Kapitel 14

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Während der gesamten Englischstunde grinste ich vor mich hin und ignorierte dabei gekonnt die Blicke meiner Mitschüler. Es war mir gerade ehrlich gesagt ziemlich egal, denn das einzige, woran ich denken konnte, war er.

McTrayers hatte mich gefragt, ob wir die Mittagspause zusammen verbringen wollten. Irgendwie sträubte ich mich dagegen, das ganze als Date zu betrachten. Wahrscheinlich war er einfach nur nett gewesen und sah in mir nicht mehr, als eine potentielle Freundin.

Also, Nur-Freunde-Freundin und nicht Beziehung-Freundin.

Ich ignorierte das Kribbeln in meinem Bauch, welches immer stärker wurde, je näher die Mittagspause rückte und konzentrierte mich stattdessen auf den Unterricht. Naja, ich versuchte es zumindest - und scheiterte kläglich.

Glücklicherweise war ich in Englisch, wie eigentlich den anderen Fächern auch, relativ gut, weshalb ich es mir leisten konnte, eine Stunde nicht aufzupassen. Es hatte wohl doch eine Wirkung, wenn man die Hausaufgaben meistens doppelt machte. Schließlich sollten nicht nur meine, sondern auch Arabellas Aufgaben immer erledigt sein - und manchmal war ich mir nicht einmal sicher, ob meine Stiefschwester schon jemals einen echten Stift in der Hand hatte.

Das einzige, womit sie schreiben konnte, war ihr Handy - dafür tat sie praktisch nichts anderes. Und wenn man die Welt, in der ich lebte, mal realistisch betrachtete, war das eigentlich auch wichtiger.

Selbst wenn Bella miese Noten und einen schlechten Schulabschluss hätte - sie würde trotzdem einen gut bezahlten Job und ein tolles Haus bekommen. In dieser Liga zählte Vitamin B mehr als irgendwelche schulischen Leistungen.

Es war wichtiger, mit wem man verwandt oder befreundet war, als der Intelligenzquotient des Bewerbers - was man manchmal durchaus merkte.

Doch zum Glück hatten die meisten wichtigen Geschäftsführer irgendwelche Manager, die ihnen helfen konnten. Ansonsten wären wohl schon die bedeutsamsten Unternehmen zusammengebrochen. Gewundert hätte es mich auf jeden Fall nicht.

Mrs Richards riss mich aus meinen Gedanken, indem sie meinen Namen sagte. Verwirrt blickte ich auf - in Erwartung, ein entnervtes Gesicht zu sehen, welches es leid war, Fragen ständig wiederholen zu müssen. Doch die blonde Frau, die übrigens kleiner war als ich (eine echte Leistung), lächelte mich nur freundlich an.

"Sorry", murmelte ich, "ich hab grad nicht aufgepasst."

Mrs Richards lachte und legte ihre Hände auf ihren bereits deutlich gewölbten Bauch. Diese junge Frau war einfach echt süß und ich war mir sicher, dass sie eine tolle Mum sein würde. Doch ihr kleiner Mr Richards Junior würde noch fünf Monate auf sich warten lassen, weshalb sie unseren Kurs bis zum Jahresende führen konnte.

"Das ist verständlich", grinste Mrs Richards, "Um diese Zeit wäre wohl jeder hier drin lieber wo anders. Aber keine Sorge, Sie haben nur noch zehn Minuten, dann sind Sie entlassen."

Ein erleichtertes Seufzen ging durch den Raum und ich ließ mich wieder entspannt in den Stuhl sinken. In den letzten Minuten widmete ich mich kurz dem Sachtext über Vor- und Nachteile von sozialen Netzwerken, worüber wir bis zur nächsten Woche einen Essay verfassen sollten.

Allerdings waren meine Bemühungen eher für die Katz, denn spätestens bei jedem zweiten Satz überschlugen sich meine Gedanken und ich musste die Zeile von Neuem beginnen. Seufzend klappte ich das Buch zu und erhob mich von meinem Platz, als die Klingel das Ende der Stunde verkündete.

Auf dem Weg zu meinem Spind wurde mir plötzlich eine Tatsache klar, die ich bisher irgendwie übersehen hatte. McTrayers hatte nicht gesagt, wo wir uns treffen würden. Wo sollte ich auf ihn warten? Oder sollte ich ihn besser suchen? Ich hatte keine Ahnung, wo er gerade Unterricht gehabt hatte - wie sollte ich ihn dann in diesem großen Gebäude finden?

When I Lost My Book - Kind Of A Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt