Die Entscheidung

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"SLYTHERIN!"
Eine Welt schien für mich zusammenzubrechen. Mein Herz blieb für eine Sekunde lang still stehen. Ich spürte den Schweißtropfen auf meiner Stirn runterlaufen.
Es war, als hätte die gesamte große Halle die Luft angehalten. Und ich wünschte, ich täte es auch und würde gleich wegen Sauerstoffmangels sterben. Aber das tat ich nicht. Aber im nächsten Moment kam tosender Applaus vom Slytherin-Tisch.
Ich nahm den Hut ab, ohne es wirklich mitzubekommen. Meine Beine gingen ganz von alleine runter, während mein Kopf innerlich schrie: Nein, nein, nein! Du hättest dir Gryffindor wünschen sollen, du dummes Kind! Jetzt hast du den Salat, selbst dran Schuld!

Ich atmete tief ein und wieder aus. Ich suchte mir geistesabwesend einen Platz und bemerkte jetzt erst, dass meine Hände zitterten. Ich versuchte es zu verstecken und schloss kurz die Augen. Ich konnte es nicht über mich bringen, zum Gryffindor - Tisch zu sehen. Zum Tisch, wo mein Bruder saß und vor ihm mein Vater und meine Mutter und deren Eltern und wahrscheinlich ging es auch immer so weiter.
Aber ich saß hier.
Die Erkenntnis traf mich nun wie eiskaltes Wasser. Das gesamte Ausmaß dieser riesigen Katastrophe wurde mir jetzt erst bewusst. Ich war anders. Ich war nicht wie sie. Und ich schämte mich. Von nun an würde ich immer gegen meinen eigenen Bruder kämpfen müssen. Ich würde Punkte für Slytherin sammeln und damit dem Haus meines Bruders die Chance auf den Hauspokal verringern.
Ich würde die Hausmannschaft von Slytherin anfeuern müssen, meine Hausmannschaft. Und James war Sucher von Gryffindor. Früher hatte ich mich auf Quidditch gefreut, aber nun würde ich allein schon der Familie zu Gunsten nicht mitmachen können. Was für eine Blamage, der Sohn von einer berühmten Quidditchspielerin und nicht mal in der Hausmannschaft!
Ich stützte meinen Kopf auf die Hände. Am liebsten wäre ich nun ganz alleine in der hintersten Ecke von Hogwarts und würde in Selbstmitleid versinken.

"Was betrübt den Jungen Potter den so?", fragte plötzlich eine kalte Stimme. Ich sah erschrocken auf und sah eine durchsichtige Gestalt vor mir schweben. Der Mann hatte kleine, dunkle Augen und eingefallene Wangen; auf seinem Umhang glitzerten große Tropfen, die Blut verdammt ähnlich sahen. Der blutige Baron, das Hausgespenst von Slytherin.
Ich schüttelte den Kopf.
"Äh...nichts ", antwortete ich schnell. Der blutige Baron lachte, aber es war kein schönes Lachen.
Auf einmal meldete sich eine weitere Stimme, überraschenderweise zu meiner Verteidigung.
Etwas hochnäsig sagte sie: "Also mich würde es auch betrüben, wenn ein Jahrhunderte alter, ausgebleichter Lappen mir die Sicht versperrt."
Ich war erstaunt, dass jemand es wagte, so mit dem Gespenst zu reden, aber noch erstaunter war ich, als ich sah, wer es gesagt hatte: Scorpius Malfoy!
Ich sah ihn fassungslos an. Der blutige Baron blickte empört zu Malfoy.
"Ich verbitte mir-", setzte er an, aber Malfoy schnitt ihm das Wort ab.
"-den Umhang mal zu waschen?"
Ein gekränktes Funkeln trat in die Augen des Barons, dann schwebte er ohne ein weiteres Wort davon.
Rund um Malfoy war Lachen und Kichern zu hören. Manche klopfen ihm freundschaftlich auf die Schultern und sahen ihn bewundernd an. Ich wusste nicht genau, was ich denken sollte. Lachten hier immer alle über das Leid anderer?
Erschrocken bemerkte ich mein eigenes Grinsen auf meinen Lippen. War ich wirklich so wie die?
Ich sah zu Malfoy, der den Blick erwiderte.
"D-Danke", meinte ich schüchtern. Nie hätte ich geglaubt, dass er mich verteidigen würde.
Aber Malfoy hob nur arrogant die Augenbrauen und sagte dann:" Bild dir da gar nichts drauf ein, Potter. Ich hatte einfach keinen Bock, mir den Appetit von einer vermodernden Hülle verderben zu lassen!"
Wieder erntete er einige Lacher. Aber plötzlich stand ein großer, braunhaariger Junge vor ihm; an seinem Umhang glänzte das Vertrauensschüler-Abzeichen.
"Sei nicht so vorlaut oder wir müssen dir mal zeigen, wer hier der Boss ist", drohte der Vertrauensschüler.
Malfoy nickte betont gelangweilt und betrachtete sein Spiegelbild in einem Löffel. Der Vertrauensschüler sah aus, als würde er gleich auf Malfoy losgehen. Aber da hielt ihn ein Mädchen mit demselben Anzeichen fest.
"Beruhig dich, Brandon", sagte sie wütend und schob ihn beiseite. Dann sprach sie zu Malfoy :" Und du solltest am besten das nächste Mal netter zum blutigen Baron sein, okay?"
Malfoy lächelte sein unschuldigstes Engelslächeln und versicherte ihr: "Okay, Belly. Tut mit leid."
Das Mädchen lächelte zurück und zog Brandon weg. Dieser murmelte noch etwas wie "Erstklässler, buäh!"
Dann verschwanden sie. Malfoy wollte gerade etwas sagen, als McGonagalls Stimme ertönte.
"Leise, da am Slytherin-Tisch, wenn ich bitten darf!"
Sie sah aber ganz und gar nicht aus, als würde sie uns gerne bitten, sondern eher, als wollte sie uns einen fetten Streifen Klebeband auf den Mund kleben.
Da fiel mein Blick auf Rose, die nun vor dem Stuhl mit dem sprechenden Hut stand.

Rose's Sicht

Ich sah rüber zu Albus und etwas in meinem Magen verknotete sich. Er war so anders, so fremd. Es kam mir vor, als würde ich ihn gar nicht kennen. Da saß er bei den Slytherins, wahrscheinlich dasselbe überhebliche Grinsen auf dem Gesicht. Ich hatte ihn beobachtet. Nicht ein Mal hatte er sich zu James oder mir umgesehen. Wie bittere Galle breiteten sich die Gedanken in meinem Kopf aus. Wahrscheinlich war es ihm egal, was mit uns war. Es war mir egal, dass wir Freunde waren. Nein. Ich hatte gedacht, wir seien Freunde. Aber wie er dort saß, sagte irgendwas zu Scorpius Malfoy und beachtete mich nicht mal, da verstärkte sich in mir das Gefühl, ihn nicht mehr sehen zu wollen. Immer mehr dachte ich, dass er wohl wirklich nach Slytherin gehörte.
Umso mehr war da der bittersüße, sardonische Geschmack von Wut und Trauer gleichzeitig, als ich den Hut aufsetzte und er "GRYFFINDOR! " rief.
Ich hörte den Applaus und setzte mich zu James.
Ich hatte alles richtig gemacht.
Ich war in Gryffindor, so wie alle in meiner Familie.
Denn ich war stolz auf diese und verleugnete sie nicht.

"Rose!", begrüßte James mich freudig. Dann verdunkelte sich sein Blick: "Schade, dass Albus nicht hier ist."
Ich sah wütend zum Slytherin-Tisch.
Dann sagte ich mit einer von mir nicht gewohnten Härte und Verbitterung :" Ich glaube, das ist besser so. Wir brauchen keine Verräter bei uns, oder James? Er hat seine Entscheidung getroffen und wir unsere, nichts auf der Welt kann daran jetzt noch was ändern!"

______________Anmerkung_______________

Sardonisch = beißend, vernichtend

HP Next Generation - Harry war gestern, jetzt komme ich! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt