Kapitel 39

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Meine Fingerkuppen waren schon vollkommen aufgeweicht und meine verschrumpelten Hände sahen vielmehr aus wie die einer neunzigjährigen Haushälterin, als die eines High-School-Mädchens im zarten Alter von siebzehn Jahren. Doch die Berge an dreckiger Wäsche, die sich vor mir auftürmten, schienen noch immer nicht kleiner zu werden – obwohl ich seit drei Stunden vor mich hin schrubbte.
Normalerweise war ich nicht zu solch aufreibenden Arbeiten gestraft – immerhin lebten wir im 21. Jahrhundert und sogar meine geizige Stiefmutter hatte ihr kostbares Geld in eine Waschmaschine investiert. Schließlich konnte man mithilfe dieses wundervollen Geräts eine ganze Menge Wasser sparen.
Doch seltsamerweise hatte dieses Wunderwerk an Technik gestern den Geist aufgegeben. Mich wunderte es ein wenig, da die Maschine genau seit dem Zeitpunkt nicht mehr funktionierte, in welchem Arabella triumphierend in mein Zimmer geplatzt war.
"Jetzt komme ich zwar auf jeden Fall zu spät zur Schule, aber ich muss dir unbedingt noch was sagen", hatte sie mich atemlos angegrinst.
"Mum sagt, du darfst zum Ball." Aber? An der Sache war doch sicherlich ein riesengroßer Haken. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Rebecca so leicht zu überreden war – nicht einmal von Arabella.
"Allerdings musst du jede einzelne Aufgabe, die sie dir aufträgt, erledigt haben. Erst wenn du mit allem fertig bist, darfst du gehen." Na super! Die Liste wird endlos sein!
"Klingt doch gar nicht so schlecht oder?", fragte Bella und sah wirklich stolz aus. Ich wollte sie mit meiner schlechten Laune nicht enttäuschen, denn zugegeben, es war besser als nichts. Und ich müsste ihr eigentlich vor Dankbarkeit um den Hals fallen.
Meinen eigenen Gedanken folgend stand ich langsam auf und drückte Arabella kurz an mich.
"Danke", flüsterte ich – und meinte es auch so. Denn so langsam begann ich mich ein klitzekleines bisschen auf den Ball zu freuen. Doch kaum wurden meine Augen von dem fröhlichen Funkeln erstrahlt, hielt mir meine Stiefschwester einen Zettel unter die Nase.
Ich konnte froh sein, wenn ich das bis Thanksgiving schaffte – und es war gerade mal Mai.
Da ich ohnehin noch Hausarrest hatte und mir somit wenigstens zwei Sachen erspart blieben – nämlich die Schule und das Pixel Paradise – stand ich nun also schon den ganzen Vormittag in der Waschküche und schrubbte, dass mir die Finger bluteten. Wie gerne würde ich stattdessen in der Schule sitzen und die abwertenden Blicke von Estelle Collette und ihrem Gefolge ertragen. Alles wäre besser, als das hier. Sogar die Geschichtsarbeit, die ich letztens so verhauen hatte, würde ich lieber wiederholen, anstatt mich durch Berge an dreckiger Wäsche zu wühlen.

Doch ich wusste, dass es keinen Sinn machte, vor mich hin zu jammern, also seufzte ich einmal tief auf und begann, das nächste dreckige Shirt sauber zu schrubben.

Obwohl ich das Gefühl hatte, ich hätte tagelang an dem Wäscheberg gesessen, waren erst drei Stunden vergangen, als ich, vollkommen verschwitzt auf die Uhr schaute. Das letzte Wäschestück war gerade auf der Leine gelandet und diese Aufgabe war endlich geschafft.

Doch selbst wenn Rebecca mich vermutlich langsamer eingeschätzt hatte, war sie doch schlau genug um mir eine längere Liste an Aufgaben zu stellen. Die Wäsche war erst Punkt zwei auf der achtteiligen To-Do-Liste.

Meine Haare klebten auf meiner Stirn, meine Arme schmerzten, ganz genauso wie meine Beine. Meine Knie waren aufgeschrabbt, die Handflächen eingerissen und mein Herz klopfte vor Anstrengung doppelt so schnell wie es sollte.

Und doch hatte ich ein breites Grinsen im Gesicht.

Es war halb sieben, der Ball würde in einer Stunde anfangen - und ich hatte jeden einzelnen Punkt von Rebeccas Liste erledigt.

Bella war schon seit drei Stunden beschäftigt mit Vorbereitungen für den Prom und meine Stiefmutter saß den ganzen Tag in ihrem Home-Office. Das hieß, ich konnte mir hier und jetzt die Erlaubnis einholen, auf den Ball zu gehen - und eigentlich sollte ich sie wirklich bekommen. Schließlich hatte Bella dafür gekämpft und mir endlich eine Tür zum Ball geöffnet. Sie konnte nicht einfach so direkt vor meiner Nase wieder zu fallen!

Ein leises Klopfen, verursacht durch meine Fingerknöchel, die auf die Glastür von Rebeccas Büro trafen, ließen sie erschrocken zusammenfahren.

"Ach du bist es", murmelte meine Stiefmutter abwertend, sobald sie mch sah. "Was willst du?"

"Es tut mir leid, dich stören zu müssen", piepste ich. Wieso verdammt hatte ich noch immer so viel Angst vor ihr? Sie war doch nicht einmal mit mir verwandt!

"Ich habe alles erledigt, was du mir aufgetragen hast."

Rebecca verzog keine Miene.

"Auch die Rückseite?"

Kurz zuckte ich zusammen. Sofort fühlte ich mich an meinen ersten High School Test erinnert, bei dem ich tatsächlich vergessen hatte, die Rückseite zu bearbeiten und somit beinahe durchgefallen wäre.

Doch seitdem kontrollierte ich jedes Blatt doppelt und dreifach auf eine beschriebene Rückseite - also nickte ich nur.

"Tatsächlich?" Jetzt schien Rebecca überrascht zu sein. Ihre Gesichtszüge entgleisten ihr für einen winzigen Augenblick und sie starrte mich ungläubig an.

"Darf ich jetzt auf den Ball gehen?" , fragte ich kleinlaut. Ich wagte es kaum, zu fragen. Bestimmt machte ich gleich irgendetwas falsch und zack – meine Freikarte zum Ball wäre dahin.

"Nun", begann Rebecca und spannte mich noch mehr auf die Folter, "wenn du wirklich alles erledigt hast, dann sehe ich keinen Grund, warum du nicht gehen dürftest."

Moment, was hat sie gerade gesagt? Ich darf? Ich darf wirklich auf den Ball??

Mein Mund musste einen Moment offen gestanden haben, so wenig konnte ich glauben, was ich da hörte.

Ich musste unbedingt Kayla schreiben! Und ich musste Arabella danken – sie hatte in den letzten Tagen so unglaublich viel für mich getan und endlich kam sie mir vor wie eine richtige Schwester. Obwohl sie genauso wenig mit mir verwandt war, wie Rebecca, die gerade aufstand und langsam auf mich zu ging.

Eigentlich sollte ich vor Freude Luftsprünge machen und ganz aufgeregt, auf der Suche nach dem perfekten Kleid, durch das Haus rennen. Doch seltsamerweise konnte ich nicht so recht glauben, dass ich wirklich gehen würde. Rebeccas Blick war viel zu süffisant, als das er etwas Gutes bedeuten würde.

"Natürlich wird Arabella dir helfen, dich zurecht zu machen. Das schaffst du alleine sowieso nicht - und ich möchte nicht, dass meine Stieftochter wie irgendeine dahergelaufene Pennerin zum Prom geht."

Irgendetwas stimmte hier nicht. Doch ich kam einfach nicht dahinter, was es war.

Rebecca kam langsam auf mich zu, während ich immer weiter vor ihr zurück wich. Was zum Teufel hatte diese Frau vor?

"Ich muss ganz ehrlich zugeben - ich hatte nicht damit gerechnet, dass du alles rechtzeitig schaffst. Du überraschst mich immer wieder aufs Neue und diesmal tatsächlich im positiven Sinne. Aber manchmal ist das Leben nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Es stellen sich Hindernisse in den Weg, die ganz plötzlich kommen und mühsam aus dem Weg zu schaffen sind. Ich frage mich, welches Hindernis wohl auf dich zukommen wird."

Rebecca säuselte ihren Monolog, ohne mich nur ein einziges Mal anzuschauen. Stattdessen wanderte sie aus ihrem Büro in das Wohnzimmer und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, während ihre langen, zierlichen Finger die Möbel abtasteten.

"Möglicherweise", murmelte sie und beugte sich nach unten zum Aquarium, als würde sie mit den Fischen darin sprechen und nicht mit mir.

"Möglicherweise wird dein Hindernis ein wenig nass."

Erstarrt schaute ich zu, wie meine Stiefmutter gegen das Aquarium drückte, bis es laut scheppernd auf den Boden krachte und das Glas in tausend Stücke zersprang.

Genauso wie meine Hoffnung, es jemals rechtzeitig zum Schulball zu schaffen.

//Tut mir sehr leid, dass dieses Kapitel so spät kommt... ich habe zur Zeit sehr viel zu tun und komme kaum zum Schreiben - deshalb bitte ich euch, ein wenig Geduld mit mir zu haben...

Danke! :)

When I Lost My Book - Kind Of A Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt