Davis hatte ein haareraufendes Abendessen hinter sich, das eindeutige auf den Mist von Brahms gewachsen war. Der Sportarzt war nun fest bei ihnen eingezogen, da so eine überstürzte Sache nicht so recht zu seiner Mutter passte, machte es ihm nur umso deutlicher wie lange diese Sache nun schon wirklich zwischen ihnen lief. Er machte um des Friedens willens gute Miene zum bösen Spiel, jedoch verlief das Abendessen sehr schweigsam. Überraschend genug das sie ihn überhaupt einluden, geschweige denn wussten das er hier war. Schließlich hatte er niemandem davon erzählt. Doch er konnte sich denken, woher seine Mutter es wusste. Amanda. Sie schien ihn wirklich zu mögen und er tat das auch. Nur verstand er nicht wie sie mit so einem Arschloch von Mann wie seinem Vater zusammen sein konnte. Er kannte sie nicht gut genug, um zu sagen ob es am Geld lag, aber so schätzte er sie nicht ein. Er hatte mittlerweile erfahren das sie ein recht bekanntes ungarisches Model war und in ihrer Frühzeit einige sehr gut bezahlten Werbedeals eingehandelt hatte und für große Designer auf den Laufstegen dieser Welt gelaufen war. Am nächsten Morgen brach er noch früh vor dem Frühstück auf, verabschiedete sich von Brahms und seiner Mutter. Machte jedoch keine weiteren Treffen aus. Auch das knappe bis dann seiner Mutter hinterließ einen schalen Beigeschmack. Kein; pass auf dich auf, schön dich zu sehen. Oder ich vermisse dich. Doch was hatte er auch erwartet? Er stieg die vereisten Stufen nach unten, rutschte aus, nur der blanke Instinkt rette ihn davor zu fallen und auf dem blanken Boden aufzuschlagen. Seine Handknöchel schlugen schmerzhaft gegen das gefrorene Geländer das Davis vor dem Sturz bewahrten. Die letzten Meter zum Wagen lief er sehr viel vorsichtiger. Der Wagen hatte über Nacht in der Einfahrt gestanden und die Scheibe war gefroren. Prüfend kratzte er mit den Fingerspitzen darüber und stellte fest, dass sie recht dick war. Genervt ließ er die Heizung auf Hochtouren laufen und holte den Scheibenkratzer heraus. Dank der Scheibenheizung schmolz das Eis recht schnell und er konnte den Wagen nach wenigen Minuten nutzen. Er stieg ein, wendete und fuhr die mehr schlecht als recht gestreute Auffahrt zum Highway. Seine Mutter würde das Auto heute nicht brauchen. Es war ein geschäftiger Samstagmorgen. Dicht eingemummelte Passanten schlenderten durch die Einkaufspassagen über deren Straßenschluchten sich Girlanden gespannt erstreckten. Weihnachtsbeleuchtung wurde in der gesamten Stadt angebracht. Sterne und große Glocken, die unter die Laternen gehängt wurden und abends bald statt der üblichen Beleuchtung brennen würden. Doch die friedliche Atmosphäre wollte sich nicht so recht einstellen. Ein großer Klotz brannte in seiner Brust. Als Davis eintrat und von der Bedienung gegrüßt wurde, war sie schon da. Er schloss die Tür hinter sich und der Schwall kalte Luft den er mitgebracht hatte, verflog zum Glück schnell. Sie hatte ihn noch nicht bemerkt, saß mit dem Rücken zu ihm, das Kinn in die Hände abgestützt und sah nachdenklich durch die angelaufenen Scheiben hinaus. Ihre langen Haare schienen deutlich kürzer, vielleicht lag es aber auch nur daran das sie zu einem lockeren Zopf geflochten waren, der sie jünger wirken ließ. Als hätte sie seine Anwesenheit plötzlich gespürt, sah er wie sie einige Sekunden lang verharrte und sich dann zu ihm umdrehte. Ihre Blicke trafen sich nur wenige Millisekunden lang dann schossen Tränen in ihre Augen. Er bahnte seinen Weg vorbei an den schrecklich pinken Plüschsesseln an den vielen Leuten, bis sie sich gegenüberstanden. Ihre Wangen waren deutlich runder, ihr Bauch hob sich sichtlich ab. „Oh Davis. Es tut mir so leid, dass ich beim letzten Mal so scheußlich zu dir war. Es tut mir so leid." Sie fiel ihm um die Arme und schluchzte in seine Schulter. Davis hielt seine bebende Schwester fest, erwiderte die Umarmung erst steif dann herzlicher. Schließlich löste er sich von ihr und schob sie ein wenig weg. „Gut siehst du aus. Schwanger." Sie lachte unter Tränen. „Du verstehst wirklich was von Charme. Ich hoffe nur das du deinen zukünftigen Freundinnen bessere Komplimente machen wirst." Sie knuffte ihn, wobei sie sich gleichzeitig mit dem Ärmel über die Augen wischte. „Lillys. Manche Dinge ändern sich eben nie." Zog er sie auf und griff nach der Karte. „Dachte manche Dinge ändern sich nie, du bestellst doch eh wieder nur das Gleiche." Erklärte seine Schwester in demselben besserwisserischen Tonfall wie es eben nur Eltern tun können und entzog ihm die Karte wieder. „Vermutlich." Gab er ihr achselzuckend recht. Kacey bestellte und wandte sich dann wieder ihrem Bruder zu. „Erzähl. Wie ist New York so?" „Schön. Voll, laut. Kalt." Er wickelte sich den dicken Schal von den Schultern während er sämtliche Adjektive aufzählte die ihm einfielen. Kacey verdrehte die Augen. „Also deinem Repertoire an Adjektiven in allen Ehren. Wie ist Dad so?" „Er ist ein Arschloch." Platzte es, ohne zu überlegen aus Davis heraus. „Mehr Geschäftsmann als Vater. Aber das wusstest du sicher. Du hättest es mir ruhig erzählen können." Sie besaß den Anstand beschämt auf die Tischplatte zu starren. „Du hingst so an unserem Vater ich wollte dir die Illusion nicht nehmen das er in Wahrheit gar nicht hinter deinem Eiskunstlaufen steht. Er ist gegangen, weil er seinen Sohn nicht in Strumpfhosen und Glitzerkostümen aufwachsen sehen wollte, wie hätte ich dir das erklären können?" Sie zuckte mit den Schultern. Er sah ihr tief in die Augen. „Hör zu Kac, ich bin dir nicht böse. Diesen Dad hätte ich auch nicht in unserem Leben gewollt. Einmal ist es okay das du mich so belogen hast, aber bitte nicht öfter okay?" Seine Schwester brach den Blickkontakt zuerst ab als die Kellnerin ihn ihre Pancakes servierte. Eine Spur zu erleichtert, wie es ihm schien. „Hattest du eigentlich jemals den Verdacht das Blake eifersüchtig auf mich war?" Erkundigte er sich beiläufig, während er den dampfenden Stapel Pancakes aufschnitt und zusah, wie die heißen Beeren mit der Vanillesoße in den Spalt flossen. Kacey, mit bereits vollem Mund sah ihn erstaunt an. „Das ist doch so offensichtlich. Du bist doch der Grund, warum er Paarlaufen überhaupt erst gemacht hat." „Ich?" Gab Davis verblüfft zurück und zog die Nase kraus. Seine Schwester schluckte den Bissen hinunter und spülte ihn mit einem Schluck Kaffee runter. „Ich fasse es nicht das es dir wirklich nicht aufgefallen ist. Ich hatte immer nur gedacht du überspielst das und bist aus Mitleid mit ihm befreundet." Davis starrte sie nachdenklich an. „Eigentlich bin ich mit ihm befreundet, weil ich ihn wirklich mag. Oder war. Keine Ahnung ehrlich gesagt mehr." Er rieb sich heftig die Nasenspitze. „Blake wollte schon immer Einzellauf machen, zumindest ganz am Anfang. Ihr wart ja in derselben Kinder und später Jugendgruppe. Aber anscheinend hat ihm sein Trainer damals geraten es lieber mit Paarlauf zu probieren da er gegen dich im direkten Wettkampf eh keine Chance hätte und er keine Lust hatte ewige Zweitplatzierte auszubilden. Natürlich hat ihn das damals gewurmt, aber ich schätze mal er hat sich einfach damit abgefunden und seine Partnerin und er waren ja wirklich ein tolles Team. Ich schätze alle haben das mit der Zeit vergessen. Der Eissportverein hatte ja dich als Aushängeschild. Erst jetzt wo du weg bist, hat Blake allen in Erinnerung gerufen das er nach wie vor Ambitionen an einer Solokarriere hat. Er hat zwar nicht dein naturgegebenes Talent, aber das kann ja mit fleißigem Üben aufgewogen werden. Er hat ja auch sämtliche deiner Sponsoren und Trainer übernommen, der Vereinsvorstand gibt sich jegliche Mühe dich in Vergessenheit geraten zu lassen, auch wenn ihnen das natürlich nicht gelingt." Sie grinste leicht. „Aber das müsstest du doch eigentlich längst wissen." Seine Schwester kräuselte verwundert die Stirn. Er legte die Gabel beiseite. Ihm war der Appetit vergangen. „Natürlich weiß ich das mit den Sponsoren. Evan hats mir gestern erzählt." Davis seufzte schwer, setzte sich aufrecht hin und erzählte seiner Schwester im selben Atemzug von dem Sponsoring des Molkerei Erzeugnis Herstellers. Woher genau der Vertrag kam, verschwieg er. Die Herkunft war egal. Seine Schwester musste nicht wissen das diese Idee im Bett zweier junger Leute entsprungen war. „Ich kanns nicht glauben. Du hast einen neuen Sponsor gewonnen, trotz allem und du musstest nicht mal etwas dafür tun. Anscheinend glauben einige Leute immer noch an dich." Kacey war begeistert. Er weniger. „Ich werde abschlagen. Ich werde es nicht machen Kac." Sie starrte ihn geschockt an. „Ich werde das Laufen aufgeben. Ich hab's Dad versprochen." „Was hat Dad denn jetzt mit der ganzen Sache noch zu tun, vor einigen Minuten hast du noch gesagt er wäre ein Arschloch?" Völlig verdutzt sah sie ihn an. „Ist er ja auch, aber das ändert nichts an der Sache. Er hat Recht. Es war ein schillernder Traum mehr nicht. Und dieser Traum wird eben von der Realität überschattet." Ein stählernes Funkeln schlich sich in Davis Blick. „Ich habe ein Fernstudium angefangen und werde mit Abschluss in sein Unternehmen mit einsteigen. Es ist so das Beste." „Natürlich. Das hat Dad dir doch sicherlich erzählt, oder? Das waren nämlich genau seine Worte, als er Mum verlassen hat, wäre er geblieben müsste sie nicht deinen widerlichen Arzt vögeln." Ihre Stimme hatte sich bei den letzten Worten stark angehoben, sämtliche Gespräche in dem kleinen Café waren verstummt. Selbst die Musik schien leiser und nicht mehr als ein unbedeutendes Hintergrundrauschen zu sein. Oh oh. Seine Schwester war knallrot geworden und starrte verlegen zu Boden. „Ich erwarte nicht, dass du das verstehst, Kac." Davis nestelte am Kragen seines Pullovers herum. Wie leicht ihm diese Worte von der Zunge gingen. Mit jedem Mal die er sie aussprach mehr. Als wäre er gerade wirklich dabei sich von seinem lebenslangen Traum Stück von Stück zu lösen, ohne dass er es wirklich bemerkte. Seine Schwester sah ihn an, in ihren Augen schwammen wieder Tränen doch diesmal nicht voll bedauern und Freude ihn zu sehen. „Du hast dich sehr verändert Davis. Du bist so kalt und kalkuliert geworden. Gefühle haben für dich noch nie viel Bedeutung gehabt, doch wenn es eine Sache im Leben gab, die dir immer wichtig war. Wichtiger als deine Familie und deine Schwester sogar, dann war es das Laufen. Gib das nicht auf, nur weil andere Leute dich zu verändern versuchen." „Mich verändert niemand Kacey. Es war meine eigene Entscheidung, ich bin eben erwachsen geworden. Manche geben ihre Karriere auf um schwanger zu werden und eine Familie zu gründen." „Ich hatte nie so eine Karriere in Aussicht wie du sie hattest. Du hättest der Beste werden können. Aber manche geben ihre Karriere eben auf, um einsam zu werden." Ergänzte sie tonlos. Sie erhob sich, ohne die Tränen zurückhalten zu wollen die ihre Wangen hinabliefen. „Du bist genau wie unsere Eltern. Ein kaltes gefühlloses Monster. Mit diesen Eigenschaften wirst du der perfekte Geschäftsmann. Pass nur auf das du dich nicht selbst an den Kanten an deiner eigenen scharfen Zunge schneidest Davis." Ohne ihm noch einen Blick zuzuwerfen verließ sie das Café. Als die Tür hinter ihr zuschlug, hatte Davis zum zweiten Mal das Gefühl seine Familie zu verlieren. Nur diesmal endgültig. Er ließ den Kopf auf die Tischkante sinken und gab sich für einen kurzen Augenblick dem Gefühl der Erschöpfung hin. In seinem Kopf raste alles. Dann jedoch zwang er sich wieder aufzurichten und rieb sich mit dem Daumen aufquellende Tränen aus den Augen. Er hatte gründlich versagt, war heute in dieses Treffen mit seiner Schwester und gestern zu dem Essen mit seiner Mutter gegangen in der Absicht einige Fehden wieder zu glätten und Frieden herzustellen. Stattdessen hatte er nichts als Schmerzen und verbrannte Erde hinterlassen. Hatte ein Beil in einen Baum getrieben, der von Anfang an schon bis auf die Grundfesten gespalten war, nachdem er ihn versucht hatte mit Tape zu kleben. Er wollte gerade auch gehen als sein Blick auf einen großen Flachbildschirm fiel, der schräg hinter ihm von der Decke hing. Bilder wurden eingeblendet, von einem Eiskunstläufer in einem schimmernden Anzug gehalten in den kühlen Tönen des Meeres über und über bestickt mit kleinen Glitzersteinchen. Obwohl er es mittlerweile gewöhnt war sein Gesicht in irgendwelchen Zeitschriften und Nachrichten zu sehen, stockte ihm das Herz. Nicht wegen des kurzen eingeblendeten Videoclips selbst, sondern was dieser Anzug verkörperte. Er hatte ihn Anfang des Jahres in die Auswahl des Olympischen Komitees gebracht. Obwohl es keine zehn Monate her war, schien es ihm, als würden zwischen dem Davis auf dem Eis und dem Davis in Anzugshose und Pullover in dem Café Jahrzehnte liegen. Als würde er eine viel jüngere Version seiner selbst betrachten. Zu einer Zeit, als alle noch geglaubt hatte, er hätte eine glänzende Zukunft vor sich. Er beendete den Lauf einer perfekten Kür, man sah wie die Zuschauer jubelnd aufsprangen und begeistert in die Hände klatschten. Dann wurde sein Gesicht in Großformat eingeblendet. Davis Baker der Gefallene Star, stand da in reißerisch großen Lettern und kleiner flimmerte der Text. Neue Beweise aufgetaucht das sich die Tatnacht anders ereignet hat, als bisher vermutet. Haben wir alle Davis zu Unrecht verdächtigt? Polizei fahndet nun nach dem wahren Mörder." Die Menschen, die ihn natürlich auf dem Bildschirm erkannt hatten, sahen sich an. Dutzende Köpfe drehten sich zu ihm und Davis sah, dass ein erster bereits sein Handy zückte. Beinahe frenetisch zückte er sein Portemonnaie und fummelte einen Fünfzig Dollar Schein heraus. „Danke. Stimmt so." Murmelte er und drückte es der mit offenem Mund dastehenden Bedienung in die Hand. „Davis willst du nicht..." Rief sie ihm hinterher, doch er hob abwehrend die Hand. Ein Mann mittleren Alters war aufgesprungen und eilte ihm nach. „Davis warten Sie mal." Doch Davis beschleunigte seine Schritte und eilte rasch die Straße runter, wo sein geparktes Auto einige Hundert Meter entfernt stand. Er hörte rasch schnaufende Schritte hinter sich. „Bitte. Es muss doch Leute geben, denen Sie vertrauen. Ihre Geschichte muss erzählt werden. Die Presse zerreißt sich doch das Maul über Sie." „Ach und sie sind nicht von der Presse, oder was?" Fauchte Davis und suchte hektisch in seinen Manteltaschen nach dem Autoschlüssel. „Doch." Gab der Mann zwischen zwei heftigen Schnaufern zu. „Aber ich arbeite für eine seriöse Zeitung. Wir halten uns an Fakten und Wahrheiten." Davis warf ihm einen ungläubigen Blick zu. „Dann wissen Sie aber schon das Meinungen subjektiv sind. Ich könnte Ihnen eine Version erzählen, die für mich die Wahrheit ist. Meine eigene subjektive Wahrheit, die sich nicht zwangsläufig mit dem Überschneiden was andere über diese Nacht erzählen." Verdammt. Er war wirklich gut darin sich selbst zu verteidigen. Diese krumme Ansicht würde die Regenbogenpresse nur umso gieriger aufschnappen. Der Journalist verschränkte die Arme. Der Mann war etwa um die fünfzig, trug eine Baseballcap und hatte einen spitzen Zeigebart, der in seinem fülligen Gesicht nur noch erbärmlicher wirkte. Davis der seinen Autoschlüssel endlich zwischen dem ganzen Kaugummis und Kabeln in seiner Jackentasche gefunden hatte, seufzte erleichtert auf. „Vergessen Sie bitte einfach, was ich gesagt habe." „Ja natürlich." Der Mann schien aufzugeben und trat einen Schritt zurück. Ihre Blicke trafen sich als Davis einstieg. Beide wussten genau, dass er das natürlich nicht vergessen würde.

DU LIEST GERADE
STARDUST - 365 Tage mit dir
Misteri / ThrillerEigentlich läuft in Davis Leben alles perfekt. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Eiskunstlaufkarriere, die Presse liebt ihn und Olympia scheint zum greifen nah. Wäre da nicht diese eine verhängnisvolle Partynacht bei der ein Mädchen verschwindet. Sie...