Besorgt drehte ich meinen Kopf nach hinten und betrachtete meine Stiefschwester, die in der letzten Reihe des Schulbusses saß und von zwei Mädchen des untersten Jahrgangs bewundert wurde. Bella lächelte zwar höflich, doch heute wirkte es noch unechter als sonst und ich kam nicht umhin die tiefe Falte auf ihrer Stirn zu bemerken, die sich nur dann bildete, wenn es ihr wirklich nicht gut ging. Genauso wie Rebecca war ich davon ausgegangen, dass Bella einen weiteren Tag zuhause bleiben würde - eines der wenigen Male, wo ich mit meiner Stiefmutter einer Meinung war. Doch Bella hatte darauf bestanden, in die Schule zu gehen. Rebecca hatte dieser Wunsch vermutlich noch mehr überrascht, als mich, doch natürlich konnte sie ihrer kleinen Prinzessin nichts ausschlagen.
Seufzend wandte ich meinen Blick wieder nach vorne und widmete mich dem Buch, welches auf meinem Schoß lag. Irgendwie gelang es mir heute nicht, mich auf die Geschichte einzulassen - immer wieder schweiften meine Gedanken ab und ich musste den Absatz von vorne beginnen. Ich hatte wohl eine leichte Vorahnung - doch niemals hätte ich vorhersehen können, was sich das Schicksal diesmal für mich ausgedacht hatte.
Kayla begegnete mir an den Schließfächern mit einem erwartungsvollen Leuchten in den Augen.
"Und?", fragte sie aufgeregt, sobald wir uns aus der Begrüßungs-Umarmung gelöst hatten.
"Ich habe aufgegeben", sagte ich resigniert. "Es soll wohl anscheinend nicht sein und ich habe wirklich keine Lust, jemandem nur sinnlos hinterher zu rennen.
Kayla legte ihren Kopf schief und betrachtete mich. Sie war also nicht meiner Meinung, aber sie wusste nicht, wie sie es mir sagen sollte.
Ich seufzte, als ich die Körperhaltung meiner besten Freundin interpretierte. Das war wohl eine der Nebenwirkungen, wenn man sich schon sein halbes Leben kannte - mann wusste was der andere dachte, ohne ein Wort zu wechseln.
"Du musst es gar nicht versuchen, mir das Ganze wieder auszureden. Es wäre sowieso nichts aus uns geworden und dieses ewige hin-und-her bin ich wirklich leid", sagte ich, bevor Kayla mich wieder überreden konnte.
Schnell schloss ich die Tür meines Schließfachs, drückte Kayla einen Abschiedskuss auf die Wange und verschwand in Richtung der ersten Unterrichtsstunde.
Je näher ich allerdings dem Chemieraum kam, desto langsamer wurden meine Schritte. Ich wollte McTrayers nicht begegnen und allen anderen des Kurses gleich zweimal nicht. Doch leider war Schwänzen für mich keine Option, weshalb ich meine Schultern straffte, den Riemen meines schwarzen Rucksacks fester packte und schließlich den Raum betrat.
Sofort suchten meine Augen nach dem Jungen mit den breiten Schultern, den funkelnden braunen Augen und dem verschmitzten Grinsen auf den Lippen. Und sie fanden ihn innerhalb weniger Sekunden. Allerdings sah McTrayers gar nicht mehr so aus, wie ich ihn in Erinnerung gehabt hatte. Seine Augen wandten sich ab, sobald sie mich entdeckten, seine Lippen verzogen sich zu einem geraden Strich und seine Haare waren nicht hochgegeelt wie sonst, sondern sie standen in alle Richtungen ab. Man konnte erahnen, wie oft seine Hände heute bereits durch die braunen Strähnen gefahren waren.
Trotzdem sah er nicht schlecht aus - im Gegenteil, ich liebte es, wie seine Frisur ihn jünger wirken ließ und ich konnte mir leicht vorstellen, wie er früh morgens im Bett aussehen musste. Bei dem Bild, welches vor meinem inneren Auge entstand, zuckte ich leicht zusammen. Ich sollte dringend aufhören, an so etwas zu denken!
Glücklicherweise wollte Mr Crawleys heute nur ein wenig Stoff vermitteln, weshalb er die komplette Stunde vor der Tafel stand und uns etwas über Farbchemie erzählte, während ich die wichtigsten Infos stichpunktartig notierte. Eigentlich hätte ich nicht mitschreiben müssen, denn Mr Crawleys stellte uns seine Unterlagen stets am Ende der Woche in einem Internetportal zur Verfügung. Doch ich brauchte einfach irgendetwas, um mich zu beschäftigen - und mich selbst davon abzuhalten, mich ständig nach McTrayers um zu sehen.
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When I Lost My Book - Kind Of A Cinderella Story
Teen Fiction*Auf der Longlist der Wattys 2018!!* Joanne Rickman hat es nicht leicht. Sie wächst bei ihrer unliebsamen Stiefmutter und ihrer verzogenen Stiefschwester auf, hat wenige Freunde und träumt von ihrem eigenen Leben. Doch dann trifft sie auf Kingsley M...