Halloween (2)

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Albus' Sicht

Wir waren immer noch unter dem Tarnumhang, was mir die Sache erschwerte, Scorpius unbemerkt wegzuziehen. Mein Herz raste, während ich seine Hände packte und langsam zur Tür schleifte.
Hier lief etwas gehörig schief. Und es war mir erschreckenderweise mehr als klar. Alles lief auf diesen einen Tag hinaus. Das Ereignis passierte jetzt. Es würde alles verändern, das fühlte ich.
Gerade in diesem Moment geschah irgendetwas hier in Hogwarts. Etwas Großes, Dunkles, Weltveränderndes.
Jetzt. Das Wort spukte in meinem Gehirn wie ein lästiger Parasit.
Dabei wusste ich nicht mal genau, was ich darunter verstehen sollte. Wann war 'jetzt'? Und wie lange dauerte es? Wie viel Zeit blieb noch übrig?
Zeit. Das war das, wovon wir eindeutig zu wenig hatten. Aber was hieß hier überhaupt 'wir'?
Ich sah suf Scorpius' blasses Gesicht. Unter seinen Lidern huschten die Augen schnell hin und her. Er musste irgendetwas sehen. Nur was?
Ich erreichte die Tür und blickte noch einmal zurück in die große Halle. Die Essensschlacht tobte immer noch, doch die Lehrer brachten langsam einige der Schüler wieder zur Ruhe.
James stand immer noch auf dem Tisch und lachte nichtsahnend über die Gesichter seiner Mitschüler. Ein trauriges Lächeln schlich sich auf meinen Mund, als ich sie alle so sah. Alle lachten und hatten glückliche oder etwas genervte Gesichter. Doch niemand kannte den wahren Ernst der Lage. Niemand ahnte auch nur im Entferntesten, dass schlimme Dinge geschahen. Nur Scorpius und ich. Und der war in eine andere Welt abgedriftet. Nun blieb alles an mir hängen. Und das war eine ungeheure Last. Ich spürte, wie ich zittrig wurde. Ich hatte doch gar keine Ahnung, was ich tun sollte? Ich war nur ein Erstklässler? Und wenn ich verletzt wurde? Es gab niemanden, der mir helfen konnte. Niemand würde wissen, wo ich bin oder was ich tat.
Ich war ganz auf mich allein gestellt. Bei diesem Gedanken drehte sich mein Magen um und mir wurde schwindelig.
Aber nein! Ich durfte jetzt nicht aufgeben. Scorpius brauchte mich!
Ich ging durch die Tür und schloss sie leise hinter mir. Plötzlich war ich umgeben von Ruhe. All der Lärm aus der großen Halle erreichte mich nicht mehr. Ich nahm den Tarnumhang ab und sah Scorpius auf dem Boden liegen. Er drehte sich um und murmelte etwas, aber ich verstand es nicht.
Also holte ich meinen Zauberstab heraus, richtete ihn auf Scorpius und sagte: "Mobilcorpus!"
Langsam erhob sich sein Körper und schwebte neben mir her. Ich ging vorsichtig die Treppen runter, den Zauberstab fest umklammert, dass die Knöchel an meiner Hand weiß hervortraten.
Ich betrat den Slytherin-Gemeinschaftsraum und lief in unseren Schlafsaal, wo ich Scorpius in sein Bett fallen ließ.
Ich stand unschlüssig neben ihm, wusste nicht, was ich tun sollte. Wieder fühlte ich mich so hilflos, wie an dem Tag, als es das erste Mal geschah. Was sah Scorpius gerade? Welche Bilder waren vor seinen Augen zu sehen? Sah er den Ausgang dieses Desasters?

