Der Antimaterienkiesel

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Rose's Sicht

Noch am selben Abend füllte sich Hogwarts mit Schülern, die von ihren Eltern hergebracht wurden, da diese glaubten, hier sei es sicher.
Am nächsten Tag war die Halle wieder fast so voll, wie an einem normalen Schultag. Der einzige Unterschied waren die sieben Stühle am Lehrertisch, wo Harry, Mum, Dad, Ginny, Teddy, Draco Malfoy und (omg) Luna Scamander!
Ich riss mich zusammen. Ich war nicht eines dieser nervigen Mädchen, die beim Anblick ihres Idols in Ekstase verfielen und Töne in der Frequenz einer Fledermaus von sich gaben.
Stattdessen bemühte ich mich um ein ordinäres Auftreten und wo war ich üblicherweise? Genau, in der Bibliothek.
Ich durchstöberte also gerade die Bücherregale nach angemessener Literatur für den kurzen Zeitvertreib zwischendurch, als mir jemand entgegenkam. Derjenige passte nicht besonders gut auf, aber ich wich in der letzten Sekunde aus.
"Oh, tut mir leid", entschuldigte sich Luna.
Ich schnappte nach Luft.
"Kein Problem", presste ich heraus, doch das Blut stieg mir in die Ohren und sie wurden ganz heiß.
Das war Luna Scamander und sie redete mit mir!
Doch Luna schien kaum etwas von meiner inneren Freude mitzubekommen. Verständlich. Welches elfjährige Mädchen mochte schon Naturforscherinnen? Die standen doch alle nur auf irgendwelche Boygroups, deren Musik in meinen Ohren doch eh immer gleich klang.
Luna ging weiter und starrte interessiert einige Buchtitel an.
"Oh", sagte sie mehr zu sich selbst, "Ich wusste gar nicht, dass sie hier meine Bücher haben."
Sie lächelte zufrieden und schlug eines der Bücher auf.
"Das sind meine Lieblingsbücher!", rutschte es mir heraus. Luna sah mich erstaunt an, dann lächelte sie.
"Du bist interessant", sagte sie.
Mir wurde heiß.
"Du heißt doch Rose, oder?", fragte sie. Ich nickte.
"Schön dich kennenzulernen", meinte Luna und streckte mir eine Hand entgegen. Ich nahm an und konnte nicht fassen, was gerade geschah. Denn ehe ich mich versehen hatte, verwickelte mich Luna schon in ein Gespräch über magische Tierwesen.
Ich war ganz aufgeregt, zwang mich aber dazu, in einem ruhigen, sachlichen Ton zu sprechen.
Wahrscheinlich würde ich nie wieder die Gelegenheit bekommen, solch ein Gespräch zu führen. Allein schon wegen der Tatsache, dass die meisten meiner Mitschüler das Niveau einer Amöbe besaßen, von einigen, wenigen Außnahmen zu schweigen.
Wir unterhielten uns gerade angeregt über Hippogreife, als draußen ein Blitz zuckte. Er zerriss den dunklen Himmel. Luna sah ihn bewundernd an.
"Die Leute mögen keine Gewitter, weil sie sich hilflos und klein in ihrer Haut fühlen. Sie haben ein ausgeprägtes Machtstreben und was sie nicht beherrschen können, macht ihnen Angst", sagte sie.
Ich sah sie an und als könne sie meine Gedanken lesen, meinte sie: "Alle Menschen, egal ob Zauberer oder Muggel, ob Slytherin oder Gryffindor."
Ich nickte. Sie sagte es nicht tadelnd, als wolle sie mich warnen, solche Sachen zu denken, sondern einfach so. So, als würden wir uns schon ewig kennen.
Irgendwann tobte draußen ein furchtbarer Sturm und Luna erzählte von einer ähnlichen Nacht, als sie in Brasilien am Amazonas eine Expedition unternommen hatte. Es hatte ganau so gestürmt, die Leute waren geflüchtet, aber Luna war draußen geblieben und nur so konnte sie Wassernymphen entdecken, die ihren Regentanz aufführten. Während Luna erzählte, kam es mir so vor, als wäre ich selbst dort gewesen. Als würde ich den Regen hören, der gegen die Zeltwände trommelt und die Tropfen, die im Wasser zerspringen.
"Sieh mal", sagte Luna irgendwann und streifte sich eine Kette mit vielen verschiedenen Steinen vom Hals.
"Das hier ist ein Stein, in dessen Mitte das Glasstück einer Prophezeiung eingearbeitet ist", sagte sie und zeigte auf ein bläulich schimmerndes Exemplar, "Die Leute sagen, er würde einem das Schicksal weisen...und der hier, das ist ein Kräuterklotz. Die ersten Hexen haben ihn zum Brauen von Heiltränken verwendet. Er war sehr haltbar und praktisch, aber heutzutage erinnert sich kaum einer noch an die guten Methoden  von damals."
Ich hörte ihr gebannt zu. Es war ganz anders als im Unterricht.
Schließlich holte Luna einen kleinen, unauffälligen Kiesel von der Kette.
"Und das, Rose", sagte sie, "ist der wohl wertvollste und am wenigsten zu gebrauchende Stein meiner Sammlung. Der Antimaterienkiesel. Hast du schon mal was davon gehört?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Nein. Was macht er?", fragte ich.
Luna lächelte.
"Er ist das Gegenstück zum Materienkiesel. Er kann Materie in Energie umwandeln. Gegenstände mit transparenter Aura können von ihm eingesogen werden und alles, was bleibt, sind bunte Lichter. Der Antimaterienkiesel ist sehr mächtig, aber es gibt kaum Gegenstände, die mit ihm verwandelt werden können..."
"Was gäbe es denn zum Beispiel?", fragte ich nach. Luna kaute auf ihrer Unterlippe.
"Ich glaube, Geister könnten damit verschwinden", sagte sie.
"Aber ist das denn nicht Mord?!", rief ich auf einmal panisch, hielt mir aber sofort wieder den Mund zu, nachdem mich Madam Pince missbilligend ansah.
Luna schüttelte den Kopf.
"Eine ethisch umstrittene Frage. Aber eigentlich lebt ein Geist nicht, also kann er auch nicht sterben..."
Ich sah sie an. Irgendwie klang das für mich immer noch sehr weit hergeholt.
"Aber was sind Geister denn sonst?", fragte ich, "sie sind nicht lebendig, aber auch nicht wirklich tot."
"Sie sind Erinnerungen. Nicht mehr und nicht weniger. Sie leben nicht, aber sie sind auch noch nicht bereit, ins Jenseits zu wandern. Der Tod ist ein interessantes Thema, nur verschreckt er die Leute. Es ist nicht der Tod, sondern die Ungewissheit, die den Menschen Angst macht. Dumbledore hat das gewusst."
Luna lächelte mich an, auch wenn ich immer noch recht verwirrt dreinblickte.
"Rose", sagte sie schließlich, "Ich mag dich, du bist ein interessanter Mensch. Aber du bist genau wie deine Mum, ziemlich rational. Ich sehe dich an und entdecke nicht ein Kind,  sondern eine Erwachsene in dir. Sei ein bisschen...nun ja, aufgeschlossener. Also nicht so steng zu dir selbst. Die Welt ist ein unglaublicher Ort und er zeichnet sich durch Wunder und Unbegreiflichkeiten aus. Lass der Welt ihre Wunder, Rose. Du musst nicht alles wissenschaftlich analysieren und in Kategorien und Ordnungssysteme gliedern. Du bist noch ein Kind, genieße diese Zeit. Die Pflicht wird noch früh genug kommen, also ruhe dich erst mal aus, bevor du ihre Last stemmen musst."
Ich sah Luna an ohne genau zu wissen,  was ich denken sollte. Hielt sie mich auch für eine verklemmte Streberin? Aber so war Luna nicht. Ich erkannte in ihren Augen ehrliche und echte Besorgnis. War ich wirklich zu wenig Kind für mein Alter?
"Rose, du musst meinen Rat nicht annehmen, wenn du nicht willst, aber denk darüber nach", sagte sie.
"In Ordnung", nickte ich.
Luna lächelte mich an.
"Ich muss langsam gehen", sagte sie, "aber davor möchte ich dir noch etwas schenken."
"Oh, das ist nicht nötig!", meinte ich sofort, obwohl ich schon neugierig war.
"Ach, Rose. Genau das meine ich, lass all die Formalitäten bleiben. Ich weiß doch genau, dass du es haben willst", lächelte sie und bevor ich etwas erwidern konnte, hielt sie mir schon den Antimaterienkiesel hin.
"Wirklich?", fragte ich erstaunt, "Den Antimaterienkiesel?"
Luna lächelte.
"Natürlich. Und solltest du je das Gegenstück finden, pass auf, dass du sie nicht verwechselst. Sie sehen sich sehr ähnlich, manchmal weiß selbst ich nicht, welcher Stein nun welcher ist", grinste sie.
"D-Danke", stotterte ich und hielt den kleinen Stein in meiner Hand. Er war ganz leicht, aber ich konnte seine Wärme spüren. Ich fühlte mich, als würde ich etwas sehr, sehr Wertvolles bestitzen. Und das tat ich sicher auch.

HP Next Generation - Harry war gestern, jetzt komme ich! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt