Kapitel 13

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Anscheinend hatten sie vergessen, dass sie mit Calabasas neu ernannten King zusammenarbeiten sollten. Oder Estelle war sich schon sicher, dass sie ihn erobert hatte, sodass sie ihm nun nicht mehr ihre komplette Aufmerksamkeit schenken musste.

Andererseits hätte sie dann mitbekommen, wie McTrayers mich angrinste, als wir die Chemikalien ins Wasser gaben, wie er versucht hatte, mich mit unterschiedlichsten Anekdoten aus seinem Leben zum Lachen zu bringen - was auch jedesmal funktionierte. Wer könnte auch ernst bleiben, wenn McTrayers erzählte, wie er vor ein paar Monaten beim Football gefoult wurde, wobei er sich zwar nicht ernsthaft verletzt hatte, allerdings seine Klamotten danach echt zerfetzt waren. Mit einem Loch im Arsch und zerissenen Ärmeln sah er seinen eigenen Angaben zufolge aus, wie ein Zombie im Fasching.
Oder ein anderes Mal, als McTrayers die Sommerferien auf einer privaten Luxusinsel in der Karibik verbracht hatte. Er war mit seinem Cousin im Meer schwimmen gewesen, als der Kleine überzeugt war, einen Hai gesehen zu haben. McTrayers hatte natürlich den Beschützer gespielt, erst einmal das Weite gesucht und eine der Angestellten gerufen. Später stellte sich heraus, dass der Hai eigentlich nur ein großer Fisch war, den die gesamte Familie schließlich zum Abendessen verspeiste.

McTrayers schaffte es, diese Stories so spannend und lustig zu erzählen, dass ich beinahe das Gefühl hatte, ich wäre selbst dabei gewesen. Ich hätte ihm noch ewig zuhören können und ich war fast überrascht, dass sich nicht alle Schüler des Kurses um seinen Platz versammelt hatten, um seinen Erzählungen zu lauschen.

Doch nicht einmal unsere anderen beiden Teammitglieder schenkten McTrayers Beachtung. Jasmine und Estelle quatschten ununterbrochen weiter. Ich wusste nicht einmal mehr, über welches Thema sie redeten, aber ich war mir sicher, dass es keines war, mit dem ich etwas hätte anfangen können.

Unser Ester war schließlich fertig und verbreitete einen leckeren Ananasgeruch. In einer anderen Ecke des Raumes lag der Duft nach Kiwi in der Luft, welcher Yong Duans Team zu verdanken war. Der Chinese hatte immerhin alle drei seiner Mitstreiter motivieren können und es schien, als hätten sogar alle eine Ahnung, was sie gerade gemacht hatten.

Mr Crawleys wurde auf unseren Ananas-Kessel aufmerksam, kam zu uns herüber und betrachtete das farblose Gebräu kurz.

"Wie ich sehe, haben Sie verstanden, wie man einen Ester herstellt", meinte er mit einem Nicken zu McTrayers und mir. Dann wandte er sich an die beiden Barbies an unserem Tisch und ließ sie erklären, was wir eigentlich gerade gemacht hatten.

Estelle sah McTrayers bittend an, doch er schmunzelte bloß und versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken. Als sie schließlich merkte, dass sie von ihn keine Hilfe bekommen würde, wandte sie ihren Blick zu mir und ihr Gesichtsausdruck änderte sich sofort. Nun war sie nicht mehr das süße Mädchen, das unschuldig mit den Wimpern klimperte, sondern die perfekte Imitation meiner Stiefmutter. Als langjährige, beste Freundin von Bella wusste sie natürlich welche Hebel sie bei mir drücken musste, damit ich tat, was sie wollte.

Zuerst versuchte ich, ihr ebenfalls die kalte Schulter zu zeigen. Ich wollte endlich einmal das machen, was ich selbst für richtig hielt. Doch dann fiel mir ein, in welcher Situation ich mich befand. Wenn ich Estelle nicht half, würde sie es Bella erzählen und die würde es Rebecca erzählen und die würde mich eigenhändig umbringen. Also schluckte ich meinen Widerwillen hinunter und schob ihr meinen Block hinüber, auf welchem ich die wichtigsten Schritte bereits zusammengefasst hatte.

Sofort grinste sie mich triumphierend an und las Mr Crawleys meine Aufzeichnungen vor - natürlich so, dass der Lehrer nicht merkte, dass die Gedankengänge eigentlich von mir kamen.

Obwohl er sichtlich überrascht von ihrer richtigen Antwort war, nickte er bloß und verließ unseren Tisch, um zur nächsten Gruppe zu gehen.

"Du hast wohl doch noch bemerkt, was das richtige Verhalten mir gegenüber ist", meinte Estelle hochnäsig, bevor sie sich wieder Jasmine widmete.

McTrayers hatte meine Hilfestellung natürlich mitbekommen und sah mich nun irritiert an.

"Ich dachte, du hasst sie", brummte er mit einem Kopfnicken zur Calabasas Queen. Erschrocken riss ich die Augen auf und schüttelte meinen Kopf.

Natürlich hasste ich sie, doch außer Kayla durfte das niemand wissen. Mein Leben würde nur eine noch schlimmere Hölle werden, als es ohnehin schon war.

"Tu ich nicht", log ich. "Wir sind praktisch sowas wie Freunde."

"Sowas wie Freunde", wiederholte McTrayers mit einer hochgezogenen Augenbraue. Es war offensichtlich, dass er mir nicht glaubte. Doch ich zuckte nur mit den Achseln und versuchte, ein möglichst überzeugendes Gesicht zu machen.

"Naja, musst du wissen", murmelte er, bevor er schließlich seinen Blick von mir abwandte und sein Handy aus der Hosentasche zog.

Den ganzen Tag hatte ich gehofft, dass McTrayers nicht mit mir reden würde. Ich hatte mir hundert verschiedene Möglichkeiten überlegt, wie ich ihm am besten ausweichen könnte. Und jetzt wollte ich auf einmal, dass er wieder mit mir sprach.

Aber wie zur Hölle sollte ich ihn dazu bringen, den Blick von seinem Smartphone zu lösen und seine Aufmerksamkeit stattdessen mir zu widmen? Mein Kopf war plötzlich wie leergefegt und ich schaffte es nicht, einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.

Fieberhaft überlegte ich, was ich sagen könnte, um wieder die entspannte Atmosphäre von vorhin zu erzeugen. Denn ich wollte nicht mit so einem seltsamen Gefühl in meinem Bauch auseinander gehen. So würde ich wieder nicht wissen, was ich McTrayers sagen sollte, wenn wir uns das nächste Mal sahen.

Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen - irgendetwas.

Doch ich wurde vom Gong unterbrochen, der das Ende der Stunde ankündigte.

Fast enttäuscht packte ich meine Sachen zusammen und verschwand aus dem Raum. McTrayers und ich waren einfach zu verschieden. Wir gehörten nicht zusammen - ich sollte lernen, das zu akzeptieren.

Ich war noch nicht um die Ecke gebogen, als ich jemanden hinter mir rufen hörte.

"Hey! Warte mal!"

Da ich nicht wirklich davon ausging, dass diese Person mich gemeint haben könnte, ging ich weiter. Ich meine, wie peinlich war es bitte, sich umzudrehen, nur um dann festzustellen, dass du gar nicht gemeint warst?

"Fuck", hörte ich die Person hinter mir fluchen, bevor Schritte zu hören waren.

Ich zuckte erschrocken zusammen, als sich eine Hand auf meinen Arm legte und mich zum Stehenbleiben zwang. Ohne mich umzuschauen wusste ich, wem diese Hand gehörte. Es gab nur eine einzige Person, die dieses Kribbeln auf meiner Haut erzeugte, wenn sie mich berührte.

"Ich wollte dich noch was fragen", sagte McTrayers, als ich meinen Kopf drehte und ihn anschaute.

Als er nicht weitersprach, hob ich meine Augenbrauen und sah ihn fragend an.

"Was denn?", sagte ich, während ich innerlich vor Neugierde fast platzte.

"Hast du ... ähm ..." Unsicher fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. Oh mein Gott, er war so süß, wenn er verlegen war! Ich musste mich wirklich beherrschen, um ihn nicht anzugrinsen, wie so ein Honigkuchenpferd.

"Hast du heute in der Mittagspause schon was vor?"

Kayla. Ich verbrachte jede Pause mit ihr und ich wusste, dass sie sauer sein würde, wenn ich sie versetzte. Doch sie würde mir den Kopf abreißen und anschließend darauf herumtrampeln, wenn ich McTrayers jetzt absagte.

Also schüttelte ich nur den Kopf und versuchte, mein breites Grinsen im Zaum zu halten. Ich fühlte mich nicht dazu in der Lage, seine Frage mit Worten zu beantworten.

"Cool", sagte er. "Ich hole dich an den Schließfächern ab, okay?"

Jetzt nickte ich, woraufhin er mich breit angrinste, sich umdrehte und in den Schülermassen verschwand.

Am liebsten hätte ich einen Luftsprung gemacht, einen dreifachen Salto und Gott ein High-Five gegeben.

Doch da ich meinen Körper vor diversen Knochenbrüchen verschonen wollte und Gott gerade nicht erreichbar war, presste ich mir lediglich beide Hände auf den Mund, um meine Mitschüler nicht mit meinem überdimensionalen Lächeln zu erschrecken.

Was ich leider vergessen hatte: mein Schicksal schien mich aus irgendeinem, mir nicht bekannten Grund, zu hassen und ich konnte überhaupt nichts dagegen tun.

When I Lost My Book - Kind Of A Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt