Endlich - 1

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Wir trafen uns alle wieder auf den großen geteerten Platz in der Mitte des Camps. Jeder von uns wirkte etwas angekratzt und hatte wahrscheinlich die ein oder andere kleinere Verletzungen, doch allen schien es so weit gut zu gehen. Jedenfalls hoffte ich das, da die Sonne nun endgültig untergegangen war und der Mond am Himmel nicht besonders viel Licht hergab, war es schwer eine genaue Aussage zu machen. Da jedoch niemand hinkte, keuchte oder laut vor Schmerzen aufstöhnte, hoffte ich Recht zu behalten. Der Sergeant trat vor uns. Ein Glitzern in seinen Augen verriet, dass er sich auf etwas freute. Ob das ein gutes oder eine schlechtes Zeichen für uns war, würde sich wohl gleich zeigen.
„Ihr werdet nun in die zweite Phase eurer Ausbildung kommen. Um euch zu gratulieren, dass ihr die erste gemeistert habt und euch in der neuen zu begrüßen, ist unser Oberhaupt extra angereist. Dies ist eine sehr große Ehre, die seit mehreren hundert Jahren keinen Auszubildenden mehr zuteil geworden ist. Ich verlange, dass ihr euch perfekt verhaltet! Verstanden?!"
„Jawohl Sir!", antworteten wir alle gleichzeitig.
Ein kurzes Schweigen setzte ein, dann hörte man wie sich die Tür des zweistöckigen Hauses öffnete. Wir lauschten wie sie wieder ins Schloss fiel und wie das Geräusch von sicheren Schritten abgelöst wurde, die geschmeidig auf uns zukamen. Niemand wagte es den Kopf zu drehen, um sich das Oberhaupt der Vampire anzusehen. Wie würde er wohl aussehen? War er groß, wahrscheinlich riesig. Sicherlich schaute er immer grimmig drein, oder nicht? Ob er einen Bart hatte? Trug er eine Sonnenbrille? Was tat das denn jetzt zur Sache?
Dann trat der Mann hervor. Uns stockte der Atem, doch im Gegensatz zu den anderen ließ ich die Luft in meinen Lungen kurz darauf zischend wieder entweichen. Ein wütender Blick vom Sergeant brachte mich rasch wieder zum Schweigen. Aber was zum Kuckuck macht er denn hier?! Ich wusste ja, dass er große Macht besitzen musste, aber ihn hier zu sehen?!
Damian stand stolz und mit strenger Miene vor uns. Er musterte jeden einzelnen genau, so als suche er in uns etwas.
„Ich bin Damianos, das Oberhaupt der Vampire", erklärte er mit seiner tiefen Stimme, die in meinem Inneren vibrierte. Damianos? Was war das denn für ein Name? Kein Wunder das er sich lieber Damian nannte, der andere war einfach zu auffällig.
„Ich bin hierhergekommen um mir eure Fortschritte selbst anzusehen und mir ein Bild von euch zu machen. Ihr alle seid sehr talentierte Leute mit besonderen Fähigkeiten." Sein Blick blieb an mir hängen und ich verlor für einen Moment jegliches Zeitgefühl. Seine granitgrauen Augen blickten tief in die meinen und ließen mich die Welt um uns herum vergessen. Wie lange hatte ich ihn nicht mehr gesehen? Etwa vierzehn Tage und doch fühlte es sich jetzt wie eine halbe Ewigkeit an, wen ich darüber nachdachte. Er war also das Oberhaupt der Vampire... Ich war geschockt, doch was hätte ich anderes erwarten sollen? Die Ausstrahlung jeden herumkommandieren zu können und die Aura von Macht um ihn herum, hatte ich doch längst bemerkt. Aber dass er ein so hohes Tier war, hätte ich nicht gedacht.
„Die zweite Etappe eurer Ausbildung wird nicht nur schwieriger, sondern auch blutiger." Was redete er da? Und wieso waren seine Augen immer noch auf mich gerichtet?
„Sie ist zudem die letzte, die als Team abschließen werdet. Danach wird jeder einen speziellen Lehrmeister bekommen, der ihn in die Welt der Vampire und in seine spezielle Arbeit einweist."
Wie seine Lippen diese Worte formten... Für einen Moment schaute er auch die anderen an und ich konnte sein langes schwarzes Haar betrachten. Es war wieder zusammengebunden, doch der Wind, der über den Platz peitschte, versuchte es aus dem Zopf zu lösen. Mehrere Strähnen fielen ihm über die Schulter, doch er machte sich nicht die Mühe sie wieder zurück zu streichen, sondern sprach weiter: „Ich werde nun mit jedem ein einzelnes Gespräch führen, bei dem wir uns gemeinsam noch einmal die Fortschritte der letzten zwei Wochen anschauen und überlegen welche Position am sinnvollsten für ihn in der Gesellschaft der Nacht wäre. Zudem werde ich euch kurz etwas über Vampire erzählen, was ich jedoch mit jedem lieber einzeln besprechen möchte." Ein Mondstrahl fiel nun genau auf sein schwarzes Haar und glitt daran herab. Ich wünschte ich könnte das silbrige Licht berühren, es mit meinen Händen auffangen. Beinahe hätte ich einen Schritt nach vorne gemacht, als ich mich wieder fasste. Was in Gottes Namen tat ich? Er war das Oberhaupt der Vampire! Er hatte mich in diese Lage hier gebracht und ich wollte ihm über das Haar streichen um einen Mondstrahl einzufangen?! Ernsthaft! Was geschah bitte mit mir?! Doch es schien als habe mich die Zeit, in der wir getrennt waren, noch empfindlicher für ihn werden lassen. Ich konnte es kaum erwarten mit ihm sprechen zu dürfen. Das Verlangen in meinem Inneren war so groß! Doch was genau wollte ich von diesem gefährlichen Mann? Nein, von diesem raubtierhaften, arroganten, ekelhaften, so eleganten, eingebildeten, anmutigen, wunderschönen Vampir?
Statt Damians tiefer Stimme erklang nun der scharfe Ton des Sergeants: „Wolf, Bär, Schlange, Elfe, Einstein, Polarfuchs. Dies ist die Reihenfolge in der ihr aufgerufen werdet. Solange ihr nicht an der Reihe seid, bleibt ihr in eurer Unterkunft. Diejenigen die mit dem Vampiroberhaupt Damianos sprechen dürfen, müssen in das Haus dort drüben gehen. Wenn man mit der Besprechung fertig ist, holt man die nächste Person die an der Reihe ist, verstanden?!"
„Jawohl Sir!", antworteten wir alle gleichzeitig.
Damian, aus irgendeinen Grund wollte ich ihn nicht Damianos nennen, nickte zufrieden. Für einen Moment blickten mich seine granitgrauen Augen noch an, dann wandte er uns den Rücken zu und ging davon. Wolf und der Sergeant folgten ihm. Ich schmeckte auf einmal Blut und bemerkte, dass ich mir fest auf meine Unterlippe gebissen hatte. Natürlich hatte Damian mich nicht vor all den anderen Ansprechen können, aber irgendwie hatte ich Angst, dass er mich vergessen hatte, dass ich ihm egal war. Wieso sonst hätte er sich so lange nicht mehr blicken lassen sollen? Anderseits hatte seit Ewigkeiten kein Oberhaupt der Vampire die Auszubildenden besucht. War er also doch wegen mir gekommen? Hatte er vielleicht eine Nachricht von Jane für mich? Oder war es einfach sein neues Konzept um die Motivation der Auszubildenden zu erhöhen?

Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt