Wütend raufte ich mir die Haare. Ich hatte jetzt ein gewaltiges Problem. Wie bekam ich in Gottesnamen seinen Fingerabdruck? Ich konnte schließlich nicht seinen gesamten Körper bis zu den Zellen schleifen. Nicht nur dass der Typ bestimmt das Doppelte meines Körpergewichts auf die Waage brachte, es war auch viel zu auffällig, schließlich musste ich mich zu den Zellen schleichen und konnte dort nicht einfach hinmarschieren und einen schlafenden Drogenboss hinterherschleifen. Ich seufzte und blickte seinen Finger an.
Auf einmal kam mir eine Idee. Doch ich schüttelte entsetzt den Kopf. Früher wäre ich sicherlich niemals auch nur auf diesen Gedanken gekommen. Doch was sollte ich anderes tun? Ich hatte vielleicht eine halbe Stunde, okay vielleicht auch etwas mehr Zeit, doch dann würde man nach dem Typen schauen. Mit jeder Sekunde die verstrich wurde es wahrscheinlicher, dass ich entdeckt oder bei der Befreiungsaktion erwischt werden würde. Auch hatte ich keine Ahnung wie lang genau das Schlafmittel andauern würde. Doch wenn der Typ wach wäre, würde er sofort den ganzen Laden in Alarmbereitschaft versetzten. Vielleicht hätte ich ihn doch umbringen sollen. ich seufzte.
Noch zwei Minuten stand ich einfach so da, als mir nichts anderes einfiel biss ich mir auf die Lippe. Ich musste jetzt handeln und da mir keine bessere Idee einfiel musste ich wohl oder übel die erste ausführen. Ich blickte an mich herab und merkte, dass ich rein gar nichts anhatte. Dass Problem war, seine Hose konnte ich mir ganz sicher nicht anziehen, sie war viel zu groß. Also riss ich ihm sein T-Shirt vom Leib und zog es an. Es ging mir etwa bis zur Mitte der Oberschenkel und so fühlte ich mich wenigstens etwas wohler.
Danach ließ ich die Klinge ganz aus meinen Schuh hervorschnellen. Ich nahm sie in die Hand und achtete dabei darauf mich nicht zu schneiden. Dann beugte ich mich über die Hand meines Ziels. Ganz ruhig! Rief ich mir ins Gedächtnis. Schön aus- und einatmen. Die Worte von Wolf stahlen sich aus meinen Erinnerung hinein in mein Unterbewusstsein: "Du kannst nicht mehr denken, dass dies Böse und das andere Gut ist. In der Welt in der du nun lebst, musst du eine Möglichkeit mit der anderen abwägen und dich dann für diese entscheiden, die die weniger schlechten Folgen mit sich bringt." Was war schlimmer? Wenn ein Typ, ein skrupelloser Drogendealer und wahrscheinlich auch Killer einen Finger verlor oder wenn vier Menschen, die meine Freunde waren, starben, vielleicht sogar davor gefoltert wurden? Ganz sicher, der Finger war die weniger schlimme Option. Ich schnappte mir die Hand meines Ziels, legte sie flach auf den Boden und setzte die Klinge an.
Verdammt ich konnte das nicht! Ein Zittern lief durch meinen gesamten Körper. Für einen Moment hatte ich das Gefühl mich zu erbrechen. Ich wandte den Kopf ab und wollte die Klinge schon wieder absetzen, doch die Bilder meiner Freunde stiegen in mir hoch. Wolf zusammengekauert auf den Boden, aus unzählig vielen Wunden blutend, immer noch versuchend die andere zu beschützend. Hinter ihm Bär regungslos daliegend und Schlange, der sich die Hand an seine Brust drückte, um das But zu stoppen und röchelnd versuchte Luft zu bekommen und ganz hinten Einstein, weiß wie die Wand und eine blutige Träne rann ihm über das Gesicht. Ich stieß einen Schrei aus und hackte mit der Klinge so fest ich konnte auf den Finger ein. Ich spürte wie ich das Fleisch durchschnitt, spürte den Wiederstand der Knochen am Gelenk und legte noch einmal meine gesamte Kraft hinein. Jedenfalls kam es mir so vor. In Wahrheit wollte mich mein altes ich zurückziehen, während mein jetziges mit aller Kraft gegen diesen Wiederstand und die Knochen ankämpfte. Dann gab es ein Knacken und ich spürte den Boden unter meiner Klinge. Angeekelt nahm ich den Finger und hielt ihn weit von mir gestreckt in die Luft. Wenigstens war mein Opfer nicht aufgewacht. Das Blut strömte nur so aus der verletzten Hand, doch er regte sich nicht. Das war nun aber egal! Mit ausgestreckter Hand den bluttropfenden Finger haltend, rannte ich aus dem Zimmer. Gott sei Dank war niemand draußen auf den Flur. Ich fing ich nun an mich vorsichtiger zu bewegen. Ich rannte an der Wand entlang und nutzte jeden Schatten aus den ich finden konnte. Ich hörte Gelächter und spähte vorsichtig in ein Zimmer mit halb offener Tür hinein, immer darauf bedacht mich nicht zu verraten. Im Raum saßen mehrere Männer und rauchten Zigaretten. "Sollten wir nicht langsam mal unsere Runde drehen?", fragte der eine auf Russisch.
"Ganz sicher nicht. Der Boss ist gerade beschäftigt und auch sein Ersatz hat sich eine geschnappt. Das heißt niemand ist hier der uns verpfeifen oder zurechtweißen würde. Die anderen genießen auch gerade ihre freie Zeit. Ehrlich sei mal ein bisschen lockerer. Wer bitte sollte hier eindringen. "
"Stimmt!", meinte ein anderer und ich hörte nicht mehr weiter zu.
Schnell huschte ich an dem Zimmer vorbei. Ich verglich die Abzweigungen mit dem Lageplan in meinem Kopf. Die Zellen waren ganz in der Nähe! Auf einmal hörte ich ein lautes Knallen. Erschrocken zuckte ich zusammen und presste mich an die Wand eines kleineren Ganges, der kurz vor den Zellen abzweigte.
"Sag schon!", schrie eine Stimme wütend.
Ein höhnisches Lachen folgte. Die Stärke und der Wille in diesem Lachen wurden jedoch von dem Husten danach in Frage gestellt. "Ganz sicher werde ich dir nichts erzählen!" Warte, diese Stimme! Ich kannte sie!
"Ach ja!? Aber die anderen! Sie werden es mir erzählen!", brüllte jemand vollkommen von sich überzeugt.
"Glaubst du das wirklich?" Das war Wolfs Stimme! Aber die Geräusche kamen nicht aus den Zellen.
"Die anderen haben alle keine Ahnung. Einzig und allein ich weiß den Grund, wieso wir in euer Gebiet eingedrungen sind. Die anderen haben nur meinen Befehl befolgt, wie du schon richtig festgestellt hast."
Der andere Mann, der bei Wolf zu sein schien, schrie wütend auf. Seine Stimme triefte vor Wut und Hass. Dann erneut dieses merkwürdige Geräusch als zerschneide etwas die Luft und dann dieses furchtbar laute Knallen.
Ich musste herausfinden wo sie waren! Ich lauschte, versuchte die Geräusche zu orten. Das Lachen, dass nun einsetzte kam eindeutig aus diesen kleinen Gang heraus. Ich rannte los. Nun konnte ich ein Keuchen von Wolf hören. Ich musste ganz in der Nähe sein!
Da eine Tür! Schlitternd bremste ich und musste einige Schritte zurückrennen. Dann hörte ich wieder dieses Geräusch als wenn etwas die Luft durchschnitt und ein lautes Aufknallen. Diesmal konnte ich auch das Stöhnen von Wolf hören. Dann wurde mir bewusst, was da drinnen gerade passieren musste. Innerlich betete ich, dass es nicht so war. Mit zittrigen Händen tippte ich den Code ein, denn ich vorhin erspäht hatte. 2-9-4-5
Wieso war der Code auch so verdammt lang!?
8-3-7-0 Erleichtert atmete ich auf. Ich hatte in mir gemerkt. Gott sei Dank leuchtet auch ein winziges Lämpchen grün auf. Nun würde ich nur noch den Fingerabdruck brauchen. Hoffentlich würde das Teil funktionieren! Wenn das Gerät gleichzeitig die Wärme oder den schwachen elektrischen Puls maß der normalerweise durch den Finger lief, dann hatte ich ein verdammt großes Problem.
"Also! Was habt ihr in unserem Gebiet gemacht!? Wollt ihr uns stürzen?! Das wird niemals passieren.", die Stimme klang vollkommen fanatisch.
"Selbst wenn ich es dir sagen würde, würdest du mich doch weiterfoltern!", stieß Wolf zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ich drückte den Finger an den Scanner und betete zum Himmel, die Türe möge sich öffnen!
Da!
Langsam glitten die Flügel zur Seite. Ich stürmte in das Zimmer hinein.
Auf eine Art Zahnarztstuhl angebunden lag Wolf. Er trug nichts als die blanke Haut am Leibe. Aus unzählig vielen Wunden rann das rote Blut hervor. Auf einem Tisch daneben lagen allerhand Folterinstrumente. Sofort wollte ich zu Wolf stürmen, doch er schrie vollkommen entsetzt aus: "Pass auf!"
Der Mann, der mit Wolf in den Raum war holte mit einer Peitsche aus. Ich konnte mich noch gerade so ducken, dank Wolfs Warnung, doch ich war immer noch zu langsam um den Schlag vollkommen auszuweichen. Mit einem Knallen traf die Peitsche mich an meiner linken Schulter. Der Schmerz war grausam. Im Gegensatz zu Schlägen, platzte die Haut sofort auf und ein blutiger Striemen bildete sich. Ich wich zur Seite aus, ehe der Mann erneut ausholen konnte. Er war im Gegensatz zu Wolf schmal und klein. Er wirkte mit diesem Körper beinahe mädchenhaft. Die Iris seiner Augen wurden durch Kontaktlinsen blutrot gefärbt und als er den Mund öffnete um zu sprechen, konnte ich sehen, dass seine Zunge gespalten war. Der Schnitt war jedoch nicht sauber durch die Mitte durchgeführt worden und so war die eine Seite der gespaltenen Zunge größer als die anderer.
"Was machst du hier!? Wie kommst du hier herein!?", fragte der Mann wütend, als wäre ich nur eine lästige Störung. Vielleicht konnte ich ihm ja auch genau das vorspielen zu sein. Wenn ihm nicht bewusst war, dass ich mit Wolf unter einer Decke steckte, würde er leichter zu überwältigen sein.
Ich hielt meine Schulter fest und ließ die Tränen, die eh schon durch den Schmerz in mir gelauert hatten, über meine Wange rollen. Der Mann hielt für einen Augenblick inne.
"Ich habe mich verlaufen!", brachte ich verzweifelt hervor, dabei presste ich mich gegen die Mauer wie es wohl eine vollkommen verängstigte Frau getan hätte. Doch in mir brannte nicht die Angst, sondern Wut und Verzweiflung. Ich musste Wolf retten und zwar schnell und dieser Typ sollte dafür bezahlen, dass er Wolf so schwer verletzt hatte.
Ich schniefte ganz jämmerlich. Der Typ machte ein weiches Gesicht und streckte die Hand aus. Ich hatte ihn an der Angel! Doch plötzlich verzerrte sich sein mitfühlender Ausdruck zu einer grausamen Fratze.
"So ein Pech, Frau!", stieß er hervor und ließ die Peitsche auf mich niedersausen. Ich konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen. Statt ihn zu täuschen, hatte er mich ausgetrickst. Der Schmerz der von meiner Brust aus, durch meinen gesamten Körper zischte war schrecklich. Ich schrie auf und er lachte.
"Mir ist es egal, was du hier suchst. Du hast mich gesehen und du konntest diesen Raum betreten, deswegen musst du sterben."
Erneut zischte die Peitsche durch die Luft, doch diesmal duckte ich mich und machte eine Rolle nach vorn. Ich war nun direkt vor seinen Körper und wirbelte meine Beine in einer Halbdrehung herum, sodass ihm seine Beine weggezogen wurden. Er viel krachend zu Boden, die Peitsche hielt er immer noch in der Hand. Ich wollte auf ihn zu gehen, um ihn endgültig den Rest zu geben, doch zu meinem Entsetzen schwang er die Peitsche selbst im Liegen noch und ich musste erneut zurückweichen. So bekam er genug Zeit um sich wieder aufzurappeln. Fluchend hechtete ich auf ihn zu und nahm dabei in Kauf von der Peitsche erneut getroffen zu werden. Dann legte ich all meine Geschwindigkeit in den Sprung und riss meinen Gegenüber, indem ich mein Knie in seinen Unterleib bohrte, mit zu Boden. Als wir auf den harten Fließen aufkamen, hämmerte ich gegen seine Schläfe. Meine Hand tat furchtbar weh und meine Fingerknöchel platzten auf, doch ich ignorierte den Schmerz. Nach dem vierten Schlag schien er endlich das Bewusstsein verloren zu haben.
Ich stand auf und spürte dabei einen neuen Schmerz durch meinen Rücken zucken. Er hatte mich also noch einmal mit der Peitsche erwischt, als ich auf ihn zu gerannt war. Doch viel wichtiger war wie es Wolf ging!
Er atmete flach und aus unzähligen Wunden strömte Blut hervor. Nicht alle Verletzungen schienen von der Peitsche zu stammen, doch sein Peiniger hatte dieses Werkzeug augenscheinlich bevorzugt. Ich sah die Gurte an mit denen Wolf auf den Stuhl fixiert war und ging rasch zu dem grausamen Sammelsurium an Folterwaffen auf dem Tisch neben ihm zu. Hoffentlich befand sich etwas darunter, um die Teile durchzuschneiden.
"Geht es dir gut?", Wolfs Stimme klang gepresst. Er spuckte kurz Blut und fuhr dann fort: "Wie schlimm sind deine Verletzungen?"
Ich schüttelte den Kopf. In meinen Augen waren Tränen als ich die geschundene Gestalt Wolfs anblickte. "Du darfst jetzt nicht reden. Tu mir den Gefallen und schweig. Du musst deine Kräfte sammeln, wir müssen alle von hier fliehen!"
Ich schaffte es die ersten zwei Gurte durchzuschneiden.
"Sind die anderen auch frei? Ist jemand verletzt? Sind alle in Ordnung?"
Seine braunen Augen musterten mich voller Sorge. Ich wollte ihm nicht sagen, dass die anderen noch nicht befreit waren. Wenn er das wüsste, würde er sich niemals freiwillig helfen lassen. Für ihn kamen immer zuerst die anderen.
Also lächelte ich und meinte: "Elfe und ich sind hier um euch zu befreien. Alles ist gut."
"Die anderen? Sind sie schon draußen!?", Wolfs Stimme war nun drängender. Er versuchte sich aufzusetzen, während ich mich an der letzten Halterung an seinen Füßen zu schaffen machte. Seine normalerweise schokoladenfarbene Haut bekam langsam einen Graustich.
"Alles ist gut! Außer du stirbst mir hier weg! Du musst durchhalten!"
Wolf lächelte. "Gut.", meinte er erleichtert und ich schämte mich in meinen Inneren so, dass ich ihn, der immer ehrlich zu mir gewesen war und der mir immer neuen Mut zugesprochen hatte, hinters Licht führen musste. Endlich löste sich der letzte Gurt. Ich versuchte meine zitternden Hände zu verbergen. Doch je mehr ich es versuchte, desto stärker wurde der Druck in mir, bis mir schließlich dicke Tränen über das Gesicht rannten. Ich half Wolf sich aufzusetzen, so dass seine Füße nun den Boden berührten und er jederzeit aufstehen konnte. Doch er zögerte noch einen Moment. Er streckte seine Hand aus und wischte meine Tränen weg. Dann lachte er, doch sein Lachen wurde schnell zu einem Husten mit schmerzverzerrtem Gesicht. "Hey, schau mich an."
Ich blickte in sein schmerzverzerrtes Gesicht auf, dem trotzdem ein Lächeln anzusehen war. Seine Augen blitzten schelmisch auf. "Du musst dir keine Sorgen machen. Alles ist gut. Diese Verletzungen werden mich nicht umbringen."
Ich nickte und schniefte. Ich glaubte Wolf. Er würde die Tatsachen nicht herunterspielen.
"Allerdings habe ich eine Bitte an dich."
Erstaunt sah ich ihn an. "Eine Bitte?"
"Ja. Sie ist für mich sehr wichtig und du musst mir versprechen, dass du sie erfüllen wirst." Seine Augen waren ernst und es strengte ihn sichtlich an zu sprechen.
"Nicht jetzt! Lass mich dich erst hier herausbringen, dann können wir immer noch reden!"
Doch Wolf schüttelte den Kopf: "Ich muss es dir jetzt sagen. Genau hier. Ich weiß nicht warum, doch irgendetwas in meinen Inneren zwingt mich dazu. Kannst du das verstehen?"
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Ahnung von was Wolf da sprach.
"Na auch egal", meinte er mit einem Schulterzucken, dass er bereute, denn sofort lief etwas mehr rotes Blut aus den offenen Wunden an seinem Oberkörper. "Jedenfalls, falls mir etwas zustößt musst du mir versprechen, dass du dich um die Gruppe kümmern wirst."
Ich schüttelte den Kopf: "Dir wird nichts passieren Wolf!"
"Es kann mir jederzeit etwas passieren."
"Wir brauchen dich!", rief ich aus.
Wolf schüttelte den Kopf: "Ihr braucht jemand der die Gruppe zusammenhält. Wenn ich nicht mehr da bin, wirst du für die anderen sorgen müssen."
"Sicher, dass ich die richtige Person bin? Ich bin doch viel zu schwach!"
Wolf wollte schallend lachen, doch daraus wurde ein verdrossenes Kichern als der Schmerz ihm zusetzte: "Du bist nicht schwach, aber ich weiß was du meinst. Der Anführer der Truppe muss nicht unbedingt der Stärkste, Schlauste und Schnellste sein. Er braucht Talente, die da drinnen sind." Wolf deutet auf meine Brust.
"Wie meinst du das?"
"Sieh her. Ich bin derzeit, derjenige der die Gruppe zusammenhält, ständig kommandiere ich euch herum..."
"Du kommandierst uns nicht herum!", fiel ich ihm ins Wort.
"Keine Unterbrechungen bitte.", meinte Wolf schwach. Es ging ihm anscheinend wirklich schlechter als er zugeben wollte, doch ich tat ihm den Gefallen und schwieg. "Ich bin nicht der Schlauste von uns, Himmel nein, wenn ich das was Einstein im Kopf hätte besäße, dann wäre ich nicht ich. Dann wäre alles auf der Welt mit einem Male viel zu kompliziert. Ich bin auch nicht so elegant, anmutig und perfekt im Rollen spielen wie Elfe. Sie kann einfach jeden verzaubern und alle tun das, was sie will. Außerdem überleg mal ich hätte einen Körper wie sie, dann wäre ich sicher irgendein berühmter Promi und säße nun bei einem Glas Champagner in einer Villa und nicht hier."
Das Lachen unterließ er diesmal, doch ein schwaches Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. „Ich bin auch nicht so stark wie Bär. Im Gegenteil, der Kerl könnte mich im Armdrücken mit der linken Hand besiegen. Auch bin ich nicht so listig, gewieft und so gut mit Fallen und Giften wie Schlange und im Gegensatz zu dir schaffen es diese Viecher der Nacht immer wieder, dass ich das tue was sie wollen."
Ich fragte nicht nach, woher er wusste, dass ich gegen die Verführung immun war, sondern hörte ihm weiter zu. Die Zeit wurde langsam knapp, doch ich schaffte es einfach nicht ihn zu drängen.
"Ein Anführer muss allerdings die Fähigkeit haben sein Team zusammenzuhalten. Er muss für sie Sorgen und ein Anker der Hoffnung für alle sein. Er muss mit allen zurechtkommen, denn er ist auch für die Beziehungen unter den Teammitgliedern zuständig. Diese Aufgabe kannst nur du übernehmen. Dein Herz ist groß genug um uns alle darin doppelt und dreifach aufzunehmen. Es ist bereits passiert. Du hast den Mut einer Löwin, wenn es darauf ankommt andere zu beschützen und die anderen achten dich und vertrauen dir als Menschen. Jeder würde bedingungslos sein Leben dir anvertrauen und du würdest sie alle mit Händen und Klauen und jeglichen Waffen der Welt beschützen. Das ist etwas was man als Anführer auch braucht. Ein Anführer muss nicht alle Dinge selbstständig tun, doch er muss immer ein Ohr für seine Teamkollegen offen haben. Lausche Einsteins weisen Worten, leihe dir Bärs Stärke, vertraue Elfe in zuerst unmöglich scheinenden Situation und nutze Schlanges Gerissenheit, dann seid ihr unschlagbar. Doch merke dir eins. Ein Anführer muss immer Hoffnung symbolisieren. Er muss sein Team aus den Dreck ziehen, wenn es einmal hart auf hart kommt. Er ist derjenige der den letztendlich Plan absegnet und dann die Befehle gibt, wenn jeder andere zögert es aber notwendig ist zu handeln. Er ist derjenige, der die Wunden, ob nun seelischer oder körperlicher Natur, jedes Teammitglieds und auch die eigenen bemerken muss und sich darum kümmert, dass sie verheilen. Verstehst du? Versprich mir, dass wenn ich nicht mehr da bin, dass du diese Aufgaben übernimmst. Lass Team 10 nicht im Stich."
Ich wollte ablehnen, mich vor der Verantwortung drücken, denn das war Wolfs Platz und keiner konnte ihn ersetzen. Niemand konnte das, doch dann schoss mir sein letzter Satz durch den Kopf und mir wurde klar, dass ich eigentlich gar keine Wahl hatte. Ich konnte mein Team nicht im Stich lassen. Würde Wolf tatsächlich nicht mehr bei uns sein, würde ich gar nicht anders können als die Aufgaben zu übernehmen, die er mir gerade gesagt hatte.
Also blickte ich in Wolfs ernste Augen und nickte ihm entschlossen zu: "Ich werde diese Aufgaben übernehmen, wenn du nicht mehr da bist."
Er nickte grimmig. "Gut, lass uns jetzt gehen!" Mit meiner Hilfe stand Wolf auf.
Da ertönten auf einmal schnelle Schritte, die zielstrebig auf uns zu liefen. Ängstlich schaute ich mich nach einem Ort um, wo wir uns verstecken könnten, doch so etwas gab es in diesem Raum nicht. Also stellten wir uns neben die Türe und warteten angespannt.
"Ich schwöre es euch!", hörte ich da auf einmal eine vertraute Stimme sagen. "Aus diesem Zimmer kamen Kampfgeräusche!" Das war Schlange!
"Bist du sicher?", brummte Bär.
"Natürlich bin ich das!"
"Die Lage des Zimmers ist optimal um als Verhörraum benutzt zu werden, besonders wenn man Folter oder dergleichen verwenden will. Es ist nah genug bei den Zellen, sodass ein Transport leicht möglich ist, doch weit genug entfernt um den Gefangenen ein Gefühl von Isolation und Alleinsein zu vermitteln. Außerdem ist der Ort außerhalb der großen Gänge, weswegen unbefugtes Personal sich nicht so schnell hierher verirren sollte.", hörte man nun Einstein sagen.
"Ich will deine Meinung ja nicht anzweifeln, doch diesmal hoffe ich inständig, dass du dich in einer Sache irrst. Wenn Wolf Folter durchstehen musste..." Elfe brach ab.
"Hörst du sie?", fragte ich Wolf aufgeregt. "Sie sind auf den Weg zu uns."
Wolf nickte schwach. Ihm fiel es sichtlich schwer auf den Beinen zu bleiben. Mittlerweile war sein Gesicht grau, auch wenn man das dank seiner sehr dunklen Haut, nicht so deutlich bemerkte wie bei heller Haut.
Da stürmten auch schon die anderen vier durch die noch immer offene Tür. Als sie Wolf sahen wurden ihre Blicke sofort ernst.
"Wie schlimm ist es?", fragte Elfe sofort.
Wolf meinte: "Geht schon", doch Einstein, der gerade einmal einen kurzen Blick auf Wolf geworfen hatte und ich antworteten gleichzeitig: "Er braucht dringend ärztliche Hilfe."
Elfe nickte und schien für einen Moment zu überlegen. "Wie sollen wir ihn am besten hier rausbringen?"
"Wir könnten einen Feueralarm inszenieren.", meinte Einstein. "Dann gibt es ein großes Durcheinander, durch dass wir entkommen könnten."
Wolf nickte, doch wir alle funkelten ihn wütend an und zischten gleichzeitig: "Beweg dich nicht!"
Wolf schien Lachen zu wollen, doch angesichts unserer wütenden Gesichter und den Schmerzen die ein Lachen zu Folge haben würde, verhielt er sich lieber ruhig.
"Ich werde ihn tragen", brummte Bär.
Wir alle nickten, doch Wolf stritt es sofort ab. "Du wirst mich stützen und erst wenn wir rennen müssen tragen. Du bist zwar stark, aber mit mir auf den Schultern zu rennen wird kein Kinderspiel."
"Vielleicht hast du da recht.", brummte Bär. „Hättest wenigstens ein bisschen Diät vorher machen können, wenn du dich zamschlagen lässt."
"Gut, wie lösen wir jetzt den Feueralarm aus?", fragte ich um auf das Thema zurückzukommen.
"Lass das mal meine Sorge sein. Ich habe draußen einen Rauchmelder gesehen.", meinte Einstein sofort.
Alle nickten und einer nach dem anderen gingen wir nach draußen. Wir alle schwiegen und in unserem Herzen brannte dieselbe Sorge. "Was wenn Wolf nicht durchkäme?"
Auf einmal hörte man Bär aufschreien.
Blitzschnell drehten wir uns um. Wolf hatte ihn aus der Tür hinausgetreten und Bär stolperte nun erschrocken durch den Gang und fiel hin. Wir alle waren zu erstaunt um zu handeln. Der Mann, den ich KO geschlagen hatte, war wieder auf den Beinen und in der einen Hand hielt er eine entsicherte Granate.
"Rennt!", befahl Wolf, doch natürlich tat keiner das. Wir alle wollten uns auf ihn stürzen und ihn zur Seite zerren, doch in diesem Moment warf der Mann die Granate. Irgendwie schaffte es Wolf sie mit der Hand zurückzuschlagen, als wäre die Granate ein Baseball und seine Hand ein Schläger. Die Granate explodierte in der Luft.
Rauch, Lärm und der Geruch von Verbrannten erfüllte sofort den ganzen Raum. Die spitzen Teilchen der Granate schwirrten mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit durch das gesamte Zimmer. Der Körper von Wolfs Peiniger wurde getroffen. Er zuckte umher und fiel aus unzähligen Wunden blutend zu Boden. Wolf taumelte rückwärts. Sein Körper hatte den Weg zum Gang größtenteils versperrt. Dank ihm waren wir verschont geblieben. Nun fiel er langsam nach hinten um. Eine laute Sirene setzte ein, doch wir ignorierten sie. Einzig und allein Wolf zählte. Gemeinsam fingen wir ihn auf, bevor sein Körper noch mehr Schaden erleiden musste. Wolfs Atem ging nun keuchend und aus seinem Mund tropfte Blut. Viele Metallstücke hatten sich in seinen Brustkorb gebohrt und es war gut möglich, dass seine Lungen beschädigt waren.
"Du musst durchhalten!", schrie Elfe.
Bär packte den großen Leib von Wolf ohne zu zögern und rannte los. Wir rannten neben ihnen her. Ich direkt bei Wolfs Kopf. Seine braunen Augen blickten mich wissend an. Er spuckte Blut und murmelte: "Vergiss dein Versprechen nicht." Dann schloss er seine Augen.
"Bleib bei uns!", schrie Elfe ihn an und wir rannten noch schneller.
"Wolf halte durch! Verdammt nochmal!", fluchte ich und betete zum Himmel, dass wir rechtzeitig Hilfe für ihn bekommen würden.
Aus den Chroniken der Tagwandler - Ein Bericht eines späteren Ratsmitglied:
Es ist so viel passiert. Ich war eine Ewigkeit in dem Kerker eingesperrt gewesen. Ich dachte, ich müsste vor Schmerzen verrückt werden, die mir jede Nacht zugefügt worden waren. Noch jetzt jagt mich das Geräusch der sirrenden Peitsche, wenn sie durch die Luft schneidet, in meinen Träumen und ich wache gefolgt von Krämpfen und dem Aufknall der Peitsche auf. Meine Wunden am Körper sind längst verheilt, doch die in meinem Geiste werden es wohl nie oder erst nach Jahrhunderten. Ich bin so erleichtert, dass man mich gerettet hat. Ich danke jeden Tag für die glückliche Wendung des Schicksals, doch ich habe den Willen verloren weiterhin für die Menschen mit meiner Stimme einzustehen. Ich habe Angst.
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Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler Reihe
VampireUmgeben von der Dunkelheit, gefangen in den Armen eines Vampiroberhaupts und vermählt mit dem Tod, der sie auf Schritt und Tritt begleitet. Kates gesamtes Leben wurde in ein blutiges, dunkles Sein gerissen und sie steht mit all den zerbrechlichen Ho...