50. Move

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Ich brachte Shelly zum Flughafen und wir verabschiedeten uns voneinander. Es war ein nur halb so schwerer Abschied, wir wussten beide, dass ich bald wieder bei ihr sein würde.

"Komm schnell wieder zu mir. Du fehlst mir jetzt schon." sagte Shelly und küsste mich noch einmal im Schutz der klebrig gelb schimmernden Toilettenwände. Ich wollte sie gar nicht wieder los lassen. So sehr genoss ich ihre Wärme, ihren Duft und ihre Lebendigkeit, die sich an meinen Körper schmiegte. "Ich beeile mich. Melde dich, wenn du angekommen bist." sagte ich und strich ihr ihre Haare aus dem Gesicht. Ich begleitete sie noch zur Passkontrolle und machte mich dann schnell auf den Weg nach Hause. Ich hatte mich für den Zug entschieden und versuchte, mich vor neugierigen Blicken zu schützen. Ich blickte die meiste Zeit aus dem Fenster. Nur einmal wurde ich von zwei Jugendlichen entdeckt. Ich sah aus dem Augenwinkel wie sie kicherten, sich immer wieder beratschlagten, ob ich es sein könnte oder nicht. Sie versuchten sich möglichst unauffällig zu verhalten, versteckten sich und waren dabei so auffällig, dass ich selber kichern musste. Ich drehte mich zu ihnen um und zwinkerte kurz. Darauf waren sie aufgescheucht wie Hühner und rannten davon.

Es dauerte nicht lange, da spürte ich wie sich die beide von hinten wieder an mich heranpirschten. Ich musste vor mich hin schmunzeln und war gespannt, was sie als nächstes anstellen würden. Ich hoffte sie würden nicht zu viel Aufhebens machen. Es gab noch andere Fahrgäste und ich versuchte doch möglichst unerkannt zu bleiben. Urplötzlich wurde mir ein Schnipsel von einem Schokoladenpapier unter die Nase gehalten mit der Bitte um ein Autogramm. Da standen sie nun vor mir die beiden Verschüchterten und waren ganz aufgeregt. Ich konnte wieder nicht glauben, was da passierte. So viel Aufmerksamkeit. Ich unterschrieb und gab ihnen den Schnipsel wieder zurück. "Vielen Dank, Anna." sagte die eine. Ich stutzte. Anna? "Ich heißt Franzi." klärte ich sie kurz auf. Ich sah, wie den beiden die Gesichtszüge entgleisten und die eine fragte prüfend: "Sie sind doch Anna Kendrick?" Das fand ich nun wirklich skuril. Ich selbst hatte es mit der Presse zu tun und dann wurde ich auch noch mit einem anderen Promi verwechselt. Ich sah ihre enttäuschten Gesichter, als ich ihnen erklärte, dass ich es wirklich nicht bin. Als sie wieder weg waren musste ich lachen. Das war wirklich schräg.

Ich näherte mich meinem Zielbahnhof und sah, wie die Gegend draußen mir immer vertrauter wurde. Die Straßen, die Häuser, alles war unverändert das, was ich kannte. Es hatte sich ein Schleier darüber gelegt. Der Schleier einer neuen Welt. Das war nicht mehr mein Zuhause wie es war. Ich war ein Vogel, der seinen Käfig verlassen hatte und die Welt kennengelernt hatte. Da war es schwer, dem alten etwas schönes abzugewinnen. Doch die Vertrautheit schuf ihre ganz eigene Schönheit.

Der Zug hielt und ich trat auf den Bahnsteig. Hier und da umarmten sich welche, manche küssten sich, andere weinten. Die einen wurden begrüßte, die anderen unter Tränen verabschiedet. Die Menschen gingen ihrer Wege und ich tat es auch. Ich spürte die Blicke, die hin und wieder auf mir ruhten, sich forschend auf meine Nasenspitze setzten und versuchten heraus zu finden, ob es sich tatsächlich um mich handelte. Ich neigte meinen Blick eher Richtung Boden, um dem aus zu weichen. Ich nutze das Ausweichmanöver und tippte Shelly und auch Sandrine eine Nachricht, dass ich gut angekommen war. Der Tag drängelte schon Richtung Ende, als ich kurze Zeit später zu Hause ankam. Ich betrat das Haus und alles kehrte wieder zurück. Dieser Geruch, ich kannte ihn nur zu gut. Mein altes Leben war mir auf den Fersen und kam immer dichter. Ich trat die Treppen in den ersten Stock hinauf und erblickte sogleich eine Schrift über meiner Tür: Herzlich Willkommen in bunter Schrift. Das war ganz klar Sandrines Handschrift. Ich freute mich sehr darüber und betrat meine Wohnung. Es roch frisch, frisch gekocht. Ich hörte Musik und ein summen aus der Küche. Ich wusste, wen ich dort erblicken würde. Ich stellte meinen Koffer ab und bewegte mich leisen Schrittes auf sie zu. Sie schien nicht gehört zu haben, dass ich die Wohnung betreten hatte und summte und sang lauthals weiter. Ich stellte mich in den Türrahmen zur Küche und war fasziniert, wie sie mit den Kochlöffeln, Pfannen und Töpfe umging. Sandrine, eine Meisterin der Gaumenfreuden. Als sie sich hüftschwenkend nach vorne beugte um eine Schale aus dem Backofen zu holen, konnte ich mir einen Kommentar nicht verkneifen. Sie hatte unwissentlich ihren Po in meine Richtung gestreckt und tänzelte ihn im Takt der Musik von rechts nach links und wieder zurück. "Ganz schön knackig." sagte ich und sorgte dafür, dass Sandrine alles aus der Hand fiel vor Schreck. Zum Glück ohne Schaden dabei anzurichten. Sie drehte sich ruckartig um und wir stürzten uns in die Arme. "Du bist zu früh." schimpfte sie. "Ich bin doch noch nicht fertig." Ich lachte. "Also dann bist du noch nicht fertig, aber ich nicht zwingend zu früh. Hab dir ne Nachricht geschrieben, dass ich da bin." Das hatte sie im ganzen Vorbereitungsstress nicht mitbekommen. Erst jetzt bemerkte ich ihre aufwändige Tischdecko, die unverkennbar unter dem Motto Kanada stand. "Schön das du wieder da bist." begrüßte sie mich und wir umarmten uns noch einmal fest und lange. "Du bist einfach toll. Danke, dass du das alles vorbereitet hast. Ich hatte nicht damit gerechnet, das du hier auf mich wartest." Ich sah mich um und es war einfach so viel Liebe in dem allem, was sie vorbereitet hatte. Das war unschlagbar, eine solche Freundin an meiner Seite zu haben. Es stimmte mich etwas traurig, dass ich sie bald schon verabschieden würde. "Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht?" fragte sie freudestrahlend. "Wie eine Bärin." strahlte ich und war tatsächlich dankbar, dass mein Bauch baldige Entspannug erfahren würde. Sie servierte mir ein drei Gänge Menü und genoss es sichtlich.

Wir machten es uns gemütlich und erzählten was das Zeug hielt. Sie wollte alles genau wissen und sie war immernoch aufgeregt darüber, dass sie einen Teil meines Lebens jetzt in den Medien verfolgen konnte. Wir lachten und hatten uns eine Flasche Wein geöffnet. Irgendwann war Sandrine deutlich angeheitert und wurde ganz still. Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst. Sie nippte an ihrem Glas und schon liefen ihr Tränen über die Wangen. Ich spürte, wie sie sich auch in mir zu meinen Lidrändern vorarbeiteten. Ich traute mich nicht, sie an zu sehen. Ich traute mich nicht zu fragen, was los ist. Ich wusste es. "Wann wirst du abreisen?" fragte sie mich mit bebender Stimme. Ich konnte nicht antworten. Der Abschied war nicht lange hin und ich spürte, dass es für eine lange Zeit sein würde. "Wirst du mich vergessen." hörte ich mit flüsternder Stimme. "Aber nein, ganz sicher nicht." brachte ich noch heraus bis wir uns in den Armen lagen und eine Zeit lang unseren Abschied beweinen mussten. "Ich bin ganz schön verrückt, was?" fragte ich mit einem Lächeln, als wir uns wieder gefangen hatten. "Nein, nicht verrückt. Du bist sehr mutig." antwortete sie mir. "Ich könnte auf Anhieb mindestens drei Menschen nennen, die den Kopf über dein Handeln schütteln würden. Ich bewundere dich und ich bin glücklich, dich gücklich zu sehen." Es gab nichts Rührenderes, was sie hätte in diesem Moment sagen können. Wir beschlossen, die Zeit zu genießen, die wir noch so nahe beiander waren.

Es dauerte ganze drei Wochen, bis ich alles geregelt hatte. Und doch war ich damit sehr schnell. Ich sortierte aus, packte, kündigte, sorgte für meine Aufenthaltsgenehmigung und alles was sonst noch zu regeln war. Mit jedem Tag, den ich länger brauchte, wurde Shelly ungeduldiger und ich auch. Ich konnte es kaum mehr erwarten, mich wieder in ihre Arme zu legen, ihre Lippen an meinen zu spüren und meine Haut an ihrer zu fühlen. Bis zu meiner Abreise hatte ich 6 Kisten vor geschickt und hatte einen einzigen Koffer. Sämtliche Möbel brachte ich in einem Container unter. Ein paar kleinere Stücke schenkte ich Sandrine und alles was unnötiger Ballast war, ladete ungesehen im Müll.

Der letzte Abend vor meiner Abreise brach herein. Meine Wohnung war leer und ich würde, meine letzte Nacht bei Sandrine verbringen. Sie würde mich auch am nächsten Morgen zum Flughafen bringen. Mein Auto hatte ich verkauft und konnte das daraus gewonnene Geld für meinen Neuanfang gut gebrauchen. Ich sah mich noch einmal um, obwohl jeder Raum leer war musste ich noch einmal schauen, ob noch etwas zurück geblieben war. Ich betrat jeden Raum, betrachtete alle vier Ecken. Ich nahm Abschied von den Wänden, die mir einige Jahre Sicherheit geboten hatten. Räume, die ich im Schlaf kannte. Ich verabschiedete mich, nahm meinen Koffer und schloss die Tür hinter mir.

Ich nahm mir ein Taxi und fuhr zu Sandrine. Die Straßen, die ich in und auswendig kannte, die ich hunderte Male lang gefahren oder gegangen war. Ich verabschiedete mich von jedem Meter und traf nach einer viertel Stunde bei Sandrine ein. Wir versuchten so gut es ging einen wunderbaren Mädelsabend daraus zu machen. Die Stimmung war dennoch gedämpft und gedrückt. Immer wieder musste wir weinen, ein bisschen. So schwer es mir auch fiel, alles hinter mir zu lassen, so war ich doch auch voller Vorfreude. Unsere Freundschaft würde einmal mehr Bindung erfahren, weil wir wussten, dass es uns trennen würde.

Es war ein wohlig schönes Gefühl, dass sie mich verbschiedete, als ich mcih auf den Weg machte zu Shelly. Auf den Weg in ein neues Leben.

@lialight


Meet and love (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt