Team 10 - 1

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Ich war fertig. Mein Körper war vollkommen erschöpft von den sportlichen Tests, mein Gehirn glich einer ausgequetschten Orange, so viele Rätsel und Wissensfragen hatte ich beantwortet und mein Geist war zu einem Scherbenhaufen zusammengebrochen. Besonders das letzte machte mir zu schaffen. Man hatte mich in ein Zimmer gebracht, das einem Hotelzimmer sehr stark ähnelte. Es gab ein Bett, einen Nachtisch, einen leeren Schrank und ein kleines Bad. Nach der Folter, die sie Prüfung nannten, hatte ich mich stundenlang geduscht. Das Wasser zu meinen Füßen hatte sich rot gefärbt, doch der metallene Geruch wollte einfach nicht verschwinden. Eine Ewigkeit hatte ich meinen Körper geschruppt. Meine Haut war wund geworden, doch der Gestank war geblieben. Schließlich zwang mich die Erschöpfung aufzugeben. In einen flauschigen weißen Bademantel gehüllt, schmiss ich mich auf das Bett. Ich wusste einfach nicht mehr weiter. Verzweifelt starrte ich die Decke an und versuchte zu begreifen, was mit mir geschah, doch immer wieder zog eine rote Wolke vor mein Blickfeld und die Erinnerungen kamen in mir hoch wie ein böser Albtraum. Die Schreie, das Blut, die Wesen mit den eisigen Augen, die von dem Geschehen um sie herum nicht im mindestens betroffen schienen.
Tränen liefen mir über meine Wangen. Ich schrie verzweifelt in mein Kissen und konnte spüren wie in mir die Übelkeit hochstieg. Meine Beine sprangen wie automatisch auf und rannten in das Bad. Das wenige Essen und Trinken, das ich bei den Stationen heute bekommen hatte, wurde der Toilette in einem Schwall übler Flüssigkeit geschenkt. Selbst wenn ich versucht hätte mich zusammenzureißen, weil ich wohl jedes bisschen Kraft in nächster Zeit brauchen konnte, hätte ich es nicht geschafft meine Übelkeit zu stoppen. Die Schreie, die immer noch in meinen Ohren hallten, waren einfach zu viel für mich. Wieso war ich hier? Wieso hatte ich kein normales einfaches Leben an der Uni führen dürfen!? Wieso hatte Jane nicht einfach die Finger von Alex lassen können!?
„Nein!", schrie ich aus, entsetzt davon welche Richtung meine Gedanken einschlugen. „Jane ist unschuldig! Einzig und allein dieser Mistkerl Alex ist an der Situation schuld. Jane ist unschuldig! Ich muss sie aus der Sache herausholen!"
Meine lautausgesprochenen Worte schienen mich der Realität wieder näher zu bringen. Wenn ich bereits so unter diesen Wesen litt, wie musste es dann Jane ergehen? Zum ersten Mal seit den neusten Entwicklungen dachte ich an diese verhängnisvolle Nacht zurück. Vampire... Es gab sie also wirklich... sie waren unter uns... wie viele Menschen in dieser Halle wohl in Wirklichkeit Vampire gewesen waren? Ein Drittel? Die Hälfte? Alle? Konnten sie bei dem Blutgeruch überhaupt noch vernünftig denken? Weswegen musste ich diese Ausbildung durchziehen? Was wollte man bitte von mir und wieso hatte ich den heutigen Tag einfach nur überleben müssen um weiterzukommen? Hatte Damian so viel Bedeutung hier? Und was genau hatte es mit diesem Treueid auf sich? Und wieso in Gottes Namen hatte sich die Trainingshalle in das reinste Massaker verwandelt!? Was würde mit den Verletzten passieren? Würde man sie töten? Als Nahrung verwenden?! Erneut breitete sich eine Welle der Übelkeit über mich aus, doch dieses Mal gab es nichts was mein Magen von sich geben konnte, doch ich konnte nicht aufhören zu würgen. Es war als versuchte mein Körper auf diese Art meine Gedanken loszuwerden.
Ich weiß nicht wie lange ich den Toilettengott gehuldigt hatte, doch es war sehr spät, als ich mit tränenüberströmten Gesicht schlafen ging. Es schien mir als schloss ich für einen winzigen Moment die Augen und im nächsten Moment klopfte es an der Tür.
„Herein?", brachte ich mit kratziger Stimme hervor.
Damian trat im vollen Anzug gelassen in mein Zimmer ein. Er wirkte nicht im Mindesten müde. Jeder normale Mensch hätte bei unseren Anblick erraten können, wer der Vampir und wer der Mensch war.
„Wie geht es dir?", fragte er ruhig, so als wolle er anhand wie ich reagiere die gesamte Situation einschätzen.
Ich blickte ihn wütend an und zischte verärgert: „Wie sollte es mir gehen?! Vielleicht blendend nach der Show die gestern abgezogen wurde?!"
Damian seufzte auf, so als hätte er mit meinem Zorn gerechnet, betrachtet diesen jedoch als vollkommen unnötig. Was hatte er denn auch Schlimmes verbrochen? Ach ja! Er hatte mich aus meinem friedlichen Leben mit einer Erpressung herausgezerrt und ohne Vorbereitung in ein Blutbad geworfen. Verständlicherweise war ich deswegen wütend. Ich war sogar stinksauer! Damian schien meinen Gesichtsausdruck nicht sehr gut lesen zu können, denn er erklärte: „Es hätte auch schlimmer sein können. Immerhin kannst du stolz darauf sein den gestrigen Tag unverletzt überlebt zu haben."
Ich wollte bereits aufbrausen, doch er hielt seine Hand hoch um mich zu stoppen und aus irgendeinem Grund ließ ich ihn aussprechen. „Allerdings war mir von Anfang an sehr bewusst, dass du wahrscheinlich nicht zu den Personen gehörst, die sich nun auf ihren Lorbeeren ausruhen. Es würde das Ganze auch auf jeden Fall um einiges weniger spannend machen, wenn du eiskalt und somit nun glücklich und zufrieden wärst."
Schneller als ich blinzeln konnte, war er an der Seite meines Bettes und streichelte mir über den Kopf. „Es wäre allerdings so viel einfacher, aber wahrscheinlich hätte ich dann kein Interesse an dir."
„Ach ja?", zischte ich. „Vielleicht wäre es ja besser wenn du kein „Interesse" an mir hättest!"
„Vielleicht wäre es für dich einfacher", stimmte er mir zu. Dann strich er mir mit seinem langen Zeigefinger einmal sanft meine Wange entlang. Die Bewegung löste ein Kribbeln in meinen Inneren aus und ich biss mir fest auf die Unterlippe. „Aber das wäre ebenfalls bei weitem nicht so unterhaltsam für mich", fügte er mit seinem raubtierhaften Grinsen hinzu.
„Es würde mich allerdings nicht so sehr verletzen!", stieß ich hervor.
Für einen Moment zeigte sich eine Vielfalt von Emotionen auf Damians Gesicht zuerst Überraschung, dann Erschrecken. Kurz dachte ich er würde sich zurückziehen, mich vielleicht sogar in mein altes Leben entfliehen lassen, doch dann entstand ein Ausdruck aus Akzeptanz, Mitleid und Entschlossenheit auf seinem Gesicht.
Ehe ich auch nur überlegen konnte, was das zu bedeuten hatte, zog er mich an seine Brust. Ich spürte seinen warmen Atem in meinen Nacken, als er sich zu mir hinunterbeugte und flüsterte: „Ich werde dich aber nicht mehr loslassen."

Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt