besten Freundin. Rebecca sie..." Sie ist ein Riesenfan von dir. Sie stockte als ihr Gehirn ihr endlich eine Antwort lieferte, ein fehlendes Puzzleteil und nun wusste sie endlich, woher er ihr so bekannt vorkam. Bis auf wenige Interviews hatte sie sein Gesicht nur auf dem kleinen Bildschirm im Hinterzimmer des Diners gesehen oder in den Hochglanzzeitschriften, die ihre Freundin immer mit sich zu tragen pflegte. Oder auf dem Eis in den eleganten glitzernden Kostümen. Nie hatte sie ihn mit so etwas brutalem assoziiert wie einer Schlägerei oder darüber nachgedacht, dass er in dem Baumfällerhemd ihres Vaters vor ihr sitzen und von ihr verarzten ließ. In ihrem Badezimme. Andererseits war seine Figur sehr kontrovers porträtiert. In den Medien herrschten eine Menge Gerüchte über ihn. Sie merkte das ihr Schweigen zu lange andauerte, und wollte grade hastig fortfahren, doch er hatte sie durchschaut. Selbst mit dunklen Augenringen unter den Augen und viel zu wenig Schlaf schien sein Verstand noch immer messerscharf zu funktionieren. „Wenn du irgendwelche Fragen hast, dann stell sie. Falls du filmst, versteck es gar nicht erst. Ich sehe es sowieso, wenn es im Internet auftaucht." Er klang grob distanziert. Sie ließ von seiner Hand ab und schüttelte heftig den Kopf. „Ich würde sowas niemals tun. Ich meins ernst." Versicherte sie ihm hastig, und merkwürdig getroffen davon das er so schlecht von ihr dachte. Er maß sie mit einem schneidenden Blick, der so prüfend war, das sie schlucken musste. Doch sie zwang sich ruhig zu bleiben und den Blick nicht abzuwenden. Das musste wohl der Davis sein der mit seinen Managern über Millionenverträge verhandelte und die Konkurrenz ausschaltete. Zuckte durch ihr Gehirn und im gleichen Moment dachte sie noch das man sich einen, wie ihn nicht zum Feind machen wollte. „Also gut." Er ließ seinen Blick ein wenig weicher werden, ohne jedoch die Härte aus seiner Stimme zu nehmen. Sie atmete innerlich auf. „Danke." „Hmm?" Sie zuckte zurück und runzelte die Stirn, weil sie im ersten Moment wirklich nicht wusste, wovon er sprach. „Die Hand, danke." Er hob sie hoch und deutete auf den Verband. Ein Lächeln huschte über seine Züge und vertiefte seine Grübchen. Sie schüttelte nur den Kopf. Sie kannte niemanden außer Davis der seine Emotionen so unfassbar gut unter Kontrolle hatte. Immer nur das von sich zeigend, was er wollte das der Gegenüber sah. Es war beinahe ironisch das es ausgerechnet diese perfekte Kontrolle war, die den Menschen Anlass zu Spekulationen gab. Sie wichen auseinander und eine kleine spannungsgeladene Pause stand, in der sie sich musterten. „Willst du hier übernachten? Also ich weiß das es nicht mehr dunkel ist, aber zumindest... du weißt doch was ich meine. Also du musst natürlich nicht. Nur wenn du willst." Sie faselte. Oh Gott. Seine Grübchen vertieften sich. Jetzt kommts dachte sie und senkte für einen kurzen Augenblick die Lider. Jetzt macht er sich gleich über mich lustig, weil ich mich wie ein Dreijährige aufführe die nicht weiß, wie man richtig spricht. Sie spannte die Schultern an und wappnete sich innerlich auf ein Nein. Doch er überraschte sie um ein weiters mal, indem er sich umsah und einfach nur: „Ich schlaf außen", sagte.
Ein Klopfen weckte sie. Ohne eine Antwort abzuwarten, steckte ihre Mutter den Kopf zur Zimmertür, die Haare wie immer wirr in alle Richtungen abstehend. „Es ist schon fast Abend Schätzchen, musst du denn nicht zur Arbeit?" Mit diesen Worten ging sie laut und schief einen Katy Perry Song trällernd zurück ins Wohnzimmer und ließ die Tür offenstehen. Olivia blickte neben sich und sah das das Bett leer war, die Decke ordentlich zurückgezogen. Sie tastete mit der Hand unter der Matratze und fühlte das diese kalt war. Er war schon lange fort. Eigenartig enttäuscht stand sie auf und warf einen Blick auf die Wanduhr. Fast fünf. Tatsächlich, sie hatte den ganzen Tag verschlafen. In weniger als einer Stunde fing ihre Schicht bei Joey an. Sie ging zum Schrank, um sich umzuziehen und bemerkte dabei das hinter dem Griff ein kleiner Zettel geklemmt war. Mit bebenden Fingern zog sie ihn hervor und faltete ihn, auseinander. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.
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STARDUST - 365 Tage mit dir
Misterio / SuspensoEigentlich läuft in Davis Leben alles perfekt. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Eiskunstlaufkarriere, die Presse liebt ihn und Olympia scheint zum greifen nah. Wäre da nicht diese eine verhängnisvolle Partynacht bei der ein Mädchen verschwindet. Sie...