Scorpius' Sicht

Ich stand wieder an dem Ort aus meinen Träumen. Doch diesmal war es anders. Diesmal wusste ich, dass ich träumte. Auch sonst fühlte ich mich irgendwie ... unecht. Es war, als würde nur ein Teil von mir an diesem komischen Ort sein. Als sei meine Seele von meinem Körper getrennt.
Doch wieso fühlte ich dann trotzdem Nässe an meinen Füßen? Wieso spürte ich, dass ich knöcheltief im Wasser stand. Ich sah zu Boden. Das Bild war verschwommen. Es flackerte seltsam. Langsam machte ich einen Schritt vorwärts. Das Wasser unter meinen Füßen platschte und kleine, kreisförmige Wellen gingen von meinen Beinen aus. Ich sah wieder das runde Tor mit dem verschlungenen Relief vor mir. Ganz, ganz langsam streckte ich meine Hand aus. Noch dreißig Zentimeter, noch zwanzig, noch zehn...
Mein Herz raste immer schneller. Dann berührte meine Hand es. Das Tor war aus kaltem, dunklen Stein. Vorsichtig tastete ich mich an ihm entlang und fühlte mich ein bisschen wie ein Halbblinder. Es machte mir etwas Angst, dass ich nicht erkennen konnte, was vor mir war.
Doch dir Neugier siegte. Ich musste es einfach wissen. So lange hatte ich darauf gewartet, rauszufinden, was das für ein Ort war. Vielleicht bot sich mir hier gerade eine einmalige Chance. Und wenn ich es jetzt nicht tat, dann würde ich es hinterher nur bereuen.
Irgendwo musste doch ein Schloss oder ein Türknauf sein?!
Aber wo?
"Geh schon auf!", fluchte ich nach einer Weile, da ich keinen fand.
Und in dem Moment ertönte eine Stimme hinter mir.
"Schön, dass du gekommen bist, Scorpius", säuselte sie. Erschrocken drehte ich mich um. Woher kannte sie meinen Namen?
Ich wollte sehen, wer es war, doch als ich mich umwandte, war das Bild vor meinen Augen immernoch verschmiert. Und keine Sekunde später durchfuhr mich etwas, das sich anfühlte wie kaltes Wasser. Ich schrie auf. Und plötzlich begann ich zu fallen. Der Boden wurde mir unter den Füßen weggerissen und ich stürzte. Ich schloss die Augen und versuchte mich mental auf den Aufprall gefasst zu machen.
Doch er kam nicht. Ich spürte, dass ich nicht mehr im freier Fall war. Ich musste irgendwo liegen. Also traute ich mich, die Augen zu öffnen.

Das Erste, was mir auffiel, war, dass ich alles klar sehen konnte. Ich blickte mich um und erkannte ein Paar grüne Augen.
"Albus?", fragte ich verdattert und mir wurde klar, dass ich aus dem Traum erwacht war. Albus seufzte erleichtert.
"Merlin sei Dank!", sagte er, "Was ist passiert?"
Ich setzte mich auf und sah mich erst mal um. Wir waren in unserem Schlafsaal. Niemand war da, also konnte ich es erzählen.
"Ich weiß es selbst nicht so genau", fing ich an, "Ich habe geträumt, aber bewusst. Ich war wieder dort. Und ich konnte die Tür berühren. Aber ich fand keinen Türknauf. Ich bekam sie nicht auf. Und dann war wieder die Stimme da. Sie sagte, es sei schön, dass ich gekommen war. Und sie kannte meinen Namen, keine Ahnung woher. Aber als ich mich umdrehen wollte, wurde ich ... oder zumindest kam es mir so vor ... mit Eiswasser überschüttet und ich fiel und fiel und jetzt bin ich wieder hier."
Albus hatte mir die ganze Zeit aufmerksam zugehört, sagte aber noch kein Wort.
Also ergriff ich die Gelegenheit, etwas zu sagen.
"Und jetzt musst du mir mal erzählen, was überhaupt passiert ist, solange ich, nun ja, abwesend war? Wie sind wir hierher gekommen? Hat jemand was mitbekommen?", fragte ich.
Albus sah mich an.
"Du kannst dich an nichts erinnern, was da geschehen ist?", fragte er.
Ich verdrehte die Augen.
"Sonst würde ich ja nicht fragen, oder?", entegnete ich.
Albus überging meinen etwas zu unfreundlichen Ton einfach und erklärte: "Du bist unter dem Tarnumhang zusammengebrochen und hast irgendwas von Wasser geredet."
Ich nickte.
"Ja, der Boden war nass. Hab ich noch irgendwas gesagt?", drängte ich.
"Nein", sagte er und einerseits war ich enttäuscht, andererseits war ich froh, dass ich nicht irgendwas Peinliches gesagt hatte.
"Nun sag, was ist dann passiert?", wollte ich wissen.
"Ja ja, irgendwie mussten wir verschwinden, also hab ich dich aus der großen Halle gezogen und hierher gebracht", erklärte er.
"Weiß jemand was davon?", fragte ich mit einem mulmigen Gefühl.
"Ich glaube nicht", sagte Albus.
Ich nickte schnell und fragte weiter: "Wie viel Zeit ist vergangen?"
Albus kramte in seiner Hosentasche und blickte auf sein Handy.
"Eine halbe Stunde",antwortete er
"Was? Echt? So lange?!", rief ich.
Er nickte und dann fiel ihm plötzlich etwas ein. Aufgeregt berichtete er mir: "Als du umgekippt bist, hab ich auf der Karte des Rumtreibers einen Namen im Mädchenklo der Maulenden Myrte gesehen. Fing mit 'B' an, doch ich konnte ihn nicht lesen!"
Ich sah ihn schief an.
"Was soll daran jetzt weltbewegend sein? Kann doch gut sein, dass jemand mal auf Toilette gehen musste?"
Jetzt war er an der Reihe mit Augenverdrehen.
"Ganz bestimmt nicht", erwiderte er, "Die Toilette dort wird gemieden, weil die Maulende Myrte ist. Und wenn jemand mal aufs Klo musste, wieso ist er dann erst in die zweite Etage gerannt? Das wäre doch nur ein Umweg!"
Ich runzelte die Stirn.
"Vielleicht eine Freundin von Myrte?", schlug ich vor.
"Myrte hat keine Freunde", sagtw Albus.
Und nachdem ich an die hundert weitere Gründe zu finden versucht hatte, wieso sich eine Person auf dem Klo befand, gab ich schließlich auf.
"Albus, was denkst du denn, was das zu bedeuten hatte?"
Er zuckte mit den Schultern.
"Auf jeden Fall glaube ich nicht, dass es ein Schüler aus Hogwarts war", sagte er.
"Wer sonst?"
"Woher soll ich das denn wissen?"
Ich stöhnte.
"Und was sollten wir deiner Meinung nach jetzt tun?", fragte ich.
"Wir brauchen Hilfe", eröffnete er mir seinen Vorschlag, "Wir müssen es langsam mal jemandem sagen!"
Ich starrte ihn an.
"Du willst es ernsthaft jemandem verraten? Ich dachte, wir wollten es vorerst geheim halten?!", rief ich aufgebracht.
"Hör mir doch einfach mal zu!", sagte Albus, "Wir haben es schon die ganze Zeit verheimlicht. Und was hat uns das gebracht? Ganz genau - nichts. Wir kommen hier allein nicht mehr weiter und wenn es schlimmer wird? Irgendjemand muss davon wissen! Wenn uns irgendwas passiert, kann uns niemand helfen! Wir müssen es sagen!"
Einige Minuten sahen wir uns nur an. In Gedanken versuchte ich abzuwägen, ob das eine wirklich so gute Idee war. Aber eigentlich hatte er recht. Was sollten wir sonst tun?
"Okay, von mir aus", gab ich schließlich nach.
Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
"Super!", rief er.
"Gut, und wen sollen wir nun fragen?", wollte ich wissen.
"Albus", sagte er.
"Wie jetzt? Du willst dich selbst fragen? Machen wir jetzt Hypnose oder so?", fragte ich.
"Doch nicht mich, sondern Albus Dumbledore!"

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