Kapitel 76: Alltag

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Es ist nicht die erste Nacht, welche ich mit Chiara an meiner Seite durchschreite, immer wieder brechen diese Alpträume aus mir heraus, mal mehr, mal weniger schlimm. Bei diesen sternklaren Nächten wird mir immer wieder klar, dass sie mir nicht diese Sehnsucht nehmen können, welche die tiefe Kluft seines Verschwindens in mich gerissen hat. Jeder Schritt in der Dunkelheit ist nur ein weiterer Beweis, der Tatsache, das Zeit nicht alle Wunden zu heilen vermag, denn ich spüre Mark im Wind der mich umgibt, in dem Geruch eines anderem und sehe sein Gesicht, wenn ich meine Augen schließe. Egal wie sehr ich Hoffe, das der Lauf der Zeit mir diese Einsamkeit nimmt, welche schwarze Stunden bringt, die erst zu Tagen werden, bis sie in dunklen Wochen enden. Immer wieder sage ich mir, dass ich ihn nicht brauche, doch mein bebendes Herz macht mir schmerzlich wieder klar, dass ich meinen Gefühlen nicht immer entkommen kann. Nur die kleine Chiara schafft es, die farblose Dunkelheit für mich erträglich zu machen.

Ich brauche keine Liebe, denn ohne sie ist es leichter den Schmerz in mir zu verschließen und das unendliche Heimweh, dass ich nach ihm habe, vor mir selbst zu verstecken. Ich werfe die Last, die er mir aufgelegt hat, mit jedem Ball von mir ab, doch genau wie das rote schmutzige Gummi immer wieder einen Weg zu mir findet, bleiben die Erinnerungen, welche ich auch nicht missen möchte, selbst wenn es bedeutet, dass ich jede Nacht schlaflos umher wandere. Auf mein Gesicht legt sich ein sanftes Lächeln, als mir bewusst wird, das diese Liebe mich ein Leben lang für immer begleiten wird. Jeden Moment den er mir geschenkt hat wird ewig ein Teil von mir sein, auch wenn mich der Gedanke das alles nur eine einzige Lüge war genauso verletzt, zeigt sie mir doch, dass ich noch am Leben bin. Hält mir vor Augen, wie Naiv es ist sich zu verlieben, jemanden bedingungslos in sein Herz zu lassen. Es erinnert mich daran, dass es so etwas wie wahre Liebe nicht gibt.

Mein Leben fügt sich einem, für mich, undurchdringlichen Schema. Die Nächte voller Trauer, die Tage kalt und einsam und wenige Stunden, in denen ich alles vergessen kann. Stunden, die ich damit verbringe, mich der Leidenschaft ander Männer hinzugeben. Man könnte meinen, dass ich aus der Erfahrung mit Matt gelernt hätte, doch im Grunde ist es jedesmal genau das, was mich daran hält. Das Gefühl der Gefahr, was sein könnte, wenn ich wieder einmal in den privaten Räumen eines mir völlig Fremden verschwinde. Die Macht, wenn der andere tut was man möchte und keiner hinter die Mauern meiner leeren Hülle sehen kann.

Mein innerer Kompass führt mich heute wie so oft durch das quitschende Metalltor, des Friedhofs und auf mir legt sich diese Schwere ab, welche ich geglaubt hatte besiegt zu haben. Begleitet von meiner Freundin, ziehe ich an den wenigen noch brennenden Grableuchten vorbei und in mir höre ich das Klavierspiel der Engel, als ich vor dem feuchten kalten Stein in die Knie sinke. In der heutigen nebligen dunklen Stunde, fällt es mir besonders schwer meine Gefühle hinter den brüchigen Mauern zu halten. Sie nicht hervor brechen zulassen und damit zu riskieren, dass mir das letzte bisschen Alltag auch noch genommen wird. Das Polly Poket steht, mitlerweile vom Regen mit Matsch bespritzt noch immer unberührt auf Zoes Grab, über dessen Stein liebevoll meine Fingerkuppen streifen. Der Lichtkegel meiner zur Seite gelegten Taschenlampe beleutet eine kleine weiße Engelsfigur, welche im Gegensatz zu dem Spielzeug noch nicht durch die Witterungen völlig verdreckt ist. Das dickliche Kind mit den kleinen Flügeln, welche ihn wohl kaum zurück in den Himmel tragen könnten, lächelt auf das kleine Bild meiner Mutter und Zoe aus Kindertagen. "Mama...", füllen sich nun meine längst versiegt geglaubten Augen mit Tränen, als ich die Porzellanfigur mit dem keine zwei Daumen großen Bild in die zittrige Hand nehme. Ich wusste gar nicht, das sie manchmal auch hier ist. Immer wenn der Schmerz zu gewaltig wird, um ihn alleine zu besiegen, hilft mir Zoe damit zurecht zu kommen. Sie ist immer da, auch wenn ihr Körper nicht mehr bei mir sein kann, sondern Unsichtbar wie der Wind ist. Das meine Mutter vielleicht auch einsam sein könnte, dass es noch jemanden gibt, der so fühlen könnte wie ich, ist mir noch nie in den Sinn gekommen. Meine freie Hand greift nach dem Handy in meiner Tasche und wählt die längst vergessene Nummer in meinem Telefonbuch. Die viel zu frühe Morgenstunden ignorierend, höre ich das gleichmäßige Tuten aus der Leitung, bis schließlich eine verschlafene Stimme meine Gedanken aus meiner Starre reißt. "H- Hallo..?", kann man das klacken von Brillenbügeln am anderen Ende wahrnehmen, welche vermutlich gerade dazu verwendet werden, um auf die Uhr zu schauen. "Mama...", hauche ich kaum wahrnehmbar in den Hörer, als das Salz nun meine Wangen benetzt und ich mich erschöpft ganz auf den Boden sinken lasse. "Phil? Bist du das? Was machst du den mitten in der Nacht?", klingt ihre Stimme das erste mal seit langem wieder besorgt, als sie mein Schlurzen wohl kaum überhören kann. "Wo bist du Phillip?", fragt sie eindringlich, als von mir nichts mehr kommt und ich einfach nur den Hörer an mein Ohr presse. "Ich weiß es..", höre ich sie aufgeregt weiter sprechen, als immer noch nichts von mir zu vernehmen ist. "Bleib einfach da, ich bin in einer Halbenstunde bei dir", verliere ich die Verbindung und das nun schnellere Tuten, ist alles was mich noch in dieser Nacht begleitet. Selbst Chiara kann nicht immer etwas von der Last auf meinem Herzen nehmen, die all meine Gefühle auf diesem abladen, bis es kaum mehr auszuhalten ist.

Doch...keine Liebe? Boy x Boy, boyxboy, yaoi, boysloveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt