Der letzte Brief

197 18 0
                                    

Scorpius' Sicht

Dad war ganz bleich. Ich wahrscheinlich auch.
"Was wirst du jetzt tun?", fragte ich. Ich wünschte, ich hätte genug Kraft, um etwas an den Dingen zu ändern. Aber die hatte ich nicht.
Dad sah mich traurig an.
"Ich muss gehen", sagte er.
"Nein!", rief ich.
"Es geht nicht anders. Sie...sie würden mich so oder so kontrollieren. Dich kontrollieren. Das kann ich nicht zulassen!"
Mein Herz zog sich zusammen. Aber ich konnte nichts mehr an seiner Entscheidung ändern.
"Scorpius, hör zu", sagte er nochmal und ich wusste, er würde gleich aufbrechen, "Was immer passiert, es wird immer jemanden geben, der zu dir hält, vergiss das nicht. Du bist nicht alleine, niemals. Und...und folg mir nicht. Es ist sicherer hier. Bleib in Hogwarts, Scorpius, bitte."
Ich nickte. Und ich wusste, dass ich es ihm in diesem Moment versprach.
"Gut", nickte er, "Dann...erzähl niemanden, was ich tun werde, okay? Und...und wenn ich nicht wieder komme, dann habe ich mich bewusst dafür entschieden. Wenn ich sterbe, dann, um für das Richtige zu kämpfen, okay?"
Meine Stimme war ganz heiser, als ich ein leises "Okay" herausbrachte. Ich wollte nicht daran denken, was passieren würde, wenn er starb. Ich gab mir alle Mühe, nicht zu weinen, aber konnte trotzdem nichts gegen meine wässrigen Augen tun.
Dad sah mich an. Und womöglich war es das letzte Mal.
Dann beugte er sich zu mir nieder und umarmte mich. Ein letztes Mal lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter. Wie hatte ich ihn je hassen können? Er war kein Feigling, nein. Er war wahrscheinlich der mutigste Malfoy, der je gelebt hatte.
"Ich hab dich lieb, Scorpius", sagte er. Ich wollte ihm antworten, aber meine Stimme versagte. Und als er sich aufrichtete, wollte ich ihn festhalten, aber ich wusste, dass das falsch war. Ich wusste, dass er das Richtige tun würde. Er würde versuchen, die Todesser von einer anderen Seite aus aufzuhalten.
Also erhob er sich. Er sah mich an und lächelte.
"Bleib stark, Scorpius", sagte er und drehte sich um. Ich fühlte mich, als würde ich einzig aus einem riesigen Knoten bestehen. Ich sah ihm nach und war erfüllt von furchtbarer Trauer ... und  auch von ein bisschen Stolz.
Ich beobachtete, wie er langsam über das Gelände ging. Die Sonne bestrahlt ihn und obwohl sie hell schien, war mir kalt.
Langsam verschwand seine Gestalt, war nur noch ein kleiner Punkt am Horizont.
"Bis dann, Dad", flüsterte ich, denn ich wollte keinen Abschied für immer nehmen. Noch nicht.

Dann sank ich erschöpft zu Boden. Ich lehnte immer noch am Baum und fühlte mich so furchtbar leer. Ich hätte geweint, wenn ich gekonnt hätte. Aber nicht mal dafür hatte ich genug Kraft.
Ich fragte mich, was ich in meinem Leben nur verbrochen hatte, dass alles so dermaßen den Bach runterging.
Ich zitterte und versuchte mit Mut zuzusprechen. Ich versuchte mich zu beherrschen. Ich würde niemandem etwas bringen, wenn ich schwach war.
Ich wusste nicht, wann ich wieder aufstand. Es musste schon gegen 5 Uhr sein. Es war Frühling. Die Tage wurden wieder länger.
Aber ich wünschte mir nur, die Nacht würde so bald wie möglich kommen und mich verschlingen.
Ich ging über die Ländereien Hogwarts. Hier und da sprießten Blumen. Ich trat drauf.
Pff, von wegen neues Leben, von wegen Sonnenschein und Glück. Die Welt sollte nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. Denn das war es ganz und gar nicht.
Ich zertrampelte weitere Blumen, denn es nervte mich auf einmal furchbar, dass sie ihre Köpfe fröhlich gen Himmel reckten, während ich verzweifelte.
Für einen Moment hielt ich inne. War es tatsächlich so weit gekommen? War ich gerade ernsthaft eifersüchtig auf Blumen?
Und obwohl ich es eigentlich gar nicht wollte, musste ich ganz kurz grinsen.
Schnell riss ich mich wieder zusammen. Es gab keinen Grund zum Glücklichsein. Zumindest für mich nicht.
Für alle anderen schien die Welt noch einigermaßen in Ordnung zu sein. Nur für mich nicht.
Ich spürte eine Mischung aus Trauer, Wut und Neid in mir.
Ich beschleunigte meine Schritte, um so schnell wie möglich zurück in Hogwarts zu sein. Aber in dem Moment, als ich meine Hände in die Jackentasche schob, spürte ich etwas darin. Etwas, das vorher noch nicht drin gewesen war. Ich holte es heraus.
Es war ein kleiner, gelblicher Umschlag. Es stansmd kein Absender, aber ich erkannte Dads Schrift.
Auf dem Umschlag stand in seinen Buchstaben:

Öffne mich, wenn's am schlimmsten ist.

Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, noch,  wo der Brief plötzlich herkam. Aber da erinnerte ich mich daran, wie Dad mich umarmt hatte. Sicher hatte er mir da den Brief unauffällig in die Jackentasche geschoben.
Meine Finger kribbelten, aber ich öffnete den Brief nicht. Nein, noch war es nicht am schlimmsten. Noch konnte ich es aushalten.
Egal wie neugierig ich war, ich steckte den Brief zurück in meine Jackentasche und setzte meinen Weg fort.

Als ich durch die Eingangstür ging, merkte man, dass sich auch Hogwarts verändert hatte. Die eingestürzten Wände hatte noch niemand repariert. Ein ganze Menge Schüler tummelte sich davor. Es war laut und aufgewühlt. Entsetzen erfüllte den Raum. Und in den nächsten Tagen wurde es nicht besser. Die Tagespropheten brachten nur noch Neuigkeiten von Zerstörung. Todesser hier, Todesser da. Die Mordlisten wurden immer länger. Beim Frühstück hörte man immer öfter das entsetzte Kreischen von Schülern, deren Familienmitglieder umgebracht wurden. Teddy Lupin war bald nicht mehr der Einzige, dessen Haus zerstört worden war. Es wurden Hallen errichtet, in die man flüchten konnte. Zwei Tage nach der Errichtung einer solchen Halle schwebte das dunkle Mal über ihr.
Die Todesser waren überall. Sie breiteten sich schneller aus als ein Schwarm Moskitos.
Am Dienstag wurde eine Muggelfamilie ausgelöscht. Am Mittwoch ein Laden in der Winkelgasse ausgeraubt. Am Donnerstag fiel Damian beim Frühstück fast von seinem Stuhl. Er ließ den Tagespropheten fallen und dieser gleitete zu Boden. Ich hob ihn auf. Ein Blick auf die Mordliste genügte.
Ich hatte ihn trösten wollen, aber jedes Mal, wenn ich zu ihm ging, schrie er mich an, ich würde es doch eh nicht verstehen. Und da hatte er womöglich recht. Noch.
Hogwarts war längst kein Ort der Freude mehr. In Verteidigung gegen die dunklen Künste herrschte nun schon eine ganz andere Stimmung. Niemand lernte es mehr, weil es Pflicht war, sondern, weil unsere Leben anfingen davon abzuhängen. Man sah den Lehrern an, wie sie in jeder Stunde so viel wie möglich Stoff drannehmen wollten. Harry Potter hatte angefangen, einige Stunden Vgddk zu übernehmen.
In Zaubertränke lernten wir überwiegend Heiltränke.
In Zauberkunst nur noch wichtige Zauber, mit denen man angreifen oder sich verteidigen konnte. Wer wollte da schon wissen, wie man Wasser in Rum verwandelt oder Ratten in Kelche?
James erzählte Albus, dass Professor Trelawney mindestens einen Tod in jeder Stunde voraussagte.
Und das war inzwischen nicht mal mehr überzogen. Jeden Tag fürchtete man um das Leben seiner Familie. Jeden Tag breitete sich das Übel weiter aus.
Trotz der Anstrengung der Aurorenzentrale und des Ministeriums konnte nichts mehr die Todesser aufhalten.
Und die ganze Zeit fürchtete ich um meinen Vater. Ich hatte niemandem erzählt, wohin er gegangen war. So, wie ich es ihm versprochen hatte, egal wie oft Harry Potter mich aucz fragt. Meine Lippen blieben versiegelt.
Ich konnte weder Dad, noch Mum schreiben. Man hatte uns verboten, überhaupt irgendwelche Briefe mit wichtigen Informationen zu schicken, damit die Eulen nicht abgefangen wurden.

Und jeden Tag nahm ich Dads Brief in die Hand - und legte ihn wieder zurück. Denn ich wusste, das Schlimmste stand uns noch bevor.

HP Next Generation - Harry war gestern, jetzt komme ich! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt