Unfassbar

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Rose's Sicht

Ich ließ das Fernglas sinken. Nein! Nein, das durfte doch alles nicht wahr sein! Wie konnte Slytherin gewinnen?!
Lina stand neben mir und buhte laut, während ich den Mund gar nicht mehr zu bekam. Aber nicht unbedingt, weil Slytherin gewonnen hatte, sondern wie. Ich hatte Potter die ganze Zeit beobachtet und war recht schnell darauf gekommen, was für einen fiesen, kleinen Trick er da benutzt hatte. Von wegen verheulter, kleiner Erstklässler. Falsche Schlange würde da viel besser passen. Wie konnte er nur? Wie tief konnte ein Mensch eigentlich sinken?  War ihm denn kein Preis zu hoch, um zu gewinnen?
Ich ballte die Fäuste zusammen. Es war klar, dass O'Lorry Mitleid haben würde. Sie war nett und verdiente es nicht, ausgenutzt zu werden. Ich hasste all diejenigen, die Hufflupffs so behandelten, als wären sie Flaschen. Sie hatten die besten Eigenschaften von allen  Häusern. Loyalität. Freundlichkeit. Vertrauen. Das war Menschlichkeit.
Was ist nur aus dieser Welt geworden? Wie können diese Leute, die das größte Herz von allen haben, nur so behandelt werden. Wieso wurde die Menschheit nur so furchtbar egoistisch, zu so einer degoutanten Ellebogengesellschaft?
Der kalte Herbstwind verwuschelte mir die Haare und zwickte meine Haut. Ich zog den Schal enger und stand auf.
"Wo gehst du hin?", fragte Lina, als sie bemerkte, dass ich fortging.
"Ich muss über etwas nachdenken", sagte ich und stapfte davon.

Als ich in der Bibliothek ankam, empfing mich tiefste Ruhe. Ich sollte mir Sorgen um das nahende Unheil machen, doch ich hatte genug eigene Probleme. Erschöpft sank ich auf einen der Stühle in der hintersten Ecke und stützte den Kopf auf die Hände. Ich dachte drüber nach, was passieren würde. Und ich dachte über mich nach. Ich war eine, Außenseiterin, ein Nerd, ein Freak. Ich hatte kaum Freunde und damit hatte Scorpius Malfoy verdammt noch mal recht. Aber was konnte ich denn ändern? Wie konnte meine Mum von Dad und Harry Potter bewundert werden und als die schlaueste Hexe ihres Alters gefeiert werden, während ich hier alleine saß und mein Leben betrauerte? Wieso schien es allen einfacher zu fallen, Freunde zu finden? Ich wischte mir über die Augen, damit die Tränen sich nicht den Weg in die Freiheit bahnten.
'Nein, es gibt keinen Grund zum Weinen', sagte ich mir.
Und doch hätte ich hunderte finden können. Mir war kalt und elend zumute, weshalb ich die Hände tief in den Taschen vergrub. Doch meine erfrorenen Finger ertasteten etwas. Ich zog das Pergament heraus, auf dem ich vor einigen Wochen alles aufgeschrieben hatte, was Malfoy und Potter taten. Das war krank, einfach nur krank! Wie hatte ich je glauben können, das würde etwas bringen? Kein Wunder, dass niemand etwas mit mir zu tun haben wollte. Ich verschreckte die Leute ganz einfach mit meiner Art. So war es einfach.

Ich ging durch die Regalreihen und stöberte nach etwas zum Lesen, das mich auf andere Gedanken bringen könnte. Da fiel mir ein Buch über die Natur und Zauberwesen auf.
Ich öffnete es. Es war ein hübscher Band, mit goldenen Blütenmustern, die in den roten Umschlag eingearbeitet waren. Ich begann das Vorwort der Autorin zu lesen.

Mich haben andere Wesen schon immer beeindruckt. Andere haben Angst vor ihnen, doch wieso? Woher wollen wir wissen, dass sie gefährlich sind? Wie können wir über etwas urteilen, dass wir gar nicht kennen? Die Welt ist voll von Geheimnissen und Kreaturen, die uns immer wieder vor neue Aufgaben stellen. Und genau darum geht es im Leben. Entdecken. Fühlen. Erleben. Lernen.
Wir lernen unser ganzes Leben lang. Wir lernen Menschen kennen, unsere Freunde, unsere Feinde und uns selbst.
Wir sind wie Rosen, die mit der Zeit blühen. Wir entstehen aus Knospen und wachsen durch Licht.
Wir sind schön, jeder auf seine Weise. Die ganze Welt ist schön. Und all ihre Fehler machen sie nur noch schöner.
Wir müssen entdecken. Entdecken, wer wir sind und wer die Welt ist. Es gibt so viel da draußen, wofür es sich lohnt zu kämpfen, wofür man Risiken eingehen muss. Viele streben nach Sicherheit, nach dem Wissen, was morgen sein wird. Aber das ist kein Leben. Wenn man diese Sicherheit will, muss man Gefangener in einem Gefängnis sein. Da weiß man, was morgen passiert. Und am Tag darauf. Und an dem Tag nach dem Tag darauf. Doch das will niemand. Da draußen ist eine große, weite Welt, die nur darauf wartet, entdeckt zu werden.
Und da sind Wesen, so viele wunderbare, unglaubliche Wesen. Sie alle sind unterschiedlich und genau das macht sie so wundervoll. Das macht ihre Unfassbarkeit aus. Das Neue. Das Unentdeckte. Das Einzigartige.
Und genau darum geht es im Leben. Um Einzigartigkeit. Man muss nicht wie alle anderen sein. Man muss so sein, wie man selbst sein will. Man darf sich nicht von Leuten unterkriegen lassen, die dich für komisch halten. Man darf nicht auf die Stimmen hören, die dir sagen, dass du nichts wert bist.
Du musst nur du selbst sein, dann kannst du alles erreichen, was du dir vornimmst und eines Tages wird jemand kommen, der dich genau aus dem Grund liebt, dass du so bist, wie du bist.

Ich schlug das Buch zu. Mein Herz fühlte sich weich an und ich lächelte. Ich drückte das Buch an meinen Körper und konnte den Namen der Aurorin nur verschwommen durch Tränen der Rührung lesen.
Luna Scamander.

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_____________Anmerkung____________

Degoutant= abstoßend, Ekel erregend

HP Next Generation - Harry war gestern, jetzt komme ich! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt