Ich stand auf einer kleinen Nebenstraße. Die einzige Laterne hier war von Staub und Spinnenweben umhüllt und flackerte kläglich gegen die Finsternis an. Überall standen Müllsäcke herum und es stank widerlich. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo ich mich befand. Vielleicht konnte ich einfach einmal um das Gebäude herumlaufen, damit ich den Haupteingang fand und somit wieder etwas Orientierung bekam.
Ein leises Knarren ächzte hinter mir.
Ich wirbelte herum, doch da war niemand. Langsam blickte ich wieder nach vorne.
Ein Klacken, als würde eine Tür ins Schloss fallen. Ich drehte mich erneut zum Seitenausgang um, doch dort war wirklich keine Menschenseele zu sehen. Die Straßenlaterne flackerte weiter und Panik stieg in mir auf. Bilder von Morden aus verschiedenen Krimisendungen kamen in meinem Inneren hoch und ich sah mich schon als nächstes Opfer blutig auf dem dreckigen Boden liegen. Ein zaghaftes Wimmern kam aus meinem Mund.
„Hab doch keine Angst." Die Worte waren geflüstert und kaum zu verstehen, trotzdem erkannte ich das merkwürdige ziehen des s Lauts. Panisch wirbelte ich herum, doch niemand schien hier zu sein. So als habe der Wind mit mir gesprochen und keine lebende Person.
„Glaubst du wirklich, du könntest mir entfliehen. Ich bin tausendmal schneller als du und du bist direkt in meine Falle getappt, als ob du ausversehen gegen mich laufen könntest. Kämst du unbemerkt auch nur in meine Nähe, wärst du des Todes. Doch du bist brav. Du bist auf das Spiel eingegangen und nach draußen gerannt...", wisperte es aus einem Schatten der Häuser heraus, doch immer noch konnte ich niemanden erkennen.
„Wo bist du!?", schrie ich mit zitternder Stimme.
Doch nur ein schwaches Lachen, getragen vom Wind, erreichte meine Ohren. Meine Nackenhaare stellten sich zu Berge. Ich wollte einfach nur noch wegrennen, doch als ich den ersten Schritt zur Flucht ansetzte, wurde ich zurückgeschleudert. Hart landete ich auf einem der Müllsäcke. Der eklige Geruch von alten Socken, Unrat und verschimmelten Essensresten stieg um mich herum auf. Die Mülltüte war geplatzt und der gesamte Inhalt hatte sich auf die Straße verteilt. Meine Muskeln wollten mir nicht mehr gehorchen. Verzweifelt schnappte ich nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Jemand hatte mich geschupst, ganz eindeutig. Ich hatte für den Bruchteil einer Sekunde die Hände auf meiner Brust spüren können und dann war ich durch die Luft geflogen.
Erneut ertönte das Lachen und diesmal tauchte Narbengesicht vor mir auf. „Ich sollte nicht so viel mit dir Spielen, schließlich soll ich dich lebendig abliefern.", meinte er mit einem leidigen Seufzer und breitem Grinsen auf den Lippen. Bei dieser Grimasse warf die Haut um die Narbe herum Falten.
„An wen sollst du mich abliefern?", fragte ich mit zitternder Stimme. Mein Versuch tapfer und furchtlos zu klingen, scheiterte kläglich. Der Angstschweiß brach aus allen meinen Poren hervor und Adrenalin durchflutet meinen gesamten Körper. In was für einer verrückten Welt war ich denn bitte hier gelandet? Ich fühlte mich wie in einem vollkommen überstellten Krimi gefangen.
„Das geht dich nichts an", stieß Narbengesicht hervor und entblößte seine schneeweißen Zähne. Mit der blutroten Zunge leckte er sich über die Lippen und ich zitterte noch mehr. Dieser Typ wollte mir eindeutig wehtun und das anscheinend nicht weil ich ihn im Club angerempelt hatte. Es war von Anfang an sein Plan gewesen, mich hier raus zu locken. Ich hätte einfach in der Disko bleiben sollen, doch nun war es zu spät und ich war allein mit diesem Psychopaten.
„Und nun wirst du mir gehorchen!", rief er mit dramatischer Stimme. Er genoss die Vorstellung wirklich.
„Steh auf!", schrie er mich kurz danach an.
Ich tat was er wollte. Es war in diesem Fall sicherlich besser kooperativ zu sein.
Das Grinsen auf dem Gesicht wurde breiter, so dass der Mann noch mehr entstellt wurde. „Dreh dich im Kreis und tu so als seist du ein Hündchen", befahl er mit schadenfrohen Blick.Verwirrt schaute ich ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
„Was soll ich tun?", fragte ich vorsichtshalber nach, nur um sicher zu gehen, dass ich es richtig verstanden hatte.
„Dreh dich im Kreis und tu so als seist du ein Hündchen!", fuhr er mich an.
Das war wirklich schräg, aber wenn er dann zufrieden war und mich in Ruhe ließ, sollte es mir passen. Ich war noch nie die mutige große Kämpferin gewesen, also trottete ich einmal um die eigene Achse herum und machte dabei vollkommen verwirrt ein „Wau". Selbst in meinen Ohren klang es nicht besonders überzeugend.
„Klingt so etwa ein Hund?", fragte der Typ. Er schien sich das Lachen kaum noch verkneifen zu können. „Ein Hund macht „Miau"."
„Nein, tut er nicht", rutschte es mir heraus.
Sofort wurde sein Gesichtsausdruck aufmerksam und eisige Blicke zischten aus seinen Augen heraus. Fast schienen sie mich zu erdolchen.
Sofort tat ich was er wollte. Ich machte einmal eine Umdrehung und sagte „Miau". Der Mann krümmte sich vor Lachen wie ein kleines Kind, fiel auf die Knie und kullerte auf den Boden umher, bevor er wieder mit Lachtränen in den Augen aufstand.
Mittlerweile kam mir Narbengesicht nicht mehr ganz so gefährlich vor. Wahrscheinlich war das hier einfach nur ein dummer Streich eines zu alten Teenagers. Ich stöhnte innerlich über mich selbst auf. Wie hatte ich ihn nur ernst nehmen können?
Narbengesicht spielte sich auf wie ein König und befahl: „Und nun schrei in die Welt: „Meine Familie, Verwandten und Freunde sind der größte Dreck und ich werde von nun an für immer dein Sklave sein.""
Etwas in mir schaltete sich um. Für einen dummen Teenie Streich ging das wirklich zu weit! Was glaubte dieser Mann eigentlich, was er war?! Eine Schimpftirade brach auf meinem Mund hervor und war nicht mehr zu stoppen: „Jetzt hör aber mal auf mit dem Scheiß! Ich habe das lang genug mitgemacht. Ich bin in den Club gegangen um meiner Freundin Jane zu helfen. Spiel deine Spielchen mit irgendjemand anderem! Ich hab zu tun und werde ganz sicher nicht länger, dass tun was du sagst und erst recht werde ich nicht dein Sklave sein! In welchem Jahrhundert leben wir denn hier bitte?!"
Narbengesicht starrte mich so verdattert an, als hätte er herausgefunden, dass ich die Zahnfee sei. „Du wirst mir nicht mehr dienen?", fragte er wie ein kleiner verdatterter Kindergartenjunge nach.
„Nein, du Vollidiot! Ich werde dir nicht mehr dienen! Du wirst jetzt tun, was ich dir sage verstanden!? Oder ich rufe die Polizei." Das letzte war zwar eine ziemlich leere Drohung. Mein uralter Handyakku hatte sicherlich wieder einmal den Geist aufgegeben, dass tat er schließlich immer, wenn es brenzig wurde. Nur Narbengesicht würde das ganz sicher nicht erfahren.Ich plusterte mich zur vollen Größe auf und hatte dann keine Ahnung was ich noch sagen sollte, doch da ich weiterhin in der Rolle bleiben musste, fragte ich ihn mit eiskalter Stimme: „Hast du Jane gesehen, das Mädchen das ich suche?" Ich holte meinen Gelbeutel heraus und zeigte ihm ein kleines Foto von ihr.
„Ja.", antwortete Narbengesicht tonlos, als sei er ein Roboter.
Aus den Chroniken der Tagwandler - Ein Bericht eines späteren Ratsmitglieds:
Tatsächlich sind bei der Frau nach dem Biss auch nach langfristiger Zeit keine Veränderungen festzustellen. Das Gift der Vampire, das im Zusammenhang mit dessen Blut zu einer Mutation in ein Wesen der Nacht oder zum Tod führen kann, setzt durch den einfachen Biss und dem Verzehr des Blutes nicht ein. Nur das fehlende Blut macht dem menschlichen Körper zu schaffen. Eine optimale langzeitige Ernährung für einen Vampir könnte man aus mehreren Spendern gewinnen, sodass sich der einzelne Wirt wieder erholen kann. Dies könnte die Population der Menschen entlasten und somit vor allem unsere dauerhafte Ernährung sichern.
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Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler Reihe
VampireUmgeben von der Dunkelheit, gefangen in den Armen eines Vampiroberhaupts und vermählt mit dem Tod, der sie auf Schritt und Tritt begleitet. Kates gesamtes Leben wurde in ein blutiges, dunkles Sein gerissen und sie steht mit all den zerbrechlichen Ho...