Hindernisparcour - 2

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Ich fühlte mich zutiefst gerührt. „Danke", krächzte ich hervor, denn meine Stimme versagte. Als ich mich räusperte und erneut: „Danke", diesmal mit festerer Stimme sagte, war der Spuk gebrochen. Wir grinsten uns alle dumm an und mir wurde bewusst, dass ich diesen gefährlichen Leuten vertraute. Ich konnte sie in keine Gruppe einordnen. Wir wirkten ein bisschen wie Arbeitskollegen, Freunde und Familie zu gleich, doch nichts von alldem passte ganz auf uns zu. Aber es stand fest, dass wir mit jeder Aufgabe immer weiter zusammenwuchsen.
„Es tut mir ja sehr leid euer trautes Beisammensein zu unterbrechen, doch wir haben heute noch etwas vor! Aufstehen, Teller abgeben, bringt alle Sachen, die ihr nicht unbedingt braucht, zurück in eure Schränke und dann zack, zack aufstellen auf dem Platz! Ich will Rekordzeiten sehen!", schrie der Sergeant und wir alle taten ohne zu zögern, was er sagte.
In Windeseile standen wir perfekt auf den Platz und der Sergeant konnte mit der heutigen Tagesrede anfangen: „In zwei Wochen steht die erste Prüfung an. Ihr habt euch hier auf diesem Platz halb zu Tode geschunden, doch dies ist nicht die Realität. Die Realität befindet sich dort draußen." Er deutete auf den großen Nadelwald, der sich hinter dem hohen Zaun erstreckt. „Ihr alle werdet heute eine Prüfung ablegen, damit wir sehen können, ob ihr wirklich bereits geeignet seid für den nächsten Schritt. Wir haben dort draußen einen Hindernisparcour für euch aufgestellt. Man wird mit ihm eure körperliche Stärke, eure Ausdauer, euren Gleichgewichtssinn, eure Zielsicherheit und auch eure Teamfähigkeit testen. Ich möchte euch bereits jetzt sagen, dass jedes Hindernis überwacht wird. Ihr müsst jedes einzelne fehlerfrei bestreiten um weiterzukommen. Folgt mir in zweier Reihen!"
Sofort stellten wir uns auf. Bär und Wolf gingen direkt hinter dem Sergeant, dann kamen Schlange und Elfe und schließlich Einstein und ich.
Mein Herz begann wie verrückt zu pochen. Seit einer Ewigkeit hatte ich nichts anderes als dieses Camp mitten im Nirgendwo gesehen. Endlich würde ich wenigstens ein bisschen die Umgebung erkunden können. In einem flotten Marsch zogen wir aus dem Trainingscamp hinaus. Wir folgten einer schmalen Schotterstraße, die einen scharfen Bogen mitten durch die dichten Tannen schlug. Wie die Wachen auf dem Wehrgang in diesem Dickicht Eindringlinge ausmachen sollten, war mir schleierhaft, doch wenigstens war das etwas, womit ich mich nicht herumschlagen musste. Wir gingen weiter. Mittlerweile hatten wir wohl etwa zwei Kilometer zurückgelegt. Keiner brach aus der Laufformation aus. Selbst Einstein und ich waren nicht hinter die anderen gefallen. Die zwei Wochen intensivsten Trainings zeigten wohl scheinbar die ersten Erfolge. Ich wollte weiter über meine Veränderung nachdenken, als wir auf Stacheldraht stießen. Er befand sich etwa auf Kniehöhe und versperrte und den Weg.
Der Sergeant hielt an. „Ab hier beginnt euer Parcour. Ihr werdet gemeinsam starten. Jeder der in das Ziel kommt, darf an der weiterführenden Prüfung teilnehmen. Der Rest muss zwei weitere Wochen im Camp verbringen."
Ich biss mir auf die Unterlippe. Zwei volle Wochen Zusatztraining im Camp das waren harte Worte. Ich hatte das Training noch längst nicht vollkommen gemeistert, ganz im Gegenteil nicht einmal ansatzweiße, doch auf keinen Fall durfte ich zwei unnötige Wochen mehr hier verbringen. Was hatte Jane in der vergangenen Zeit nun schon alles erleben müssen? Ich musste diese vermaledeite Prüfung bestehen! Ich blickte in die Gesichter der anderen, die ebenso entschlossen aussahen wie ich. Keiner würde freiwillig aufgeben. Jeder würde bis zum bitteren Ende kämpfen.
„Auf die Plätze!", schrie der Sergeant „Fertig! - Los!"
Anstatt sofort einzeln loszurennen, gab Wolf die Befehle: „Okay! Hört kurz zu. Wir versuchen das hier als Team zu meistern, dann haben wir mehr Chancen. Als erstes robben wir unter dem Stacheldraht hindurch. Diejenigen die bereits fertig sind, helfen am Ende den anderen. Ich gehe vor, dann kommt Schlange, Elfe, Polarfuchs und Einstein. Bär du machst das Schlusslicht. Du musst besonders vorsichtig sein, da du mitunter einer der größten von uns bist, somit bleibst du auch am schnellsten hängen."
Keiner sprach aus, dass Bär als letztes gehen musste, damit falls er stecken blieb, niemand anderes zurückbleiben musste. Die ersten drei schafften die Übung in Rekord verdächtiger Zeit, dann legte ich mich flach auf den Boden. Kleine Kieselsteine versuchten sich durch meine Kleidung zu bohren, als ich mich voranzog. Im Gegensatz zu meinen Vorgängern konnte ich nicht meine Beine zu Hilfe nehmen, da ich nicht abschätzen konnte wie weit ich mich aufrichten durfte. Also winkelte ich meine Unterarme an und legte diese vor meinen Kopf. Erst zog ich den rechten, dann den linken zu mir und dann wiederholte ich das Ganze in einem stetigen Rhythmus. Es dauert länger als bei den anderen zuvor, doch auch ich erreichte das Ende nach einer halben Minute. Als ich dort angekommen war, streckte mir Elfe die Hände entgegen. Ich dachte gar nicht daran, dass ich ihr somit die Möglichkeit gab mich gegen den Stacheldrahtzaun zu drücken, sondern nahm die Hilfe einfach an. Ich vertraute ihr.
„Und heps!", meinte sie und zog mich tief am Boden ein ganzes Stück vor, sodass nun mein gesamter Körper außerhalb des Zaunes war.
Wolf packte mich um die Taille und hob mich mit einem breiten Grinsen hoch. „Du hast dich verbessert", erklärte er mit seiner tiefen Stimme lächelnd und ich grinste ihn an.
„Selbst ich kann mich verbessern."
Einstein war nun ebenfalls fast am Ende. Die anderen überließen es mir ihn unter dem letzten Stück Stacheldrahtzaun hervorzuholen. Ich machte mir einen Spaß daraus ihn zu ziehen und mich dabei lauthals über sein „beträchtliches" Gewicht zu beschweren.
Schlange reichte Einstein daraufhin die Hand und half ihm beim Aufstehen. Er klopfte dem schlaksigen Kerl auf die Schulter als er stand und erklärte: „Mach dir nichts über ihre Bemerkung. Sie ist nur eifersüchtig, dass du leichter bist als sie."
Ich streckte ihm die Zunge heraus und Elfe sprang ein: „Wenigstens hat sie ihr Gewicht deswegen, weil sie die richtigen Rundungen hat. Ihr beide wirkt ja nur wie zwei langweilige Striche in der Landschaft."
Alle lachten, doch Wolf warnte uns, dass wir uns wieder auf den Parcour konzentrieren mussten. Bär schaffte ebenfalls das erste Hindernis ohne Probleme. Gemeinsam zogen wir ihn das letzte Stück und Wolf reichte ihm die Hand zum Aufstehen.
Die erste Hürde war überwunden. Ich wäre den Schotterweg weiter entlanggegangen, hätte Einstein uns nicht zurückgehalten. Er deutet auf einen Baum. Hoch oben hatte man einen Pfeil mit grüner Farbe auf die braune Rinde gemalt.
„Ich schätze der ist für uns."
Wolf klopfte ihm auf den Rücken. „Gut gemacht", dann wandte er sich wieder uns allen zu. „Haltet Ausschau nach solchen Pfeilen."
Im Zickzack jagten wir in der Wildnis umher. Ich hatte längst den Orientierungssinn verloren, doch Einstein schien genau zu wissen, wo wir uns befanden. Ohne ihn hätten wir auch niemals alle Pfeile gefunden.
Als nächstes kamen wir zu einer Grube, die bis obenhin mit Matsch gefüllt war. Auf diesem Matsch waren mehrere Bretter. Einige der Holzteile waren kleiner als ein Fuß mit der Schuhgröße 38, andere waren ungefähr so groß wie das Dach eines Autos.
Einstein hielt uns zurück: „Einige Bretter sind befestigt, andere wiederum nicht. Sie werden wohl in den Matsch sinken, wenn wir auf sie treten."
„Kannst du uns sagen, welche befestigt sind?", fragte Wolf grimmig.
„Ich kann es versuchen..." Einstein runzelte bereits die Stirn und lief vor der Grube auf und ab, legte sich auf den Boden und musterte jedes noch so kleine Detail an den Brettern.
„Ich glaub ich habe eine sichere Strecke. Allerdings werde ich es wohl nicht schaffen sie einfach entlang zu gehen, um sie euch zu zeigen."
„Kannst du uns lotsen?", fragte Elfe.
„Das dürfte kein Problem sein." Einstein klang sehr sicher.
„Dann geh ich vor", meinte sie mit einem entschlossenen Nicken.
„In Ordnung", gab Wolf sein Einverständnis.
Einstein beschrieb die Strecke genau und Elfe hörte aufmerksam zu, bevor sie sich startbereit machte.
Bei den ersten Brettern hatte sie kein Problem, doch dann wurde sie sich unsicher welche weiteren Holzstücke Einstein gemeint hatte. Mit geschickten Worten leitet der kleine Schlaumeier der Gruppe sie weiter. Einige der Bretter, über die sie musste, waren sehr klein, aber es waren auch einige große dabei. Ohne einen guten Navigator hätte man wohl kaum einen Weg durch den Schlamm gefunden.
Als Elfe sicher auf der anderen Seite war, packte sich Wolf Einstein und legte ihn über seine Schulter.
„Du schaffst das doch, oder?", fragte der Anführer noch mich und blickte mich dabei aus seinen dunklen Augen scharf an, so als wolle er mir sagen, dass ich mich jetzt bloß nicht selbst überschätzen sollte.
Ich schaute mir die Strecke noch einmal genau an, dann nickte ich. Es war zwar nicht Zeit für Heldenmut, doch ich traute mir dieses Hindernis schon zu.
Wolf war zwar weniger elegant und flink wie Elfe und brauchte auch bei weitem länger für die Strecke, doch er schaffte es. Auch Einstein ließ er sicher auf der anderen Seite herab. Ich hatte nicht einmal Angst gehabt er könnte in den Schlamm fallen. Schlange folgte den beiden mühelos.
„Geh du vor", brummte Bär.
„Bist du sicher?", fragte ich nach.
„Ganz sicher Polarfuchs. Wenn ich gehe ist es nicht sicher gesagt, dass diese mickrigen Teile halten."
Er klang nicht wirklich zuversichtlich. Mir fiel wieder ein, wie Elfe den Brummbär einmal motiviert hatte. Mit einem leichten Grinsen beschloss ich es ihr Gleichzutun.
„Beugt dich mal zu mir hinunter", forderte ich ihn auf.
„Wieso?", fragte Bär, doch er tat es bereits.
Ich küsste ihn flüchtig auf die Wange und spürte wie seine Bartstoppeln leicht stachen als ich mich schnell zurückzog.
Bär wurde knallrot und stolperte einen Schritt nach hinten.
„Ein Viel-Glück-Kuss", erklärte ich mit einem Augenzwinkern und einem breitem Grinsen. Dann machte ich mich sofort auf den Weg, damit Bär mich ja nicht zu fassen bekam.
Das Hindernis erforderte meine gesamte Konzentration und elegant war wohl das Gegenteil von mir. Meine Arme wedelten wie Windräder in der Luft, als ich von einem Brett zum anderen sprang. Der Sprung zum sicheren Rand der Grube war am größten. Ich ging in die Knie und stieß mich ab, doch meine Kraft schien nicht auszureichen. Angst durchflutete mich, doch Wolf packte mich gerade noch so am Kragen meiner Jacke und zog mich mühelos zu ihnen hoch, sodass ich mich wirklich für einen Moment wie ein kleines pelziges Tier fühlte.
Bär schaffte das Hindernis mit rotem Kopf besser zu meistern als ich zuvor. Keins der Bretter unter seinen Füßen gab unter ihm nach. Sie waren wohl alle wirklich gut befestigt.

P.S: Ich hoffe diesmal bleiben die Leerzeichen drinnen^^°

Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt