Vierzehn: Kopfschmerzen

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Abgedämpft, so als wären sie weit weg, höre ich leise Stimmen, unterschiedliche Stimmen, aber dabei ist noch alles schwarz. Ich glaube ich spüre harten Boden unter meinem Körper, aber auch das Empfinden ist dumpf. Zwei Stimmen sind es die ich höre, eine männliche und eine weibliche und mir kommt in den Sinn das ich die Stimmen kenne, aber ich kann sie nicht zuordnen. Angestrengt versuche ich mich zu konzentrieren.
Was ist passiert?
Ich höre etwas, eine der Stimmen redet jetzt auf mich ein, jemand berührt mich an der Schulter und ich versuche endlich meine Augen zu öffnen, aber bei dem Versuch werden nur die Schmerzen schlimmer die von meinem ganzen Körper auszugehen scheinen.
Die männliche Stimme, sagt meinen Namen, mehrmals:
Luce.
Luce.
Schon wieder.
Ich will meine Augen öffnen, doch ich kann noch immer nicht. Dann versuche ich zu reden, es kommt nur ein Krächzen heraus, aber ich werte das als einen Erfolg, denn endlich komme ich wieder ganz zu mir.
Dann plötzlich wird alles laut, die Eindrücke sind zu viel, mein übermenschliches Gehör überfordert mich einen Moment lang. Ich höre die Stimmen jetzt deutlich, denn sie schreien. "LUCE!" Ich reiße meine Augen auf und ich sehe das Chaos in dem ich mitten drin bin und meinen Körper der mitgenommen aussieht, das eine Knie zeigt definitiv in die falsche Richtung.
"Man Will, wir müssen weg!", die weibliche Stimme. Sarah. Und Will.
Er hebt mich hoch, dabei verziehe ich das Gesicht, weil er mir weh tut. Dann rennen wir schon, ich schließe die Augen wieder um die vielen Einflüsse zu minimieren, spüre nur Will dicht bei mir. Ich höre die Sirenen von einem Krankenwagen, doch sie wird leise, wir entfernen uns also. Erschöpft lasse ich mich in Wills Armen hängen und gebe mich der Dunkelheit hin.

Als ich das nächste mal zu mir komme liege ich in einem weichen Bett, aufmerksam schaue ich mich um, stelle aber schnell fest das ich diesen Raum nicht kenne. Ich war noch nie hier, der Raum ist groß und das einzige Möbelstück ist das riesige Bett in dem ich liege.

"Dieser Miguel hat einen Krankenwagen gerufen! Will wir müssen weg."
"Sie ist tot, Sarah!"
"Nimm sie doch erst mal mit! Was glaubst du passiert wenn sie den Todeszeitpunkt feststellen wollen?"
Ich hörte Will lachen, ein zögerliches lachen. Ich spürte wie er mich hochhob und mit mir davon rannte. Aber Moment mal, fehlte nicht jemand?


Lucas. Ich springe aus dem Bett, sofort wird mir schwindelig und mein Kopf brummt. Selbst Schuld, das hätte ich ahnen könne, ich sinke zurück aufs Bett. Ich schaue an mir hinunter, ich trug nur ein hauchdünnes Nachthemd. Vorsichtig tastete ich meine Brust ab, der Pflock ist verschwunden und natürlich ist keine Narbe mehr zu spüren. Vorsichtig stehe ich erneut auf, ich ignoriere den stechenden Schmerz und das Schwindelgefühl und verlasse langsam und leise das Zimmer. Ich muss wissen wo ich hier bin, finde mich jetzt erstmal auf einem großen Flur wieder. Links von mir ein scheinbar endloser Gang, rechts von mir eine Treppe, von unten höre ich Stimmen. Langsam schleiche ich mich die Treppe hinunter. Soll dich niemand hören oder warum schleichst du dich an? Nein, ich habe bloß Kopfschmerzen. Zu viel Lärm will ich vermeiden, so viel wie eben möglich.
Als ich den Fuß der Treppe erreiche, komme ich in ein großes Wohnzimmer. Auf einem Sessel sitzt mit dem Rücken zu mir Sarah. Auf einem dazugehörigen Sofa saß er, saß Will. Er dreht sich fast augenblicklich zu mir um, als ich den Raum betrete. Sofort steht er in übermenschlicher Geschwindigkeit neben mir. Er nimmt mich behutsam in den Arm, so als wäre ich kostbar und zerbrechlich. "Oh Luce! Gott sei Dank, du lebst noch!", ich bilde mir ein das seine Stimme leicht zittert vor Erleichterung, aber ich kann nur an eines denken: "Lucas."
"Wie bitte?", ich weiß nicht ob er mich akustisch nicht verstanden hat oder nur nicht fassen kann, das dies mein erster Gedanke ist.
"Lucas", diesmal versteht er mich, sagt aber nichts. Das beunruhigt mich, ich stoße ihn ein Stück zurück, raus aus der Umarmung.
"Wo ist Lucas?!" Meine Stimme, seltsam hoch und schrill, erfüllt den ganzen Raum. Ich habe das Gefühl mein Kopf würde explodieren, die Schmerzen durchströmen mich und das Will nicht antwortet fordert meine Geduld, denn ich mache mir schreckliche Sorgen.

"Sie haben ihn mitgenommen." Sarah war es die das sagte.
"Was heißt sie haben ihn mitgenommen?", zische ich verwirrt, aufgebracht und verzweifelt. Die Kopfschmerzen bringen mich völlig aus dem Konzept, kurz raufe ich meine Haare, aber das macht es nur schlimmer.
"Miguel und seine Leute haben ihn mitgenommen", konkretisiert Sarah, während Will noch immer in die Luft starrt und aussieht, als würde er im Boden versinken wollen.
"Aber warum? Er ist doch nur ein Mensch für die!", rufe ich, was mein Kopf mit einer erneuten Schmerzenswelle bestrafte, aber dieses mal ignorierte Will mich nicht.
"Mein Vater will dich tot sehen und er ist sich sicher das du dich für Lucas opfern wirst", seine Stimme ist angespannt, aber er hat seinen Blick wieder ganz auf mich gerichtet.
"Natürlich werde ich das", bestätige ich ihm, jetzt leiser, Will seufzt frustriert auf während Sarah von ihrem Sessel aufspringt und dabei die Zeitschrift fallen lässt in der sie geblättert hatte.
"Dann wäre das ja geklärt", sagt sie ein wenig zu euphorisch, was Will zu verärgern scheint, doch Sarah ignoriert ihn und seine folgenden Worte völlig.
"Nein Sarah", er verdreht die Augen und schaut mich eindringlich an. "Luce, mein Vater wird ihn trotzdem töten. Du kannst ihn nicht retten."
Wut kocht in mir hoch, weil ich sehr wohl selber entscheiden werde was ich machen werde, aber ich merke es ist dumm. Ich schwanke, weil ich die Schmerzen nicht mehr aushalte, ich brauche Blut um dem ein Ende zu setzen.
"Was denn los mit dir?", fragt er mehr fassungslos als besorgt und hält mich fest, damit ich gerade stehen kann.
"Er ist mein bester Freund. Mein Bruder!" Dann kommen die ersten Tränen, Will hat wahrscheinlich recht und es ist aussichtslos Lucas lebendig zurück zu bekommen. Trotzdem bin ich von meinem eigenen Gefühlsausbruch genauso überrascht wie Will. Was ist bloß los mit mir?
Will zieht mich behutsam an der Hand aus dem Wohnzimmer, weg von Sarah. Wir gehen in den Garten, jetzt sehe ich das große Haus von außen. Es war ziemlich groß, ziemlich alt. Will bemerkt meinem Blick, denn er fängt an zu erzählen: "Hier wohnte ich schon, da war ich noch ein Mensch."
"Wie alt bist du denn?" Er grinst als ich diese Frage stelle, räuspert sich kurz bevor er antwortet: "Sechshundertsechzehn."
Kurz stutze ich, überlege wie ich mit dieser Information umgehen soll.
"Hast dich aber gut gehalten."
Dann brechen wir beide in lauter Gelächter aus, jetzt werde ich völlig verrückt. Von einem Gefühlsextrem ins nächste. Doch mein Kopf meldet sich wieder und ich verstummt, ich brauche wirklich dringend Blut.

"Will, warum spielen meine Gefühle verrückt?" Schlagartig wird er ernst und bringt mich damit erneut völlig aus dem Konzept.
"Der Vampir, der dir den Pflock in die Brust gerammt hat, hat dein Herz nur knapp verfehlt. Ich musste dir was von meinem Blut geben", antwortet er leise und betont vorsichtig.
"Aber ich bin doch kein Mensch", stelle ich überflüssigerweise fest und lege den Kopf schief während ich ihn ansehe.
"Ja, aber du hattest zu wenig Vampirblut im Körper, du hast so viel Blut verloren", er macht eine kurze Pause, als würde er sich daran erinnern wie er sich in dieser Situation gefühlt hat. "Ich habe nur ergänzt. Aber mit unterschiedlichem Blut im Organismus..." Ich nicke, als er seine Erklärung so stehen lässt. Das kann eigentlich nicht gut gehen bei Vampiren, aber ich bin am Leben, also werde ich mich nicht beschweren, ich verdanke ihm sehr wahrscheinlich mein Leben, aber ich denke schon nicht mehr an mein Leben.
"Will, ich muss Lucas retten."
Er seufzt. "Ich weiß."

LUCINDA - Wenn die Sonne im Zenit stehtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt