Layna - 3

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„Und das Kleid ist wirklich nicht zu kurz?, fragte ich Elfe bestimmt zum hundertsten Mal. Seit den letzten zwanzig Mal lag dabei ein schelmisches Grinsen auf meinen Lippen.
Sie verdrehte genervt die Augen. „Es ist für unseren Zweck eher zu lang. Du erkennst den Typen?"
„Jeps, blaue Augen, groß gebaut, blasse Haut, kahlrasierter glänzender Kopf, Drachentattoo, das sich um den Kopf rumschlingt. So einen Typen sollte man schnell erkennen."
Elfe nickte. „Wahrscheinlich hat er einen extra Bereich. Etwas über den Leuten, sodass er runter schauen kann, aber noch von allen gesehen wird. Er lädt die „interessanten" Frauen zu sich hoch. Wenn sie ihm gefallen werden sie in die Privatgemächer geführt. Diejenige von uns, wo eingeladen wird versucht ihn zu betäuben und dann sich zu den Zellen durchzuschleichen. Den Lageplan hast du noch im Kopf?"
„Klar."
„Elfe?"
„Ja?"
„Ich habe noch eine Frage. Wir sprechen immer vom Ziel oder ihm oder dem Drogenboss. Wie heißt er eigentlich?"
Elfe schaute mich lange und ernst an. „Möchtest du den Namen wirklich wissen?"
„Wieso? Kenne ich ihn?"
„Das ist eher unwahrscheinlich, aber der Name gibt einem Wesen etwas Menschliches. Nenne wir ihn Ziel und er wird eher zu einem Ding, einer Sache mit der du handeln musst, aber die nichts weiter ist als eben ein Ziel."
Lange Zeit herrschte Schweigen. „Ich verstehe, wenn das so ist, möchte ich den Namen lieber nicht erfahren." Ich wusste nicht ob ich stark genug dafür war. Vielleicht war es wirklich besser mir diesen einfach Menschen als ein Ziel vorzustellen.
Elfe wollte schon die Türe aufmachen, als ich sie noch zurückhielt.
„Sag mal wie wird es da drinnen aussehen?"
Sie zog eine Augenbraue hoch: „Wie in einer Disko. Vielleicht etwas kleiner und etwas mehr Platz zwischen den Leuten, da nur sehr wenige Gäste reindürfen. In der Mitte wird es wahrscheinlich ein Podest geben an dem mehrere Stangen befestigt sind. Da können wir dann die Aufmerksamkeit unserer „Kundschaft" erwerben."
Ich schluckte. „Elfe... Ich glaub wir haben da ein Problem."
„Welches?", fragte sie vorsichtig nach.
Ich schwieg betroffen.
„Bist du noch Jungfrau?"
Ich wurde knallrot, doch schüttelte leicht den Kopf. Das verdankte ich diesen Idioten aus meiner Jugend! Wie hatte ich nur auf ihn hereinfallen können! Zorn stieg in mir hoch, doch Elfes Stimme holte mich wieder zurück: „Was ist dein Problem?"
„Nun ja, es ist vielleicht ein Problem, dass ich seit langem nun.... Nicht geflirtet habe... Aber ich schätze das macht nichts, weil ich in diesem Gewerbe eh noch nie tätig war..." Wieder druckste ich etwas herum.
„Und was ist noch?", Elfes Stimme klang beunruhigen ruhig.
Ich seufzte. „Um ehrlich zu sein war ich erst dreimal in einer Disko und jedes Mal eher zwanghaft. Die letzten beiden Male waren erst „neulich", allerdings bekomme ich immer Kopfweh und bewege mich unbeholfen und..."
Elfe unterbrach mich. Sie lächelte: „Das was ich dir jetzt sage ist ganz wichtig: Du bist schön, wunderschön. Die Männer werden dir da drinnen zu Füßen liegen."
„Wovon sprichst du? Ich bin ein Durchschnittsmensch."
„Du gehörst vielleicht dem Durchschnitt an, aber du wurdest von mir zurechtgemacht. Kleider machen wirklich Leute und du hast mittlerweile einige beachtliche Muskeln bekommen. Okay, nicht alle Menschen stehen auf so etwas, aber die Kerle da drinnen schon. Für die sind Muskeln, ein durchtrainierter Arsch und Selbstbewusst viel wichtiger als abgemagerte Knochen und Schönheitschirurgie."
„Klar doch, du kannst das leicht sagen. Du siehst perfekt aus. Du hast Kurven an den richtigen Stellen und bist dazu auch noch durchtrainiert."
Elfe lachte. „Ich habe mich schon so oft unter das Messer gelegt, dass ich es nicht mehr zählen kann. Glaube mir, dass meiste an mir ist nicht natürlich. Die Vampirärzte haben mir ein vollkommen anderes Aussehen verpasst, damit man mich nicht mehr erkennt. Ich habe dutzende von Leuten umgebracht, da musste ich mich drastisch verändern und es kommt nun wirklich nicht nur auf die Größe der Brüste an, sondern auf das Gesamtpaket. Du gehst da jetzt rein, mit einem arroganten selbstbewussten Blick und solltest am besten innerlich glühen. Du darfst dich nicht gegen die Musik sträuben, sondern du musst dich von ihr leiten lassen. Das ist der Trick bei der Sache. Okay?"
Am liebsten hätte ich mir genervt mit der Hand durch das kunstvoll hochgesteckte Haar gefahren und mir die stark geschminkten Augen gerieben, doch ich wollte Elfes Arbeit nicht zerstören. „In Ordnung gehen wir", antwortete ich also nur. Wenn ich mich der Hölle schon stellen musste um meine Freunde zu befreien, sollte ich das lieber gleich tun und nicht warten bis es ihnen noch schlechter ging. Wenigstens hatte ich Elfe an meiner Seite. Wir würden das schon schaffen.
Elfe schob die Tür des Vans auf und wir gingen nach draußen. Wir waren in dem Rotlicht Bereich einer Stadt. Blitzende Schilder um uns herum warfen mit leuchtenden Buchstaben ihre Nachrichten in die Gegend, viele Menschen liefen hier umher und einige hielten bereits ihre heutige Wahl umschlungen und schienen sich jeden Moment in eine dunkle Ecke verdrücken zu wollen. Doch noch mehr Menschen strömten in die großen rotbeleuchteten Häuser. Je auffallender und prächtiger diese waren, desto besser bekleidet schien die Kundschaft zu sein. Elfe zog mich rasch am Arm in eine Seitengasse hinein. Wir durchquerte sie so schnell wie möglich, trotzdem viel uns das Paar auf, dass eng umschlungen in einer Nische stand. Elfe zog mich weiter, wieder hinaus auf eine größere Straße, doch diese hier wirkte düsterer. Die Gestalten, die sich hier tummelten waren anderes. Sie verströmten eine gefährliche Aura und diese Augen kamen mir sehr bekannt vor, obwohl in vielen auch eine Qual zu lesen oder sie bereits getrübt von Alkohol und teilweise auch Drogen waren. Einige trugen ihre Waffen offen, doch viele waren geschickter und legten Wert auf Täuschung. Jedoch schien keiner hier wirklich unbewaffnet zu sein und viele Finger zuckten unruhig umher, so als vermissten sie das gewohnte Gewicht eines Messers oder einer Pistole.
„Hier lang!" Elfe zog mich auf ein großes Gebäude zu. Die Fenster waren vernagelt und überall waren rote Neonröhren angebracht. Die Musik, die im Inneren hämmerte, hörte man bereits von hier und die Rausschmeißer vor der Tür waren wohl genug um die meisten Willigen abzuschrecken. Dieser Club war nichts für den Durchschnittsmenschen. Wir traten vor und die beiden Türsteher musterten uns.
„Was wollt ihr hier?!", fragte der eine ziemlich grob auf Russisch. Ich war stolz wie gut ich mittlerweile die Sprache beherrschte, doch ich ließ Elfe reden.
„Wir wurden angeheuert. Wir sollen im Club etwas Stimmung verbreiten."
„Woher weiß ich, dass ihr die richtigen seid und keine Bullen, die hier herumschnüffeln wollen?"
Elfe öffnete ihren Mantel und der Typ stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
„Na dann rein mit euch. Die Garderobe ist links."
Wir nickten und gingen in den Club hinein. Die Musik wurde lauter. Es war irgendein Heavy Metall Song. Man hörte seine Stimme kaum und so gaben wir schweigend unsere Mäntel bei der Empfangsdame ab, die nichts weiter als ihr Höschen trug oder zumindest glaubte ich, dass es das sein sollte. Elfe zog mich für einen Moment in eine Ecke. Wir blickten uns beide in dem Raum um. Es gab zwei Ebenen, doch die Mitte des unteren Raumes war offen, sodass man bequem von der oberen Etage hinunter schauen konnte. Auf der einen Seite war so etwas wie ein Balkon angebracht. Er war etwas weiter hinabgesetzt worden als der Rest der zweiten Etage, sodass auch die Leute von unten einen Blick auf die Menschen dort oben erhaschen konnten. Auf dem Balkon stand eine große, rote, lederne Kautsch, von der man perfekte Sicht auf die Mitte des Raumes haben musste, wo sich das Podest für die nun ja... leichter begleitete Besucherschaft befand. Anders gesagt ich und sogar Elfe hatten sehr viel Stoff am Leib im Gegensatz zu den Personen auf dem Podest. Die meisten dort waren oben ohne oder zumindest fast ohne. Etwas auf BH-Größe zu finden war schon eine Meisterleistung. Aber auch durchtrainierte Männer waren auf dem Podest zu sehen. Sie tanzten entweder erotisch gemeinsam mit den Frauen oder vollführten akrobatische Meisterleistungen an den Stangen. Diese Stangen gingen bis hinauf zur Decke der zweiten Etage. Man konnte an ihnen also, wenn man genug Kraft hatte, hoch zum zweiten Stockwerk klettern. All das wurde von den Zuschauern auf beiden Etagen beobachtet. Die meisten waren männlich, doch es gab auch einige Frauen, allerdings wurden all diese Besucher von einem Mann mit Adlerauge bewacht. Dieser thronte auf dem roten Sofa auf dem Balkon und genoss das Spektakel. Um seinen Kopf herum schlang sich der schwarze Drache in tödlicher Anmut und die hellblauen Augen musterten wachsam, doch scheinbar auch gelangweilt den ganzen Raum. Er war mein Ziel. Ich schluckte. Es würde wohl schwer werden seine Aufmerksamkeit zu bekommen, bei all der vielen nackten Haut hier.
„Okay?", fragte Elfe.
Ich nickte. Auch wenn mir die Musik nicht gefiel, tat ich doch wie sie mir geraten hatte und rammte meine hohen Stiefelabsätze zum Takt der Musik auf den Boden. Mein Blick stolz gerade aus und mit einem leicht arroganten Lächeln auf den Lippen, so als sei all das hier nur ein Spiel, näherte ich mich dem Podest.



Aus den Chroniken der Tagwandler - Ein Bericht eines späteren Ratsmitgliedes:

Wir sind zu einer Einigung gekommen. Die Dokumente mit dem Antrag auf die Rechte der Menschen, aber auch die Erklärung wieso diese von Nöten sind, sind gemeinsam in einem Schreiben endgültig verfasst worden. Ich bin sehr nervös, denn mein Lehnsherr erwartet, dass ich ihm neue Forschungsergebnisse liefere und stattdessen wird er dieses Rundschreiben bekommen. Ich hoffe er reagiert nicht so ungezügelt wie ich es in diesem Moment befürchte. Doch es gibt Hoffnung, denn nicht nur ich bringe dieses Schreiben mit, sondern auch alle anderen. Alexios wird es sogar mit dem Ältesten Rat in seinem Clan besprechen. Hoffen wir, dass die Vernunft siegen wird und vielleicht, ja vielleicht wird es irgendwann doch möglich sein die Vampire wieder zu vereinen.


Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt