Weiße Rosen - 1

2.1K 120 3
                                    

Bereits als ich vor der Wohnungstür stand konnte ich die laut scheppernd Melodie von Titanic "My heart will go on" aus schlechten Handylautsprechern herauskratzen hören. Sofort war mir klar, dass etwas Katastrophales passiert sein musste. Ich stellte die Tüte mit dem Kuchen vor der mintgrünen Tür ab und ging in das Zimmer.

Drinnen saß Jane auf einem der billigen roten Plastikstühle. Sie hatte die Arme auf den Tisch gestützt und ihr Gesicht verzweifelt in ihre Hände geborgen. Salzige Tränen liefen ihr in Strömen über die Wangen und hatten bereits die ganze Mascara auf ihrem Gesicht verteilt. Sie wirkte mit dieser verlaufenen Kriegsbemalung und den rotgeränderten Augen wie ein Vampir, der am Tag aus seinem Sarg hervorgekrochen war und nun auf seinen ganzen Gesicht Ruß von den Verbrennungen hatte.

Sie hatte eins ihrer Partyoutfits an. Ein schwarzes ärmelloses Kleid mit einen weiten V-Ausschnitt. Ihre Haare waren vollkommen zerzaust und einige der schwarz lackierten Fingernägel waren abgebrochen. Ich klopfte an die Tür, da sie mich nicht zu bemerken schien und ging in das Zimmer hinein.
„Hey." Ich legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter. Sie schloss mich sofort in eine verzweifelte Umarmung und barg ihr Gesicht in meiner Halsbeuge. Langsam streichelte ich ihr über den Rücken wie bei einem Kind, das man tröstet. „Schhhh. Was ist denn passiert?" Meine Stimme wirkte ruhig und stand im starken Kontrast zu dem hochdramatischen Lied, dass immer noch aus dem Handy auf dem Tisch hervorgrölte.
Jane klammerte sich noch fester an mich. „Er hat mich verlassen."
„Wer?", für einen winzigen Moment war ich vollkommen verwirrt.
„Mein Freund Alex.", schluchzte sie.
Wut stieg in mir hoch und ich ballte eine Hand zur Faust. Wie konnte er es wagen sie so zu verletzen!? Wusste er nicht wie verzweifelt Jane versucht hatte ihm alles zu geben!? Hatte er sie nur ausgenutzt!? War sie für ihn nur ein Zeitvertreib gewesen!?

Ich war dem Typen gerade erst einmal begegnet. Er hatte ein kantiges maskulines Gesicht, dazu dunkle rabenschwarze kurze Haare, die er damals hoch gestylt hatte und ein schelmisches Lächeln getragen. Er war muskulös hatte eine einfache schwarze Jeans mit einem ebenso farbigen T-Shirt angehabt und eine schwarze Lederjacke. Eigentlich hatte er auf den ersten Blick charmant gewirkt sogar sympathisch. Wenn dies alles nur ein Spiel gewesen sein sollte und Jane ihm wie ein Schmetterling ins Spinnennetz geflogen war, dann konnte er etwas erleben! „Hat er gesagt wieso er dich verlassen hat?", fragte ich mit vor Zorn schneidend kalter Stimme.
„Nein. Er hat nur gemeint wir könnten nicht mehr zusammen sein." Erneut wurde ihre Stimme von mehreren Schluchzen überrollt.
Was für ein Feigling! Er hatte ihr nicht einmal aufrichtig gesagt, wieso er die Beziehung beenden wollte. „Sie könnten nicht mehr zusammen sein" - war doch keine richtige Begründung! Pah, das war ja so als erklärte man einem Kind der schwarze Mann sei der Osterhase. Es war eine Behauptung ohne Hand und Fuß, hinter der nur Unsinn und nicht mal ein Funken Freundlichkeit, sondern nur Gehässigkeit stand. Nein, das war ein dummer Vergleich, aber ehrlich mal!
„Hey! Für mich bist du die Beste!", meinte ich leise, aber entschlossen zu ihr und streichelte ihren Rücken sanft. Sie schluchzte weiter. Ich blickte auf den Tisch wo die schlechten Boxen des Handys immer noch Titanic wiedergaben und streckte eine Hand aus um die Musik auszuschalten.
„Hey! Reis dich zusammen! Vergiss diesen Typ. Ich weiß es ist scheiße, dass ich das einfach so sage, aber es ist die Wahrheit. Ehrlich er hat dir nicht mal eine richtige Begründung gegeben, wieso er sich von dir trennen will. Wenn das nicht zeigt, dass er ein Feigling ist, dann weiß ich auch nicht weiter. Du wolltest doch nie mit einem Angsthasen zusammen sein, oder?" Mir war klar, dass Jane jemanden brauchte der ihr beistand, sie unterstützte und sich nicht einfach in ein Kaninchenloch verkroch wenn Gefahr bevorstand.
„Er ist ein verdammt süßer Angsthase.", meinte sie nun mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, doch immer noch liefen ihr Tränen über die Wange.
„Ach so, dann wolltest du ihn nur als Kuscheltier haben? Das geht schneller. Ich glaub in dem Laden um die Ecke werden Kuscheltiere angeboten. Wollen wir dir einen Hasen suchen?"
Jane zog sich etwas aus meiner Umarmung zurück und boxte mir gegen die Schulter. „Du bist fies! Nimm meine Probleme mal ernst!"
„Das tue ich doch! Nur er war ganz sicher kein Problem, sondern nur eine Plage. Stattdessen habe ich ein echtes Problem gelöst." Ich wand mich vollkommen aus ihren Armen und ging zur Tür um den Kuchen zu holen. Stolz stellte ich meine Beute auf den Tisch. „Heute Abend gibt's Kuchen und Torte."
Janes Gesicht hellte sich mit einen Schlag auf. „Du bist die Beste!"
„Keine Umstände, keine Umstände." Ich ging zum Küchenschrank und fand diesmal sogar neben dem Werbegeschenk, einen echten Löffel aus billigen, leichten Material, der jedoch immerhin aus Metall bestand. Mit eleganten Schritten lief ich zum Tisch, verbeugte mich vor Jane und erklärte in bester Hofmanier: „Mylady, ich bitte Sie den Ihnen gereichten Löffel entgegenzunehmen." Sie grinst und nahm nicht den Plastiklöffel, welchen ich ihr entgegenstreckte, sondern stibitzte sich den Metallenen, den ich hinter meinen Rücken versteckt hatte.
„Aber meine Zofe! Wollten Sie mich etwa bestehlen?", fragte sie mit hochgezogenen Augenbraue und gespielt schockiert.
Entsetzt zog ich mich aus meiner Verbeugung heraus und rief entrüstet: „Das würde ich doch niemals wagen!" Ich fing ich zu lachen und selbst auf Janes Gesicht lag für einen Moment so etwas wie ein winziges Lächeln, dann wandten wir uns endlich den Kuchen zu.

Als wir genüsslich fertig gegessen hatten gingen wir beide schlafen. Am nächsten Tag war ich an der Reihe mich unter die eiskalte Dusche zu stellen. Ich hatte das Gefühl als würde meine Kopfhaut aufplatzen, als der eisige Wasserstrahl mich unter sich begraben wollte. Einen kleinen Entsetzenschrei, der wohl das ganze Haus aufweckte, konnte ich mir nicht verkneifen.

Als ich endlich fertig war und wieder voll angezogen das winzige Bad verlassen konnte, erwartete mich draußen eine böse Überraschung. Die mintgrüne Tür, die auf den Gang führte, fehlte. Jane stand vor einem großen Loch in der Wand und murmelte: „Das sieht nicht gut aus."
„Was ist los? Hast du die Türe weggezaubert?" Sie deutet auf den Boden vor sich und ich musste schlucken. Die gesamte Tür lag auf den Boden. Wie war das bitte geschehen? Die Tür war sicher schon alt und halb kaputt, aber doch wohl nicht so extrem, dass sie einfach so aus den Angeln fallen konnte, oder?

Jane deutete mit ihrem Zeigefinger auf den Rand derHolztür. „Sieh mal, selbst die Halterung ist mit rausgefallen, wir können sienicht einmal wieder einhängen."
Ich fluchte. Wie bitte konnte so etwa passieren?

Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt