Unter Beobachtung

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Scorpius' Sicht

Wir saßen beim Frühstück und die Kerzen schimmerten golden über unseren Köpfen. Ich nahm einen Schluck von meinem Kürbissaft, als ich plötzlich einen Blick im Rücken spürte. Einen stechenden, unangenehmen Blick. Automatisch machte ich meinen Rücken gerader.
Wer war das?
Wenn ich jetzt nach hinten schauen würde, dann würde mein Beobachter wegschauen. Also nahm ich meinen Löffel und benutzte ihn wie einen Spiegel. Eine Weile brauchte ich, um ihn auszurichten. Das Bild war zwar verzerrt, aber ich konnte etwas erkennen. Oder besser gesagt jemanden. Jemanden mit roten Haaren und einer genau so roten Gryffindor-Krawatte. Wer hätte das gedacht? - Es war mal wieder unsere ach so nette Rosie Weasley? Hatte die denn nie genug vom Ärger? Was wollte sie jetzt schon wieder?
Albus und ich hatten genug andere Probleme, zum Beispiel das nahende Unheil, das niemand zu bemerken schien. Ich hatte nur fünf Stunden Schlaf und hatte zu dem schulischen Stress noch alle anderen Probleme am Hals. Welche normale Person würde da nicht wenigstens beim Essen etwas Erholung wollen?
Aber nein - wir hatten schon wieder Rose Weasley an den Fersen kleben.
Ich tippte Albus an.
"Das Wiesel beobachtet uns", flüsterte ich. Und natürlich tat er das zu Erwartende. Er drehte sich um. Ich sah im Löffel, wie Rose schnell den Blick auf den Tisch richtete und so tat, als hätte sie uns nicht beobachtet. Sie kritzelte schnell irgendetwas auf ein Pergament, doch ich konnte nicht erkennen, was es war.
Da unsere Tarnung eh schon aufgeflogen war, konnte ich mich auch umdrehen.
"Was tut sie da?", fragte Albus. Ich zuckte mit den Schultern.
"Wohe soll ich das wissen?", antwortete ich, "Und warum interessiert es dich überhaupt?"
Albus sah mich an.
"Erstens", meinte er grinsend, "Ich dachte, du seist allwissend. Und zweitens: man sollte immer wissen, was der Feind plant."
Ich grinste.
"Vielleicht macht sie Hausaufgaben", schlug ich stattdessen vor. Und auf der Stelle begannen wir mit lachen. Rose war so eine kleine Streberin, die würde nie die Hausaufgaben auf den letzten Drücker beim Frühstück machen.
In dem Moment kamen die Eulen geflogen. Die große Halle füllte sich mit Federn und begeisterten Rufen.
Ein Stück von Rose entfernt sah ich James Potter, der schon alarmiert nach einem roten Umschlag Ausschau hielt. Doch zu seinem Glück kam keine Eule mit einem Heuler für ihn.
Stattdessen landete eine vor mir.
Sie schüttelte den Regen aus ihrem braunen Gefieder und übergab mir einen weißen Umschlag.
"Danke", meinte ich und gab ihr einen Eulenkeks, den sie glücklich verschlang.
Dann nahn ich den Umschlag. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich Albus. Wie immer schlich sich für den Bruchteil einer Sekunde ein verletzer Ausdruck auf sein Gesicht, wenn alle außer ihm Post bekamen. Er tat so, als würde es ihm nichts ausmachen, aber inzwischen kannte ich ihn schon so gut, dass ich wusste, wann er log.
Ich öffnete den Brief schnell, denn es war mir unangenehm. Ich las ihn durch und steckte ihn weg.
"Was stand drin?", fragte Albus.
"Meine Mum will, dass ich über die Weihnachtsferien nach Hause soll", sagte ich.
"Warum?"
Ich zuckte mit den Schultern.
"Ich glaube, sie hält Hogwarts für keinen besonders sicheren Ort", erklärte ich. Albus schüttelte ungläubig den Kopf.
"Aber in Hogwarts ist es so sicher, wie nirgendwo sonst", sagte er.
"Aber es ist ein Ort, der das Angriffsziel für allerlei Zauberer und Hexen sein kann", sprach ich die Bedenken meiner Mum nach.
Albus sah ein bisschen traurig aus.
Sofort schlug ich vor: "Aber wenn du willst, kann ich sie vielleicht überreden, doch zu bleiben."
Albus winkte ab.
"Nein, brauchst du nicht", sagte er schnell, "Ich muss wahrscheinlich auch nach Hause. Lily besteht immer darauf, dass wir als Familie Weihnachten feiern. Darüber hat sich James immer aufgeregt..."
Ich nickte.
"Okay", sagte ich, "Aber wieso siehst du dann trotzdem so traurig aus?"
Er antwortete nicht. Und ich konnte mir denken, warum. Er hatte Angst, seine Eltern wiederzusehen. Jetzt, wo er in Slytherin war. Ich verstand die Potters nicht. Wieso waren sie so sauer auf ihren Sohn, dass sie den Briefkontakt abbrachen? Albus hatte doch gar nichts getan, er konnte doch nichts dafür, dass in Slytherin war?
Und noch dazu würden sich seine Eltern sicher nicht freuen, wenn sie hörten, mit wem er sich befreundet hatte. Mit mir. Dem Sohn ihres Erzfeindes.
Ich schüttelte den Kopf. Das war doch lächerlich. Lächerlich. Genau das war das Wort, dass seine Situation haargenau beschrieb.
"Weißt du", sagte ich entschieden, "es sind noch fast zwei Monate bis zu den Weihnachtsferien. Und diese Zeit sollten wir nutzen. Wir haben noch ein Geheimnis zu lüften!"
Ich grinste und endlich stahl sich ein Lächeln auch auf sein Gesicht. Ich wusste doch, dass man ihn mit den Gedanken an ein Abenteuer ködern konnte.

"Hast du was?", fragte ich am Nachmittag. Albus und ich waren in der Bibliothek und suchten nach Antworten. Sonst schien kaum jemand da. Die ungewohnte Ruhe hatte auch etwas Nützliches. Eigentlich hätten wir beunruhigt sein sollen, dass Hogwarts in letzter Zeit schläfrig war, aber wir waren mit anderen Dingen beschäftigt.
"Nein", rief Albus mir zu, um fünf Minuten später zu schreien: "Scorpius, komm mal rüber!"
Ich huschte zwischen den Regalen zu ihm. Er zeigte auf ein altes, in schwarzes Leder gebundenes Buch.
In goldener, verschnörkelter Schrift stand der Titel auf ihm. Mystische Vorzeichen: Ein Handbuch von A-Z.
"Bingo!", rief ich und zog es aus dem Regal - und blieb für fünf Sekunden fassungslos stehen. Denn durch das Loch, welches nun im Regal war, blickten zwei Augen. Sie waren braun und weit aufgerissen.
Albus war der Erste, der die Sprache wiederfand.
"R-Rose?", fragte er ungläubig.
Und es waren in der Tat Rose's Augen, die uns da anstarrten.
"Was machst du hier?", zischte ich feindselig.
Sie sah von Albus zu mir und wieder zurück, als wolle sie die Gefahr abschätzen. Hatten die Ereignisse im Krankenflügel Auswirkungen auf sie gehabt?
Gerade als ich das dachte, klappte Rose's Mund wieder zu und verwandelte sich in einen dünnen Strich. Nein, sie hatte sich nicht verändert. Sie war immer noch eingebildet und rotzfrech.
Mit hochnäsiger Stimme antworte sie: "Ich lerne. Und was wollt ihr zwei hier?"
Albus funkelte sie wütend an.
"Denkst du, du bist die Einzige, die Bücher lesen kann?!"
Er trat näher an das Loch im Regal. Rose Augen verengten sich, sie machte sich auf einen Streit gefasst, doch mir entging nicht, dass sie ein Pergament hinter dem Rücken versteckte. Seltsam. Ich erinnerte mich daran, dass sie heute morgen etwas aufgeschrieben hatte, nachdem sie bemerkt hatte, dass wir sie erwischt hatten.
Ich dachte angestrengt nach. Hatte sie nicht in den letzten Tagen immer ein Pergament zur Hand gehabt? Konnte es sein, dass sie ... uns stalkte?
"Accio Pergament!", rief ich, während Albus und sie abgelenkt waren.
Das Papier floh aus ihrer Hand, durch das Loch im Regal und direkt in meine Hand.
Sie sah mich schockiert an und ich konnte es mir nicht verkneifen, zu grinsen. Rose langte erfolglos durch das Loch, doch ich trat einen Schritt zurück.
"Was ist das?", fragte Albus und schaute mir über die Schulter. Ich faltete das Pergament auseinander und sah es mir an.

Meine Kinnlade fiel runter, als ich durch war. Auf diesem Pergament war Albus' und mein Tagesablauf genaustens dokumentiert. Es stand die genaue Uhrzeit da und jede Bewegung, die wir gemacht hatten.
Albus starrte auf das Pergament.
Dann drehte er sich zu Rose, die mit glühendem Gesicht dastand.
"Was ist das?", fragte er. Sie sagte keinen Mucks.
"Nun sag schon!", befiehl ich ihr im strengem Ton.
Rose sah entsetzt aus...

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