Kapitel 46

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Die grellen Sonnenstrahlen, welche zwischen den dunkelgrauen Vorhängen hindurch blitzten, verursachten ein leichtes Stechen in meinem Kopf. Stöhnend rieb ich mir über über die Augen und wühlte mich vorsichtig aus dem Berg an Decken und Kissen, unter dem ich lag.

Leise tappte ich über die Matratzen hinweg, zwischen schlafenden Körpern hindurch, bis zur Tür. Ich fiel beinahe auf Bella drauf, die mit zerzausten Haaren auf Jordans Bauch lag. Der wiederum hatte seine Decke so verdreht, dass sie gerademal vom Bauchnabel bis zu den Knien reichte und somit lediglich seine Boxershorts verdeckte. Mit einem Grinsen drehte ich mich noch einmal um und betrachtete die Teenager, die alle noch tief schlafend kreuz und quer auf dem Matratzenlager in McTrayers' Wohnzimmer lagen. Kayla hatte sich eng an Toby gekuschelt und hielt seinen linken Arm fest umklammert, während er sie mit seinem anderen Arm um die Hüfte packte. McTrayers war der einzige, der richtig viel Platz hatte, nun wo ich weg war. Er hatte sich auf dem Bauch liegend wie ein Seestern ausgestreckt. Einen kurzen Moment genoss ich den Anblick seiner braungebrannten Rückenmuskulatur, bevor ich schließlich leise die Tür hinter mir schloss und in die Küche schlurfte.

Während ich im Kühlschrank nach den Zutaten für mein Spezialomelette und Pancakes suchte, schweiften meine Gedanken ab zum gestrigen Abend. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als ich daran zurück dachte, wie McTrayers mich am See aufgespürt hatte. Ich hatte gedacht, mein Happy End wäre für immer verloren, doch ich hatte nicht gewusst, dass meine Geschichte gerade erst begann.


Ich bewegte mich nicht. McTrayers strich mir sanft über die Haare, seine Bewegungen verursachten eine Gänsehaut auf meinem Körper, doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Er sollte nicht wissen, was er mit einer einzigen Berührung mit mir anstellen konnte.

"Es tut mir leid."

Diese vier Worte hatte er jetzt schon mindestens fünf mal wiederholt, doch mehr wusste ich noch immer nicht. Sein Griff war fest, als hätte er Angst, mich zu verlieren oder als würde ich jeden Moment weglaufen – und ehrlich gesagt hatte ich auch schon daran gedacht.

Ich hob meinen Kopf aus seiner Armbeuge und suchte seine Augen. Sie funkelten nicht fröhlich, wie sonst, sondern sie waren voller Reue. Was auch immer es war, es bedrückte ihn wirklich. Und obwohl ich ihn eigentlich noch ein wenig hinhalten wollte, konnte ich es nicht ertragen, ihn so zu sehen.

"Was willst du mir erklären? Ich glaube, ich habe es ziemlich gut verstanden", meinte ich nüchtern. Arabella und er waren wohl ein Paar – und ob das nun an der Macht der Liebe oder nur an den Vorstellungen meiner Stiefmutter lag war mir ehrlich gesagt herzlich egal. Zumindest war jetzt bewiesen, dass McTrayers sich nicht für mich interessierte.

'Aber trotzdem steht er jetzt hier', bemerkte das Fünkchen unsinniger Hoffnung, das gerade eben wieder in mir entfacht war. Ich war doch wirklich erbärmlich! Selbst wenn ich gerade äußerst schmerzhaft auf den Boden der Tatsachen abgestürzt war und mir noch alles von dem Aufprall weh tat, begann ein Teil von mir bereits wieder die Leiter der Träume nach oben zu klettern. Ich seufzte innerlich, bei dem Gedanken daran, was mir bald schon wieder bevor stehen würde. Doch jetzt konnte es eigentlich nicht mehr so schlimm werden – schließlich wusste ich bereits wie sich so ein Sturz anfühlte und dass man es, auch wenn es manchmal schwer vorstellbar war, immer überlebte.

"Das ist eine etwas längere Geschichte und ich glaube, ich sollte dir das lieber irgendwo anders erzählen. Du bist eiskalt", flüsterte er, während er mit seinen warmen Händen über meine Oberarme strich. Erst jetzt bemerkte ich, wie mein Körper bei jedem Windstoß zitterte und ich meine Zehen und Finger kaum mehr spürte. Wie lange musste ich schon hier sein?

Ohne etwas zu erwidern ließ ich mich von McTrayers an der Hand nehmen und den schmalen Pfad entlang ziehen. Wir ließen den See langsam hinter uns und schlichen durch den mittlerweile fast schwarzen Wald. Ich atmete unmerklich auf, als ich wieder Licht hinter den Bäumen erkennen konnte. Irgendwie war es doch ein wenig unheimlich, auch wenn mich McTrayers' Hand ungemein beruhigte.

Sobald wir die Dunkelheit des Waldes verließen, konnte ich McTrayers' silbernen Mercedes erkennen, der am Straßenrand parkte. Er steuerte zielstrebig darauf zu und zog mich an der Hand hinterher. Bevor ich selbst reagieren konnte, öffnete er mir die Beifahrertür, wartete bis ich eingestiegen war und schlug sie wieder zu. Zwei Sekunden später saß er hinter dem Lenkrad und drückte auf einige der tausend Knöpfe, die am Armaturenbrett leuchteten.

"Ich hab die Sitzheizung noch nie im Sommer ausprobiert, aber ich glaube, sie wird dir gut tun", grinste er mich an und ich konnte schon spüren, wie sich der Sitz unter mir langsam erwärmte. Ich liebte dieses Auto – und ich war tatsächlich froh, dass er diesmal den Mercedes genommen hatte und nicht sein Motorrad.

Ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen und genoss die Wärme an meinem Rücken und meinen Oberschenkeln. Dann drehte ich mich zu McTrayers und sah ihn abwartend an. Er wollte reden? Gut, dann los.

Offensichtlich verstand er meine stumme Aufforderung, denn er öffnete den Mund, schien zu überlegen, was er sagen sollte und schloss ihn wieder. Sichtlich verlegen fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und wich meinem Blick aus. Ich beobachtete ihn die ganze Zeit. Meine Gefühle blieben verschlossen, während ich darauf wartete, dass er endlich zu reden begann – doch das tat er nicht.

"Wenn du nichts sagst, dann kann ich auch wieder gehen", sagte ich. Ich war wirklich kurz davor, die Tür zu öffnen und wieder davon zu laufen. Sogar, obwohl ich dann diese angenehme Sitzheizung zurück lassen musste.

"Nein! Bitte – bleib!" Stille. Doch dann fing er endlich an zu reden. Sobald er die ersten Worte ausgesprochen hatte, schien sie von ganz alleine aus seinem Mund zu fließen. Er hörte gar nicht mehr auf, auch nicht, als ich schon wieder Tränen in den Augen hatte und mir selbst am liebsten eine runter gehauen hätte. Wieso reagierte ich immer so verdammt vorschnell? Ansonsten durchdachte ich doch auch jeden Atemzug tausendmal! Doch irgendwie waren Gefühle wohl nicht mein Spezialgebiet – vor allem nicht solch komplizierten wie Liebe.


Ein Gähnen riss mich aus meinen Gedanken. Als ich mich umdrehte, entdeckte ich Kayla, die mit abstehenden Haaren und halb geschlossenen Augen auf mich zu tapste.

"Was machst du denn schon hier?", fragte sie schläfrig, während sie auf einen der Barhocker kletterte, der direkt an der Theke stand. Das T-Shirt, welches sie trug (und nebenbei bemerkt sicherlich nicht ihr eigenes war), rutschte dabei ein wenig nach oben, doch es war immer noch lang genug, dass es alles nötige verdeckte.

"Frühstück", erwiderte ich schlicht, doch das breite Grinsen in meinem Gesicht verriet meine gute Laune. Nach so einem Abend wie gestern war das auch kein Wunder, auch wenn er ziemlich schlecht begonnen hatte.

"Ich glaube wir sind noch ein Weilchen allein, also erzähl!", forderte Kayla. Ihr Blick duldete offensichtlich keinen Widerspruch. Seufzend wendete ich den Pancake, der gerade in der Pfanne war und gab mich geschlagen. Sie war immerhin meine beste Freundin, also wer hätte das Recht alles zu erfahren, wenn nicht sie? Außerdem platzte ich beinahe mit den tausend Gedanken in mir drin, die alle raus wollten.

"Also irgendwie war es ganz schön kompliziert", sagte ich. Kompliziert. Das fasste es eigentlich ganz gut zusammen.

Und dann begann ich zu erzählen.

When I Lost My Book - Kind Of A Cinderella StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt