Kapitel 80: Todesfall oder Trennung?

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"Gehts dir gut?", will ich erneut von dem zierlichen Jungen wissen, doch dieser dreht sein Gesicht weg und ignoriert meine Worte völlig. Die Arme um sich selbst gelegt, scheint die kälte der Nacht ihn schon zu zerfressen, während die Tränen unaufhörlich aus seinen Augen quillen. Ohne weitere Worte ziehe ich mir meine eigene Jacke von den Schultern und lege sie über seine Beine, um ihm wenigstens etwas wärme zu spenden, wobei ich selbst von einem kurzem frösteln ergriffen werde. Wieder reagiert der Junge nicht auf mich und ich kann mir mehr als genung vorstellen wie er sich gerade fühlt. Was wohl sein Problem ist? Ranken sich seit langer Zeit das erste mal meine Gedanken um die eines anderen, als ich mich dazu entschließe mich selbst an den Baum zu lehnen und abzuwarten. Wenn er gleich jemanden brauchen würde, wäre er zumindest nicht alleine, den alleine sein möchte doch niemand wirklich...

Es vergehen Minuten in denen wir einfach nur schweigen und ich merke, dass es wohl keine gute Idee ist, hier ohne Jacke rum zu sitzen, denn mittlerweile beginne ich selbst leicht zu zittern. Chiara drückt sich zwischen meine Beine und spendet mir so genügend wärme um mich von dem eisigen Wind welcher die Blätter um uns verweht zu schützen. Nichts ist zu hören als die Stille der düsteren Nacht, welche meine sonst so vollen Gedanken einfach mit sich nimmt und ich genieße ebenfalls die Nähe des mir fremden jungen Mann, von dem ich nicht mal weiß, ob er mich überhaupt hier haben will. "Du kannst sie wieder haben", reißt mich seine schwache und zittrige Stimme zurück zu ihm, doch ich belasse meine Hände einfach an meinem treuen Hund, nachdem ich mir eine meiner Zigarette angesteckt habe. Meine eigenen Finger sind bereits ganz streif beim entzünden, doch ich weiß, dass er die Wärme jetzt mehr braucht als ich.

"Auch eine?", versuche ich mir einfach nichts anmerken zulassen und ihn auf andere Gedanken zu bringen, doch wieder ernte ich nur ein trauriges Kopfschütteln und sehe wie der gerade erst abgebrochene Tränenfluss erneut zu fließen beginnen will. "Todesfall oder Trennung? Ich tippe auf zweites", will ich ihm zeigen, dass ich das Gefühl kenne, hier zu sitzen, ganz allein durch die Dunkelheit zu wandern. Das Leuchten meiner Zigarette erhellt in regelmäßigen Abständen mein Gesicht und ich beginne einfach weiter zu reden. "Ich habe meine 'bessere Hälfte' auch erst vor kurzen verloren. Alles was mir geblieben ist, ist der Hund!", erkläre ich einem Fremden wie es in mir aussieht und merke wie ich selbst kurz mit mir kämpfen muss um nicht wie er, selbst erneut in Tränen auszubrechen. "Also.. wir sind noch nicht getrennt, hoffe ich", höre ich wie seine leise Stimme zu mir spricht und seine stockende und unkontrollierte Atmung langsam ruhiger wird. Genau wie in mir, scheint sich in ihm langsam etwas zu lösen, da es auch mir gut tut einmal für jemanden da sein zu können. Mal nicht der zu sein, der am ertrinken ist, sonder der bin, der ihm die Hand reichen kann, um ihn aus den tosenden Wellen des Lebens zu ziehen. "Ich bin übrigens Phil...", biete ich ihm meinen Namen als Brücke zu seinem Vertrauen an. "...du solltest aber nicht mehr solang hier draußen sitzen, wenn du magst bring ich dich heim!",schlage ich dem Kleinen vor, denn ich glaube kaum das er selbstständig auch nur einen Meter weit kommen würde.

"Ich will nicht heim", schießt es förmlich aus ihm und wieder ist da dieser Schmerz in seinen Augen, welcher droht erneut überzuschwappen. Wieder vergräbt er sein Gesicht in den verschränkten Armen und es scheint ihm, wie mir auch oft, egal zu sein das ich ihn in seiner Verletztheit beobachten kann, doch in mir löst es erneut das Bedürfnis aus, ihn irgendwie Schützen zu wollen, ihm trost und wärme zu schenken. "Wenn...", setze ich an: "...wenn du magst, kannst du heute Nacht bei mir schlafen" Verstehe ich mich im Moment selbst kaum, doch dieser Junge erinner mich so sehr an mich selbst, das ich ohne großes Überlegen einfach völlig selbstständig handle. Ich erheben mich bei diesen Worten und klopfe mir den Frost aus den Beinen und entferne den leichten Schmutz, welcher der Boden auf mir hinterlassen hat. Als er sich immer noch nicht bemüht aufzustehen reiche ich ihm lächelnd die Hand, welche er nach kurzem zögernis auch entgegen nimmt.

"Wir einsamen Wölfe müssen doch zusmmenhalten", versuche ich ihn etwas aufzumuntern, bevor wir uns schweigend auf den Weg zu meiner Wohnung machen. Auch ihn scheint das Beobachten von Chiara zuberuhigen, wenn sie selbst im Dunkeln immer zielstrebig ihren Ball findet und zurückbringt.

"Setz dich, ich mach dir erst mal einen Tee", erfüllt die angenehme wärme meiner Wohnung meinen eisigen Körper, als ich auf meine dunkle Ledercouch deute. Geistig etwas abwesend setzt er sich langsam auf das etwas abgesessene Leder. Gefolgt von Chiara wandere ich in meine kleine Küche und stelle heißes Wasser auf. Es ist ein merkwürdiges Gefühl seit langem wieder zwei Tassen aus dem Schrank zu nehmen, den der blonde Mann im Wohnzimmer ist mein erster Gast in der Wohnung, seit Mark mich verlassen hat. Ob er auch so viel Zucker mag? Ziehe ich unbewusst vergleiche zu meinem Exfreund. "Früchte?", frage ich ohne aus der Küche zu kommen. "J-ja, bitte!", vernehme ich leise die zerbrechliche Stimme des Jüngeren und ich muss Lächeln. Bitte, eine für Mark eher bedeutungslose Floskel, nehme ich die beiden dampfenden Tassen und setze mich zu dem jetzt etwas Lebendigeren auf die Couch. Ich bemerke seinen kurzen musternden Blick, bevor er seine Hände um das heiße Getränk legt.

"Wenn du den Tee getrunken hast, kannst du dich gerne duschen gehen", weiß ich selbst nicht so recht wie ich mich jetzt verhalten soll. Irgendwie fällt es mir schwerer ein Gespräch zu beginnen, als eine Einladung zum Sex auszusprechen. "Wie kommt es, dass du um die Uhrzeit mit deinen Hund gehst?", geht er gar nicht erst auf meinen Vorschlag ein, sonder folgt seiner Neugierde auf mein merkwürdigen Lebensrhythmus. Nun bin ich es der ihn sich das erste mal etwas genauer ansieht, den ohne seine verklebten Augen und den vor kälte zitternden blauen Lippen, sieht er wirklich süß aus, mit dem blonden Haaren und den ehrlichen grauen Augen. "Ich hab dir doch gesagt, das ich verlassen wurde, seither kann ich keine Nacht mehr durchschlafen...", kann ich den Schmerz der Erinnerung nicht ganz überspielen doch ich nutze die Gelegenheit auch einmal selbst über meine Gefühle sprechen zu können. Vermutlich sehe ich den Kleinen dessen Namen ich immer noch nicht weiß sowieso nie wieder: "...als wir noch zusammen waren, hätte ich nie geglaubt das uns jemand auseinander bringen kann, doch leider habe nur ich so gedacht..." Ich merke wie meine Augen glasig werden und ich mich plötzlich doch hinter einem falschen Lächeln verstecke. "Aber das ist jetzt schon eine Weile her und es wird besser!"

"Weißt du, ich hab eine besondere Beziehung...", wird er augenblicklich nervös und sucht nach den richtigen Worten. In seiner Minie kann man den inneren Kampf mit sich selbst erkennen, doch dann ergänzt er langsam seinen Satz: "...denn, ich bin mit einem Mann zusammen" Seine grauen Augen suchen in meinem Blick die Ablehnung, doch ich lächle ihm leicht zu: "ich kenne dieses Gefühl, ich bin auch schwul." Nun ist er es, dessen Augen sich erstaunt weiten und nur Sekunden später bricht die nächste Frage aus ihm heraus. "Wissen es deine Eltern?", bei der Frage muss ich unweigerlich Grinsen, als mir die Situation mit meiner Mutter wieder ins Gedächtnis gerufen wird, wie schwer ihn dieses Problem zubelasten scheint und wie egal mir die Reaktion meiner Mutter im Endeffekt gewesen ist. "Ja, aber es hat lange gedauert und begeistert waren sie nicht gerade!", lasse ich nicht länger auf meine Antwort warten. Ich habe in den letzten Monaten mit vielen Männern geschlafen, ob Schwul, Bi oder nur mal so, niemals habe ich das Verlangen gehabt mit einem anderen über diese spezielle Art der Verbingung zu sprechen, doch ihm höre ich gerne zu. "Und bei dir?", erkundige ich mich deshalb, worauf hin er nickt, "...aber seine wussten es anscheinend noch nicht", fallen seine Mundwinkel wieder nach unten und mit wird in diesem Moment klar, was wohl der Grund seines Elends ist. Es ist kurz Still, bevor ich einfach das Thema wechsle, um ihn auf andere Gedanken zu bringen: "Sag mal, wie heißt du eigentlich?" Wird der junge Mann auf diese einfache Frage plötzlich rot im Gesicht. "Sorry, ich heiße Andy", gibt er schnell zurück und ich muss wegen seiner niedlichen Reaktion irgendwie Lachen "Du musst doch nicht gleich rot werden", fange ich mich wieder und stelle die nächste Frage: "und wie heißt dein Freund?" "Sam", entgegene er immer noch leicht gerötet. "Dieser Sam sollte besser auf dich aufpassen, du bist echt süß!", beuge ich mich etwas näher zu Andy und streiche ihm durch seine hellen Haare.

Doch...keine Liebe? Boy x Boy, boyxboy, yaoi, boysloveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt