Zwillinge - 3

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„Hey, Polarfuchs!"
Ich blickte von meinem Tagebuch auf. Elfe stand vor mir und sah sehr besorgt aus.
„Was ist denn los?"
„Wir haben ein Problem, ein sehr großes Problem", erklärte sie und wirkte dabei sehr verspannt.
„Aha?", meinte ich leicht verwirrt. Wieso sagte sie nicht einfach was unser Problem war? Wir hatten doch ständig irgendwelche und normalerweise mussten sie immer schnell gelöst werden. Es sah Elfe gar nicht ähnlich wie die Katze um den heißen Brei zu schlendern.
„Am besten du kommst mit zum Sergeant. Er wird dir noch einmal alles genau erklären."
„In Ordnung..." Ich legte das Tagebuch und den Bleistift zurück in den Kleiderschrank, dabei fühlte ich wie mein Herz anfing zu hämmern und Adrenalin in mir hochschoss. Irgendwie machte mich das Schweigen von Elfe nervöser, als wenn sie in die Baracke gestürmt wäre mit Anweisungen. Wo waren überhaupt die anderen? Sie waren heute früh gegen vier, also noch vor Sonnenaufgang vom Sergeant abgeholt worden.
Wir gingen hinaus ins Freie. Mittlerweile war es dort so kalt, dass wir trotz Softshelljacken sofort anfingen zu zittern. Das dünne Jäckchen half rein gar nichts gegen die eisige Macht hier draußen. Der gefrorene Boden unter unseren Füßen knirschte, als wir zu den von Raureif überzogenen braunen Platz liefen, wo der Sergeant schon wartete. Er sah uns beide mit ernstem Blick an, doch irgendetwas lag in seiner Miene, was ich nicht wirklich deuten konnte. War er etwa nervös? Wir stellten uns vor ihm auf, versuchten das Zähneklappern zu unterdrücken und meldeten uns „einsatzbereit". In Wahrheit waren weder Elfe noch ich einsatzbereit. Es war zwar unsere Pflicht dies jederzeit zu sein, aber die Wahrheit sah vollkommen anders aus, zumindest konnten wir mit unseren Worden den Schein halbwegs wahren.
„Heute steht eine weitere Prüfung vor euch beiden. Die anderen aus eurem Team wurden in einer nahen Stadt gefangen genommen. Der Mann der sie gefangen hält, ist ein berühmt berüchtigter Drogenhändler. Seiner Meinung nach haben Wolf und die anderen in seinem Gebiet gewildert, als sie sich dort herumschlichen, Fragen über ihn stellten und Waffen verkauften. Ihr müsst sie befreien."
Ich starrte den Sergeant ungläubig an. Wie sollten wir denn bitte diesen Auftrag erfüllen? Wir hatten nicht einmal eine Ahnung wie der Typ hieß, der sie gefangen genommen hatte, geschweige denn wo genau er sich befand.
„Ihr beide habt den ganzen Tag Zeit um euch fertig zu machen. Es werden euch alle Mittel und Informationen zur Verfügung gestellt, nach denen ihr fragt. Um acht Uhr wird man euch in das Revier des Drogenbarons bringen und um etwa 21 Uhr werdet ihr dort ankommen und eure Operation beginnen können. Viel Erfolg."
Was zum Teufel hatten Wolf und die anderen in dem Gebiet eines Drogenbosses gemacht? Und warum hatten sie dort bitte Waffen verkauft? Es war klar, dass man gewollt hatte, dass sie gefangen genommen werden. Wer hatte ihnen diesen Auftrag genau befohlen? Steckte wirklich der Sergeant dahinter? Ich wollte ihm schon nachlaufen und ihn diese Fragen an den Kopf werfen, doch Elfe hielt mich zurück.
„Nicht. Es hat eh keinen Sinn und wir haben nicht mehr viel Zeit. Es sind bis 20 Uhr noch etwa 12 Stunden, das ist nicht gerade viel. Komm wir gehen in den Essensraum. Wir müssen uns überlegen wie wir die anderen dort rausbekommen können."
Zähneknirschend gab ich ihr Recht. Doch ich hatte nicht einmal eine Idee wie wir so eine Rettungsaktion auch nur Ansatzweiße starten konnten.
Zu meinem Erstaunen holte sich Elfe als erstes die Frühstückspampe und setzte sich an einem Tisch als sei alles in bester Ordnung. Ich tat es ihr gleich, auch wenn ich nicht wirklich Hunger hatte. Als wir gegenüber an dem Tisch saßen und das Schweigen immer bedrückender wurde, warf ich meinen Löffel weg.
„Verdammt nochmal! Rück endlich raus was dich so bedrückt!", rief ich verärgert aus. Egal wie schlimm die Situation gewesen war, Elfe hatte niemals die Hoffnung aufgegeben.
Meine Teamkameradin schaute mich mit traurigen Augen an. In ihrem Blick lag etwas Wissendes von einem kommenden Schmerz, der mir eine Gänsehaut verursachte. „Du hast noch nie so eine Rettungsaktion gestartet, oder?", fragte sie mich mit tonloser Stimme.
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, na und? Jeder muss irgendwann einmal anfangen."
Aus Elfes Kehle entkam ein schreckliches rohes Lachen, dass zu ihrem sonstigen eleganten und meist fröhlichem Bild gar nicht passen wollte. Es war ein grausames Geräusch, das komplette Gegenteil zu ihrer sonstigen Schönheit. „Dies soll eine weitere Lehre für uns werden", erklärte sie mit einem merkwürdigen bitteren Grinsen auf ihren Lippen.
„Na und? Wollen sie, das nicht immer? Uns belehren, uns auf etwas vorbereiten?"
„Verdammt nochmal Polarfuchs, was ich damit sagen will ist, überleg doch mal wer alles nicht da ist und wer noch hier ist. Wolf, Bär, Schlange und selbst Einstein sind nicht da. Wäre der Plan also geschickt einzubrechen, hätten sie uns wenigstens ihn dagelassen. Aber nein, das ist nicht der Sinn der Übung. Nur ich und du sind hier. Fällt dir etwas auf?"
„Nicht wirklich", antwortete ich verwirrt und fragte mich worauf sie hinauswollte.
Elfe raufte sich die Haare und starrte mich an, als wäre ich ein kleines unwissendes Kind. „Wenn du nur nicht so verdammt unschuldig wärst!", fluchte sie.
„Wie meinst du das „unschuldig"?" Ich verstand nun rein gar nichts mehr.
„Verdammt nochmal! Sie verlangen von uns in die Drogenfestung durch weiblichen Charme einzudringen! Hast du es jetzt endlich kapiert?! Wieso glaubst du wurden alle Männer gefangen genommen und wir sind da geblieben!? Ein Teil der Ausbildung ist es auch die Waffen einer Frau kennenzulernen und diese geschickt einzusetzen! Beide, Männer und Frauen, haben ihre Vorteile! Verstehst du was ich meine!? Ist dir die Bedeutung nun endlich bewusst?!" In Elfes Augen lag die pure Verzweiflung. „Ich habe das nicht für dich gewollt! Du bist so unschuldig! Du passt einfach nicht in meine Welt! Was tust du überhaupt hier?!"
Ich stand auf und ging um den Tisch herum. Ich umarmte Elfe und flüsterte: „Keine Sorge. Ich krieg das schon hin."
Elfe seufzte einfach nur und verdrehte die Augen, als glaubte sie mir kein Wort.
Ich fuhr mit fester Stimme fort: „Ich habe keine Angst. Sag mir nur was wir tun müssen um Wolf, Bär, Schlange und Einstein zu befreien und ich werde es tun."
Für einen Moment blickte Elfe mir zweifelnd in die Augen. Sie erstarrte als sie meinen kalten Blick sah und wirkte überrascht. Das war ich von mir selbst und der Kälte, die in mir aufgestiegen war, auch, doch ich wusste, ich würde alles tun um die anderen zu befreien. Nach einem kurzen Moment nickte sie. „In Ordnung. Entschuldigung, dass ich dich so unterschätzt habe. Ich hätte in dir nicht ein kleines Kind, eine kleine Schwester sehen sollen. Es ist eher so, als wären wir Zwillinge. Zwar sind wir vollkommen unterschiedlich, doch wir sind immer bereit uns gegenseitig zu unterstützen."
Ich nickte und lächelte sie grimmig an. „Also wie sieht dein Plan aus?"


Aus den Chroniken der Tagwandler - Ein Bericht eines späteren Ratsmitgliedes:


Erstaunlich! Alexios scheint mir das vollkommene Gegenteil von Damianos zu sein. Auch wenn ich in diesem Fall meinem Herrn vielleicht unrecht tue, scheint Alexios sich im Gegensatz zu Damianos um das menschliche Volk zu kümmern. Alexios ist mit seinen Gleichgesinnten gekommen, um mit uns zu reden. Obwohl wir zwei vollkommen verschiedenen Gesellschaften angehören, haben die Erfolge oder besser gesagt die Niederschlage hinsichtlich meiner Forschungsergebnisse auch ihre Festungen erreicht. Im Gegensatz jedoch zu Damianos, der durch die vielen Jahre, die er mit erlebt hat, von der Welt der immer sterbenden Menschen müde geworden ist, scheint Alexios eine Faszination für die Geschöpfe der Sonne zu empfinden und sie auch als lebende Personen mit Gefühlen und Rechten wahrzunehmen.

Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt