Kapitel 22

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Nervös tippte ich mit meinen Fingern gegen meine Handyhülle.

Wie lange konnte McTrayers zum Umziehen brauchen? Ich dachte, Jungs wären immer so viel schneller als Mädchen, doch anscheinend hatte McTrayers eine stark ausgeprägte weibliche Seite.

Oder ließ er sich extra viel Zeit, in der Hoffnung, ich wäre bereits weg? Sofort begannen meine Handflächen zu schwitzen und ich biss unsicher auf meine Unterlippe. Stände Kayla jetzt neben mir, würde sie mir in den Hintern treten. Ich machte mir immer viel zu viele Sorgen.

Wieso konnte ich nicht einfach mal so entspannt sein wie meine beste Freundin? Sie überlegte sich nicht tausend verschiedene Szenarien, wie irgendetwas schief gehen konnte, sondern sie machte es einfach - und meistens lief alles gut.

Ich hingegen verunsicherte mich durch meine eigenen Gedanken so sehr, dass ich mich letztendlich gar nicht mehr traute, die Sache durchzuziehen. Ich hatte so große Angst davor, enttäuscht zu werden, dass ich es erst gar nicht versuchte.

Missmutig verzog ich meinen Mund. Ich würde mich gerne auch einmal etwas trauen, aber ich wusste einfach nicht, wie ich das tun sollte. Doch das Gespräch mit McTrayers wäre zumindest mal ein Anfang, also nahm ich mir fest vor, ihn zur Rede zu stellen, sobald er die Umkleide verließ. Keine Ausreden mehr.

Ich atmete einmal tief durch, um mich ein wenig zu beruhigen - und hatte gar keine Zeit mehr, mich anders zu entscheiden. Kingsley McTrayers trat gerade, vollkommen bekleidet mit Brustschutz, Trikot und Helm, aus dem Gebäude.

Langsam ging er auf mich zu, den Blick hatte er jedoch gesenkt. Erst wenige Schritte vor mir schaute er nach oben und blieb ruckartig stehen. Reglos starrte er mich an, während ich versuchte, die richtigen Worte zu finden.

"Hi", sagte ich. Das war doch schon einmal ein guter Anfang, oder? McTrayers zeigte keine Reaktion. Hörte er mich durch den Helm überhaupt noch? Ich hatte wirklich keine Ahnung von Football, aber sein Kopfschutz ähnelte ein wenig meinem Motorradhelm.

Während mein Gehirn noch nach den richtigen Worten suchte, wanderten meine Augen ein wenig weiter nach unten. Durch den Schutz waren McTrayers' Schultern noch breiter als sonst, doch irgendwie sah er echt gut aus in dem rot-weißen Trikot, auf dem unter dem Schulnamen eine große Nummer 4 prangte.

"Wirst du auch noch etwas anderes sagen oder willst du mich nur weiter anstarren?", fragte McTrayers sichtlich genervt. Oh Shit! Das lief ganz und gar nicht wie geplant.

"Ich... ähm...", stammelte ich. Verdammt, wieso konnte ich es nicht einfach sagen? Was zum Teufel war bloß los mit mir?

"Ich...", begann ich wieder, doch McTrayers schnitt mir das Wort ab.

"Vergiss es", sagte er und ich meinte ein wenig Enttäuschung in seiner Stimme zu hören. "Komm wieder, wenn du etwas zu sagen hast." Mit diesen Worten ging er an mir vorbei und steuerte auf das Footballfeld zu.

Nein! Er konnte nicht gehen, ohne dass ich mich entschuldigt hatte! Ohne zu überlegen machte ich einen Satz nach vorne und packte seine Hand.

"Bitte - warte", sagte ich und zwang McTrayers zum Stehenbleiben. Allerdings drehte er sich nicht um, weshalb ich kurzerhand einmal um ihn herum ging und vor ihm stehen blieb.

"Es tut mir leid", sagte ich. Endlich! Hergott, war das wirklich so schwer? Doch fertig war ich noch nicht.

"Es tut mir leid, dass ich dich gestern versetzt habe. Aber es war nicht so, wie du denkst."

"Ach ja?", schnaubte McTrayers. "Was denke ich denn?" Das war doch nur so eine Redewendung! Wollte er jetzt wirklich eine Antwort darauf?

"Naja, also..." Wieder suchte ich nach den richtigen Worten. "Ich habe dich nicht für Jordan versetzt, falls du das dachtest, sondern für meine Schwester", erklärte ich. "Also, eigentlich ist Arabella meine Stiefschwester, aber das ist ja jetzt auch egal."

McTrayers schaute mich nur leicht verwirrt an, weshalb ich einfach weiter quasselte.

"Bella meinte, ihr ging es nicht so gut und ich sollte sie nach Hause bringen, aber dann hat sie Jordan überredet, dass er uns nach Hause fährt und eigentlich wollte ich auch gar nicht mit, aber..."

Sollte ich ihm wirklich meine Familiengeschichten auf die Nase binden? Es wäre wirklich schön gewesen, wenn mich nicht jeder nur als Arabellas Sklavin betrachtet hätte, sonder auch mal mich - Joanne Rickman - als eigenständige Person. Doch früher oder später würde McTrayers sowieso alles herausfinden, also könnte ich ihm die ganze Sache auch gleich erklären. Immerhin wüsste er dann Bescheid.

"Also, meine Stiefmutter erwartet, dass ich alles mache, was Bella verlangt. Ich hatte keine Wahl."

Unsicher sah ich McTrayers an, doch er wirkte nicht wirklich überzeugt.

"Bitte glaub mir. Ich wäre viel lieber bei dir gewesen, aber ich konnte nicht. Es tut mir wirklich leid!" Beschämt senkte ich meinen Blick auf den Boden. McTrayers schwarze Schuhe waren gerade irgendwie interessanter, als sein Gesicht. Zumindest sahen diese mich nicht so vorwurfsvoll an.

"Das soll ich dir glauben?", fragte er nach einigen Sekunden. "Du musstest deine Schwester nach Hause begleiten, weil sie sich nicht gut gefühlt hat? Willst du mich eigentlich verarschen?"

Verdammt. Es war klar, dass er mir nicht glauben würde. Warum auch? Wenn man es so sagte, wie er gerade klang das auch verdammt unrealistisch. Ich bemerkte gar nicht, wie sich langsam die Tränen in meinen Augen sammelten und zuckte nur hilflos mit den Schultern.

"Überleg dir eine bessere Ausrede, bevor du noch einmal versuchst, dich bei mir zu entschuldigen", sagte McTrayers kalt, bevor er erneut an mir vorbei ging.

Diesmal hielt ich ihn nicht zurück.

Die ersten Tränen liefen meine Wange hinunter, als ich mir den Motorradhelm aufsetzte, doch ich ignorierte sie einfach. Es brachte ohnehin nichts, sie wegzuwischen. Schließlich war der Grund, weshalb sie überhaupt erst entstanden waren, auch noch da. Doch langsam mischte sich zu der Hilflosigkeit und Enttäuschung auch Wut.

Ich war wütend auf meine Stiefmutter und Bella, dass sie mich überhaupt erst in diese Situation gebracht hatten.

Ich war wütend auf Jordan, weil er seit gestern immer da war und McTrayers falsche Bilder lieferte, obwohl wir vorher nie wirklich miteinander gesprochen hatten.

Ich war sogar wütend auf Kingsley McTrayers selbst, obwohl er eigentlich gar nichts für das ganze Schlamassel konnte.

Doch am allermeisten war ich wütend auf mich selbst. Warum war ich mit gegangen? Warum hatte ich nicht einmal zu mir selbst stehen können und das getan, was ich wollte?

Mein Fuß schnellte nach unten und der Motor meiner Yamaha sprang heulend an. Ich verließ den Parkplatz der High School, ohne mich noch einmal umzusehen. Es wäre sowieso niemand da gewesen, der mir zugewunken hätte.

Obwohl ich seit dem Morgen nicht mehr zu Hause gewesen war und in etwa einer Stunde meine Schicht im Pixel Paradise begann und mir schon genug Ärger bevorstand, fuhr ich zum Haus meiner besten Freundin. Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte und sie war die einzige, die mir helfen konnte.

Meine Sicht war durch die Tränen etwas verschwommen, als ich das Motorrad neben einem teuren BMW abstellte und auf die Haustür zu ging. Ich wischte mir einmal über die Augen, auch wenn ich wusste, dass das vermutlich nicht viel brachte, bevor ich auf die Klingel drückte.

Kurze Zeit später ging die Tür auf und Kayla lächelte mir freudig entgegen. Das breite Grinsen verging ihr allerdings sofort, als sie meinen Gesichtsausdruck sah.

"Was ist denn mit dir passiert?", fragte sie besorgt. Ich antwortete nichts, sondern stolperte einfach nur in die Eingangshalle. Wieder begannen, die Tränen zu laufen - ich war mir ehrlich gesagt nicht einmal sicher, ob sie überhaupt schon mal aufgehört hatten.

"Ich wollte mich doch nur entschuldigen", schluchzte ich und an Kaylas besorgtem Blick erkannte ich, dass sie sofort wusste, wovon ich sprach. Kommentarlos nahm sie mich in die Arme und drückte mich fest an sich.

Ich vergrub mein Gesicht in ihren schwarzen Locken, während ich allein durch die Anwesenheit meiner besten Freundin langsam ruhiger wurde.

When I Lost My Book - Kind Of A Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt