Malfoy Manor und Grimmauldplatz 12

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Scorpius' Sicht

Wenn ich versuche, mich daran zu erinnern, was geschehen ist, kann ich nur verzerrte Bilder in meinem Kopf finden.
Es lief alles ganz schnell. Ich stand oben an der Treppe, als mir schwindelig wurde. Ich sah Schwärze, dunkle, alles verschlingende Schwärze. Und ich spürte Schmerz. Furchtbaren Schmerz. Überall.
Als ich die Augen öffnete, blickte mich ein fremdes Augenpaar an. Es waren grüne Augen, ähnlich denen von Albus. Aber es war sein Vater. Harry Potter.
Ich sah mich um. Und im nächsten Moment bereute ich es. Ich sah meinen Vater, bleich und verängstigt, in seinen Armen hielt er eine Frau, deren Augen geschlossen waren. Ihr Brustkorb hebte und senkte sich nur ganz schwach. Die langen, braunen Haare fielen ihr unordentlich vom Kopf, während ihr ganzer Körper schlaff uns leblos wirkte. So hatte ich meine Mutter noch nie gesehen.

"Was ist passiert?", fragte ich zum dritten Mal, aber es herrschte immer noch eine unangenehme Stille. Die Luft war elektrisch aufgeladen, als könnte ich jeden Moment einen Stromschlag bekommen.
Harry Potter sah zu meinem Vater, der immer noch dastand, ohne ein Wort rauszubringen.
"Dad?", fragte ich. Endlich schienen die Worte ihn zu erreichen.
"Du gehst mit zu Harry", beschloss er. Ich sah zu Harry Potter und er nickte.
"Du kannst so lange bei uns bleiben, bis es vorbei ist."
"Bis was vorbei ist?", fragte ich.
Wieder Schweigen. Und diesmal war die Luft noch zäher und schwerer und drückte die gesamte Last der Welt auf meine Schultern.
"Scorpius", ergriff Harry Potter schließlich das Wort und sah mich an, "Es geschehen Dinge, die niemand für möglich gehalten hatte. Aber mach dir keine Sorgen. Das Ministerium ist an der Sache dran. Du und Albus, macht euch einfach eine schöne Zeit bei uns. Genießt Weihnachten. Aber denkt nicht über Dinge nach, die nur die Erwachsenen etwas angehen."
Wie bitte? Das Einzige, was mich davon abhielt, wie wild loszuschreien und die Dinge, die ich dachte, laut zu sagen, waren wohl sowas wie Manieren und Anstand.
Aber am liebsten hätte ich alles gesagt, besser noch geschrien, was mir im Moment auf der Seele lag.
Seit Wochen, seit ganzen Monaten braute sich ein Sturm zusammen, rückte näher und näher und bedrohte all unsere Existenz - und ich sollte mich über Weihnachten freuen?!
Die Welt ging vor unserer Tür ihrem Ende entgegen und es gehe mich nichts an?!
Ich wurde von Alpträumen heimgesucht, die von mir Besitz ergriffen, suchte krampfhaft nach Erklärungen und was wurde zu mir gesagt? Ich solle mir keine Sorgen machen!
Meine Mutter war bewusstlos, ich anscheinend auch kurz und niemand, nicht mal der ach so große Harry Potter, wollten mir auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verraten, was hier überhaupt los war?!
"Dad!", rief ich vorwurfsvoll. Sein Gesicht fiel in sich zusammen und als er mich ansah, merkte ich, dass da etwas war, das uns auseinander zerrte. Etwas Großes und Schmerzhaftes. Noch wusste ich nicht, was es war, doch ich spürte es. Es war soetwas wie Rauch. Erst siehst du nur ihn, wie er in den Himmel steigt und dir die Luft zum Atmen nimmt, und dann entdeckst du das Feuer. Ein unbändiges, zerstörerisches Feuer, das nicht aufhört, bis der letzte Grashalm verdorrt ist.
Ich spürte, dass wir uns voneinander entfernten, jede Sekunde ein bisschen. Und ich sah, dass er log. Er verheimlichte mir die Wahrheit. Und das ertrug ich nicht. Plötzlich wusste ich ganz genau, dass es ein furchtbares Geheimnis gab, dass er tief verborgen hielt über all die Jahre.
In meinem Kopf bildeten sich einzelne Gedankenfetzen, viel zu schrecklich, um sie zu Ende zu denken. Ich versuchte, diese Gedanken nicht an mich ranzulassen, so als wären sie giftig und allein das Denken würde mich töten.
Mein Vater sah mich an, als würde er all die Enttäuschungen seines Lebens verbergen wollen, doch sie holten ihn ein. All seine Fehler und Zweifel sammelten sich zu einer riesigen, gingantischen Welle und überwältigten ihn.
Er sah plötzlich um Jahre gealtert aus, kraftlos und als hätte er die Macht über sich selbst schon längst verloren.
"Scorpius", sagte er mit einer Stimme, mit der er noch nie zu mir gesprochen hatte. Sie war so, als würde seine Maske abfallen und als würde ich zum ersten Mal den richtigen, ehrlichen Draco hören.
Ich wartete, bis er den Mut gesammelt hatte, um mir das zu sagen, was ihm auf der Zunge lag.
"Scorpius, hör zu: Bitte, bitte vertraue mir einfach. Ich weiß, es ist unvermeidbar, dass du eines Tages die Wahrheit erfährst... aber denke dann, wenn es soweit ist, daran, dass ich das alles nur getan habe, um dich zu schützen. Bitte unterteile diese Welt nicht in gut und böse und bitte verstehe, dass niemand unfehbar ist. Es tut mir leid.  Und ich hoffe, dass du mir eines Tages verzeihen kannst. Ich liebe dich."

Und zum zweiten Mal an diesem Tag wurde ich an der Hand genommen und davongezogen. Die Welt raste in einer unglaublichen Geschwindigkeit an mir vorbei, doch darauf konzentrierte ich mich. Alles in mir zog mich zurück. Ich wollte nicht los, nein. Ich musste zurück. Ich musste zu meinem Vater, zu meiner Mutter und ich musste die Wahrheit erfahren.
Denn die Wahrheit ist das, worauf wir bauen. Die Wahrheit ist nicht immer schön, aber wir brauchen sie.
Ohne die Wahrheit können wir nie lernen zu vertrauen. Und fehlendes Vertrauen führt zu Verbitterung und Verbitterung zu einer so unerträglichen Einsamkeit, dass selbst der schlechteste Mensch auf Erden sie nicht verdient hätte.

Albus' Sicht

Mum, Lily, James und ich saßen am Küchentisch und starrten auf die Stelle, an der Dad verschwunden war.
In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Dad's Worte klangen immer noch in meinem Kopf nach.
Und sie ließen auch nicht nach, als ich im Bett lag.
Jemand klopfte an und Mum trat ins Zimmer.
"Albus", sagte sie, "mach dir keine Sorgen. Alles wird gut. Ich habe gemerkt, dass du den ganzen Tag bedrückt bist. Und ich glaube auch, den Grund dafür zu kennen."
"Ach ja?", ich sah zweifelnd auf. Mum nickte und setzte sich an meine Bettkante.
"Vielleicht traust du dich nicht, es auszusprechen, aber ... es geht um Slytherin, oder?"
Ich schloss die Augen und schaute weg. Ich wollte ihr nicht in die Augen sehen. Doch das war nur der Beweis dafür, dass sie Recht hatte.
"Weißt du, ich kann mir gut vorstellen, wie du dich fühlst. Und du musst wissen, dass wir dich immer noch lieben, genau so, wie du bist.
Und ich möchte dir sagen, dass ich solz auf dich bin."
Einen Moment sah ich sie an.
"Sonst noch was?", fragte ich.
Mum wartete ab. Und ich spürte, dass ich sie enttäuscht hatte. Ich hatte sie alle enttäuscht, aber ich wollte nun nicht darüber reden.
"Willst du, dass ich gehe?", fragte Mum. Unsicher nickte ich. Ich wollte sie nicht verletzen, aber ich wollte auch in Ruhe gelassen werden.
Langsam erhob sie sich und ging zur Tür.
"Gute Nacht", meinte sie, bevor sie das Licht ausnoxte und die Tür leise schloss.

Ich musste gerade mal fünf Minuten in meinem Bett gelegen haben, als ich draußen Stimmen hörte. Ich stieg aus dem Bett und ging in den Flur. Auch James war wach und wir gingen zu zweit die Treppe runter.
Im Wohnzimmer standen Teddy, der Victoire besucht hatte und nun zurück war, und Dad.
Als er uns entdeckte, winkte er uns zu sich.
"Ich bin zurück. Ein kleiner Zwischenfall. Könnte etwas Ernstes werden", erzählte er schnell.
"Wo warst du? ", fragte James.
Aber diese Frage erübrigte sich, als jemand ins Zimmer kam.
"Scorpius!", rief ich, denn ihn hatte ich am allerwenigsten hier erwartet, "Wo kommst du her?"
Er bemühte sich um ein Grinsen.
"Aus dem Bad...Apparieren wird auf jeden Fall nicht meine Lieblingsreisemöglichkeit", meinte er.
"Nein, wieso bist du hier?"
"Das", trat Dad vor, "Werden wir morgen klären. Jetzt hol ich eine Matratze, die wir mit in dein Zimmer tun können, Albus. Und dann geht ihr alle erst mal ins Bett. Das war ein langer Tag. Morgen sehen wir weiter."

HP Next Generation - Harry war gestern, jetzt komme ich! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt