Sieben: Handel

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Ich lasse ihn also gewähren als er nach meiner Hand greift, ich lasse mich sogar mitziehen, denn ich will herausfinden was er im Schilde führt. Was für Pläne er verfolgt. Auch wenn das wahrscheinlich ziemlich dämlich ist. "Schau mich an", fordert er mich auf, während ich den Schulboden vor mir fixiere.
Mein kalter Blick hebt sich nun in seine Augen. Wir bleiben stehen, mitten im Schuldflur, das führt natürlich dazu, dass sich hinter uns jemand darüber aufregt. Aber Will lässt sich davon nicht beirren und küsse mich. Nur kurz, aber dennoch viel zu lang. Alles ist mir schäumt vor Fassungslosigkeit. Natürlich weiß ich, dass diese Situation meine Schuld ist. Aber alles hat seinen Preis, so auch mein Wille nach Antworten.

"Lächeln.", meint er schelmisch grinsend. Es ist offensichtlich, dass ihm diese Situation gefällt und sogar Spaß macht.
Ich koche derweil vor Wut, weil er sich zu viel rausnimmt und ich mit mir selbst nicht im Reinen bin. Ein Teil von mir, möchte ihm nämlich tatsächlich vertrauen. Es wäre auch besser, wenn er auf meiner Seite ist, sonst muss ich jede Sekunde mit einem Mordversuch rechnen. Auch wenn er momentan nicht so aussieht, als hätte er daran Interesse.

Ich ziehe meine Mundwinkel hoch, lasse alle sehen, dass ich glücklich bin, zumindest äußerlich. Wir gehen dabei den Gang entlang. Ich spüre dabei die vielen Blicke auf unseren umschlungenden Händen. Wenn ich die Augen schließe, höre ich das Getuschel: "So eine Schlampe" und "Die macht sich auch an jeden ran..."
Ich erstarre, wollte ich nicht genau das vermeiden?
Dann passiert alles ganz schnell, bevor ich zu Ende denken kann. Will hat meine Hand schon längst losgelassen und ist auf die Mädchen Clique zugestürmt und bäumt sich nun vor ihnen auf. "Niemand beschimpft meine Freundin derart! Wenn du das noch einmal tust, wirst du es bitter bereuen." Das Mädchen zuckt sehbar zusammen und stottert eine Entschuldigung. Man sieht ihr an, dass sie sich vor Angst gleich zusammen bricht. Alle im Gang sind still geworden und beobachten das Spektakel genau. Ich schaue nur peinlich berührt zum Boden. Noch nie hat jemand so etwas für mich gemacht, aber es ist auch nie nötig gewesen. Er hat mich erst in diese Situation gebracht, aber es wieder ausgebügelt. So wie es sich wohl gehört.
Will kommt zu mir zurück, streicht mir sanft über die Wange und nimmt meine Hand, dann gehen wir weiter und lassen den stillen Schulflur hinter uns.

"Hey Lucas mal wieder eine neue Bitch am Start?" Lachend kam uns ein Kumpel von Lucas entgegen. Man sah ihm direkt an, dass er jeden Tag eine neue aufreißt.
"Halt deine Fresse, Daniel, sie ist viel zu hübsch um eine Bitch zu sein, außerdem ist sie nicht meine Freundin. Sie ist meine Schwester."
Daniel sagte nichts mehr. Wahrscheinlich war ihm die Situation unangenehm, zumindest sollte es das. So ergriff er wenigtens schnell wieder die Flucht.
"Danke, aber das wäre nicht nötig gewesen.", hauchte ich und schenkte Lucas einen schüchternen Blick.
"Doch natürlich. Ich bin dein bester Freund. Ich bin da um dich zu beschützen."

"WAS HAST DU GETAN?", meine Selbstbeherrschung war gerade null und nichtig. Die Schultüren sind hinter uns zugefallen. Ich konnte meine Gefühle bis eben nicht definieren, also greife ich jetzt auf Wut zurück. Alles andere würde mich verletzlich aussehen lassen.
"Ich habe gesagt wir wären ein Paar. Hast du nicht zugehört?", mal wieder dieses Grinsen und dieser dreiste Unterton. Noch einmal mehr wird mir bewusst, dass ich nicht zu Boden hätte starren sollen, ich hätte ihn nicht einmal gewähren lassen sollen meine Hand zu greifen. Er ist mein Feind! Doch alles in mir schreit das ich ihn nicht als Feind will, aber das will ich mir jetzt sicher nicht anmerken lassen. Ich muss ihn hassen, das ist einfach so. Am besten ist es, wenn ich mir das nun öfter vor Augen führe.
"DU. WOLLTEST. MICH. UMBRINGEN!", schreie ich nun extra laut damit ich den Konflikt in meinem Inneren ausblenden kann. Betone dabei jedes Wort extra stark um ihnen mehr Bedeutung zu verleihen.
"Ich habe nie gesagt, dass ich dich liebe. Vertrau mir einfach, du wirst schon sehen. Ab jetzt wird alles anderes. Spiel einfach eine Woche mit." Seine Stimme ist nun seltsam ruhig und augenblicklich werde auch ich leiser. Wieso lasse ich mich auf seine charmante Art ein?
"Was soll das?", frage ich kaum hörbar, ich bin einfach völlig verwirrt. Er ist doch mein Auftragsmörder.
"Das ist ein Handel."

-

"Hey Luce. Ich hab gehört du bist mit dem Neuen zusammen?", Lucas Stimme klingt dabei ungewohnt herablassend.
"Was soll das Lucas, du kennst seinen Namen." Nur ein Schweigen, das gefällt mir nicht.
"Hey, Lucas.", Sarah kommt angeschlendert und stellt sich schließlich neben ihn. Sie ist fast so groß wie er.
"Lucinda." Ich beobachte sie genau, dieses Mal übersehe ich nichts. Will hat Recht gehabt, auch wenn ich das nicht angezweifelt habe. In diesem Punkt hatte er keinen Grund zu lügen. Ich habe zwar nicht gewusst das sie ein Werwolf ist, aber jetzt sehe ich es umso deutlicher. Sie tut die ganze Zeit über so, als hätte sie keine Kraft. Versucht schwach zu wirken, dass muss auf Dauer ziemlich anstrengend sein. Aber Werwölfen sieht man die Stärke nunmal mehr an als Vampiren.

"Sie macht das sehr gut", Will steht nun wieder hinter mir. Niemand sonst hat seine Bemerkung hören können. Dann richtet er sich an Lucas, setzt dabei seine widerliche charmante Stimme auf. "Entschuldigung. Da sie keinen Vater hat bist du wohl meine erste Anlaufstelle. Darf ich mit ihr zusammen sein?", er lächelt und fast hätte ich ihm diesen Mist abgekauft. Er sieht nämlich fast ehrlich aus. "Natürlich." Lucas Blick ist eisig und damit geht er dann auch, gefolgt von Sarah. Ich schaue ihm traurig nach, es bricht mir das Herz ihn so abweisend zu sehen.
"Er wird dir verzeihen wenn du ihn heute besuchst", meint Will und versucht damit wohl mich aufzubauen. Aber ich frage mich bloß, woher er das wissen will.

-

Aus Lucas Wohnung dringt laute Musik. Mein Klopfen wird seit zehn Minuten konsequent ignoriert, ich weiß nunmal das er mich hört. Deswegen gebe ich jetzt auch nicht auf, er ist mir wichtig. Da lasse ich mich durch sowas nicht aufhalten.
"Lucas, bitte. Lass mich rein."
Schritte, doch nicht die von Lucas. "Er will dich nicht sehen, Lucinda."
Sarah.
Ich schiebe mich an ihr vorbei, dass ist mir jetzt endgültig zu blöd. Ich mache die Musik aus und suche Lucas kurz mit meinen Blick. Er liegt auf der Couch, Sarah setzt sich gerade neben ihn. Mein Herz zieht sich zusammen. Unsere Couch. Auch wenn dieser Gedanke wohl melodramatisch erscheint.
"Sarah, gib uns bitte zwei Minuten", bitte ich, doch sie schaut bloß erwartungsvoll zu Lucas, dieser jedoch stimmt mir zu. Also steht sie schnaubend auf und geht in die Küche. Sie wird uns natürlich trotzdem hören, aber es ist mir so trotzdem angenehmer.

"Lucas, was ist los?", frage ich leise und gehe einen zögerlichen Schritt auf ihn zu.
"Nichts. Alles gut", meint er und versucht nicht einmal zu verbergen, dass nichts gut ist.
"Lucas!"
"Ja was? Warum bist du nicht bei deinem neuen Freund, er scheint dir wichtiger zu sein als ich. Du hast mich in der Pause versetzt", er klingt wirklich gekränkt, ich wollte ihn nicht verletzten. Habe aber nicht daran gedacht, dass ich es könnte.
"Es tut mir leid, es ist nur so.. er ist.."
"Er ist was?", seine Stimme ist schneidend wie ein scharfes Messer.
"Er ist mit mir zusammen", meine ich und sage damit etwas ganz anderes, als geplant.
Schweigen. Hat er Will vorhin nicht ernst genommen? Vielleicht hat es es für einen schlechten Scherz gehalten.
"Lucas, ich brauche dich. Lass mich jetzt bitte nicht einfach fallen wie eine heiße Kartoffel", sage ich traurig, aber auch mit dem Ziel ihm ein leichtes Lächeln zu entlocken.
Ein Zögern. "Ich brauche dich auch, Luce. Okay? Und jetzt auf einmal..", doch ich unterbreche ihn, bevor er etwas dummes sagen kann: "Es wird sich nichts ändern, Lucas. Wenn er dich nicht leiden kann, bekommt er mich nicht. Kein Junge wird sich zwischen uns drängen."
"Und auch kein Mädchen", fügt Lucas hinzu und bringt mich damit zum lächeln.
Sarah taucht im Türrahmen auf, wahrscheinlich ist ihr das Gespräch zu positiv. "Ich muss jetzt gehen, Lucas. Ist das in Ordnung?"
Doch er beachtet sie gar nicht mehr sondern zieht mich in eine lange Umarmung auf unser Sofa. Diese Umarmung erwidere ich nur zu gern und bemerke mit einem Grinsen, dass Sarah gegangen ist.

LUCINDA - Wenn die Sonne im Zenit stehtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt