Zwölf: Zukunft und Vergangenheit

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"Das ist völlig absurd, wir kennen uns kaum", erwidere ich noch immer überrumpelt, aber als ich seinen verletzten Gesichtsausdruck sehe, seufze ich auf.
"Aber ich glaube zu wissen was du meinst, ich kann mir gut vorstellen dich zu lieben", füge ich also flüsternd hinzu und meine auf seinen Lippen den Hauch eines Lächelns zu entdecken.
Natürlich ist es nicht richtig derartige Gefühle auch nur in Erwägung zu ziehen, immerhin ist es verrückt. Aber Dinge laufen anders als man sie plant, deswegen bin ich noch nicht tot.

Trotzdessen, dass mir diese Gedanken gerade sehr gefallen und ich am liebsten nur an seine Zuneigung denken möchte, sind da schwarze Gedanken. Immer wieder muss ich an die vielen Opfer denken, wie soll ich das verarbeiten, vorallem jetzt wo Sarah mir gedroht hat?
"Will, ich muss dir etwas sagen", meine ich unwohl, ein kleiner Teil von mir fürchtet sich, nicht ernst genommen zu werden. Immerhin ist Mord sicher für ihn alltäglich und ich mache als Vampir ein großes Drama daraus.
Er scheint tatsächlich das Problem nicht zu erkennen, denn ein Grinsen legt sich auf seine Lippen. "Bist du etwa schon verheiratet, Lucie?"
Sein Grinsen sieht echt aus, aber womöglich meint er die Frage insgeheim sogar ernst. Dennoch bin ich perplex und schüttel nur leicht mit dem Kopf, meine Gedanken kann ich nicht solchem zuwenden.
"Sarah hat Andeutungen gemacht, zu wissen, dass wir die Mörder sind", sage ich dann als ich meinen Gedanken wieder gegriffen habe.
Endlich sieht Will das Problem, welches ich versuche ihm zu verdeutlichen, aber er schüttel zunächst bloß den Kopf, bis er anfügt: "Das ist vollkommen unmöglich."
Gerne möchte ich ihm glauben, aber sie wirkte doch sehr glaubwürdig und nicht so, als würde sie bloß blöffen.

"Sie will, dass ich mich von Lucas fernhalte, wahrscheinlich hat sie nur nach einem Fehler von mir gesucht!", ich werde ein wenig lauter, weil mich das ganze an den Rand der Verzweiflung bringt umso länger ich darüber nachdenke. Will hingegen ist plötzlich sehr ruhig geworden, es ist offensichtlich, dass er Lucas nicht ausstehen kann. Vielleicht hält er ihn für minderwertig, weil Lucas eben nur ein Mensch ist oder er betrachtet ihn als Konkurrenz. Dennoch scheint Will mit sich am Ringen zu sein, seine Gefühle für mich scheinen ihn zu beeinflussen.
"Er ist dir doch so wichtig, vielleicht ist es ohnehin das Sicherste, wenn..", doch ich falle ihm ins Wort, bevor er mich weiter verletzen kann. "Lucas ist meine Familie, die einzige die ich noch habe, wir brauchen einander!" Dann ist Will wieder ruhig, auch ich sage nichts weiter. Kurze Zeit umgibt uns eisige Stille. Ich werde nicht nachgeben und mit jeder Minute die vergeht, scheint Will dies mehr zu begreifen, zumindest hoffe ich das.

"Du hast jetzt auch mich", sagt er leise und als ich in seine Augen sehe, kann ich nicht mal erahnen was er gerade denkt und fühlt.
"Ich kann deine Zukunft sein, länger als es dir dieser Mensch bieten kann. Lass uns zusammen fortgehen und all dem hier entfliehen..", seine Stimme ist fest, in seinem Kopf scheint zu diesem Gedanke ein festes Bild vorhanden zu sein. Der Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen, vielleicht wäre es tatsächlich klug. Aber so einfach ist das nicht.
"Ich kann Lucas hier nicht zurück lassen und ich will es nicht, ich werde eine Lösung finden..", doch jetzt ist es Will der mir ins Wort fällt.
"Es wird keine Lösung geben, die dir gefallen wird. Irgendwer stirbt immer", meint er dann, plötzlich so viel kälter. Rückblickend betracht, habe ich ihn mit meiner Aussage sicher getroffen. Zumindest wenn er seine Idee ernst meinte und sich ein Leben mit mir alleine vorstellt.
Aber ich will in ihm nicht das Opfer sehen, nicht wenn er gerade davon spricht, dass Tod der einzige Weg sein soll.
"Nein. So geht das nicht, Will. Niemand wird sterben und niemand wird gehen, ich gebe Lucas in keiner Weise auf", vorallem nicht, wenn das bedeuten würde, dass ich ihn in den Klauen dieser Werwölfin lassen muss.

Will scheint zu merken, dass er mich verliert, wenn er so weiter macht.
"Okay", haucht er kaum hörbar, fixiert mich aber fest mit seinen Augen. Eisblau trifft Haselnussbraun. Kälte in Wärme. Ich atme durch, merke, dass auch Wills Verlust mich treffen würde. Das ganze Problem scheint zu wachsen und ich will Gewalt nicht als Lösung sehen.
"Wir müssen mit ihr verhandeln", meine ich leise, natürlich klingt das erbärmlich, dass merke ich selbst. Will beginnt zu Lachen, ganz offensichtlich findet er meine Idee lächerlich. Aber ich habe eine Idee, wie ich seinen Ergeiz wecken kann: "Ich bin sicher, du kannst jeden zu einem schlechten Deal überzeugen, oder etwa nicht?", frage ich neckisch und als ich dieses Funkeln in seinen Augen sehe, weiß ich, dass ich gewonnen habe.

LUCINDA - Wenn die Sonne im Zenit stehtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt