„Gut, halte den Hasen weiterhin an den Beinen fest. Einstein! Du bist jetzt dran."
Einstein hatte sich mittlerweile etwas erholt. Mit zitternder Hand nahm auch er seine Mordwaffe entgegen. Der Sergeant stellte sich dicht hinter mir um Einstein gleich zu zeigen, dass für ihn dieselben Regeln galten wie für mich. Ich wollte mich von dem Geschehen abwenden, doch der Sergeant drehte mein Gesicht mit einer Hand grob wieder um. „Schau zu!", zischte er mir ins Ohr.
Ich gehorchte. Aus Angst, dass er Einstein wieder wegen mir verletzen würde, aber auch weil mir bewusst wurde, dass ich zuschauen musste. Ich hatte einem lebenden Wesen soeben seine Existenz geraubt. Ich konnte nicht mehr behaupten, ich sei unschuldig und ich konnte auch nicht mehr erwarten, dass man mich vor solchen Dingen beschützte. Das was nun gleich vor meinen Augen geschehen würde, hatte ich eben selbst dem Freund des Hasens angetan. Es schien mir schon fast wie eine Pflicht dem Tod des zweiten Hasens in die Augen zu sehen. Ich wusste, dass dieses Pflichtgefühl, selbst wenn ich es versuchte mit meinen Worten zu erklären, nicht wirklich logisch erschien, doch es war wie ein emotionaler Zwang.
Der Hase lag nun still zu Einsteins Füßen und er packte zu. Das kleine Tier zappelte verzweifelt, versuchte aus dem Griff zu fliehen, kämpfte gegen ihn an und erkannte irgendwann das es ihm unmöglich war zu entkommen. Es wurde ruhig, sein Köpfchen sank herab und der Schlag folgte sofort. Heftig und brutal wurde der Hase getroffen und durch die Luft geschleudert. Hätte Einstein ihn nicht gehalten wäre er wohl meilenweit geflogen.
Auch Einsteins Schlag hatte den Hasen sofort getötet. Keiner der beiden Tiere hatte länger leiden müssen als nötig, doch ich sah es Einstein in seinem kalkweißen Gesicht an, dass es auch ihm schrecklich ging.
„In Ordnung!", rief der Sergeant. „Nun müssen wir die Tiere nur noch Häuten und dann säubern."
Allein bei dem Gedanken dieses kleine Tier, das sich immer noch so warm in meiner Hand anfüllte, aufzuschlitzen zu müssen, wurde mir übel.
„Kommt mit. Ich habe zu der Lagerhalle alles bringen lassen was wir brauchen."
Mit geknickten Köpfen folgten wir dem Sergeant. Ich wollte mich einfach nur noch in meinem Bett verkriechen, doch das konnte ich nicht. Schritt für Schritt ging ich weiter auf die Lagerhalle zu und fühlte mich wie ein Schwerverbrecher.
An der Außenwand der Halle hatte man zwei Seile angebracht, daneben lagen jeweils eine Schüssel und ein Messer.
„Gut", meinte der Sergeant ohne auf die Todesstimmung einzugehen, die die Luft erfüllte. „Ihr hängt die Tiere nun an den Beinen hier auf, um ihnen das Fell über den Kopf zu ziehen. Dazu schneidet Ihr mit dem Messer vom Schwanze her den Hasen wie ein Y ein. Dabei müssen die Hinterbeine bis zu den Pfoten aufgeschnitten werden und das Fell am Bauch bis zum Mund. Die Klinge des Messers muss nach außen geführt werden, also zwischen Fell und Körper entlang. Dann könnt ihr dem Hasen das Fell der Hinterbeine über den Rücken nach unten ziehen. Normalerweise zerreißen dabei die Zwischenschleimhäute, dort wo sie es nicht tun müsst ihr mit dem Messer vorsichtig nachhelfen. Danach könnt ihr das Fleisch ganz normal säubern, also Organe entnehmen und den Kopf vom Körper trennen." Er schaute in unsere hilflosen und ratlosen Gesichter. „Ihr habt noch nie einen Hasen gesäubert?"
Einstein und ich schüttelten den Kopf. Ich war allein von der Vorstellung furchtbar angewidert.
„Schaut mich nicht so an! Ihr seid doch keine kleinen Welpen mehr! Wollt ihr etwa dass die Tiere umsonst gestorben sind? Wenn ihr das Fleisch nicht weiter verarbeitet war ihr Tod sinnlos! Also am besten schneidet ihr vorsichtig den Bauch auf, dann könnt ihr die inneren Organe herausschneiden, wenn das erledigt ist, müsst ihr nur noch das Genick um schneiden. Aber ich glaube für den letzten Schritt gehen wir lieber in die Küche, wenn ihr solche Anfänger seid. Also gut beginnt."
Mit zittrigen Fingern band ich den Hasen mit den Hinterbeinen an das Seil. Er war immer noch warm und sein Fell war so weich! Es war fast als schliefe er nur, doch nun würde ich ihm gleich das Fell über die Ohren ziehen müssen. Mir war speiübel als ich das Messer zur Hand nahm. Für einen Moment blickte ich zu Einstein hinüber. Auch er schien zu zögern.
„Worauf wartet ihr noch!?"
Wir gehorchten beide und fingen an zu schneiden. Es war schrecklich für mich als ich mit der scharfen Klinge durch das Fell schnitt. Auch wenn mir bewusst war, dass der Hase bereits tot war, dass ich ihn getötet hatte, hatte er doch noch so friedlich ausgesehen. Nun wo ich ihm lauter tödliche Wunden beibrachte, wurde es mir noch einmal vor Augen geführt, was ich getan hatte.
Das Blut tropfte mir von der Händen als ich fertig mit dem Y schneiden war. Der Sergeant kam zu mir und half das erste Stück des Fells abzuziehen. Danach ließ er mich jedoch wieder alleine weitermachen und ich musste zusehen wie das rohe rosane Fleisch unter dem Fell hervor kam. Wieder spürte ich das rote Blut auf meinen Händen. Es wurde zwar immer weniger was herabtropfte, doch ich berührte an manchen Stellen nun auch die warmen Muskeln unter dem Fell. Wo die Zwischenhäute nicht reißen wollten, half ich wie befohlen mit dem Messer nach. Ich konnte nicht die Augen schließen, denn sonst würde ich in Gefahr laufen mich zu schneiden und dabei vielleicht sogar einen Finger zu verlieren.
Endlich war die Arbeit geschafft. Nun kam das schlimmste. Ich schlitze den Bauch des kleinen Tieres auf.
Im Inneren befanden sich mehrere dunkellila und merkwürdig sehr lange weiße Dinge, doch ich wollte ihn Gottes Namen nicht näher hinschauen. So schnell ich konnte schnitt ich die Sachen heraus, warf sie in eine Schüssel und meinte dann zum Sergeant: „Fertig."
Er kam zu mir und betrachtet mein Werk. „Du hast das Herz und die Lunge vergessen", erklärte er dann gelassen.
Mir wurde erneut speiübel. Ich fing an zu husten, doch ich schaffte es Gott sei Dank mich wieder zu konzentrieren. Ich atmete tief ein und aus. Zu meinem Erstaunen wartet der Sergeant geduldig, dann zeigte er mir die kleine Zwischenhaut, die Herz und Lunge vom Rest der Organe abtrennte. „Du musst sie hier einschneiden und dann reinlangen um das Herz und die Lunge herausholen."
Ich nickte und versuchte tapfer den Anweisungen Folge zu leisten. Das einschneiden der Haut klappte noch gut, doch dann musste ich in das Innere des Tieres hineinlangen. Angeekelt zitterte meine Hand dabei, während ich meine Finger zuerst in das Innere des Bauches und dann weiter hoch gleiten ließ. Ich stopfte meine Hand in den Brustkorb des kleinen Tieres hinein und spürte die letzte Lebenswärme des Hasens. Dann schloss ich die Augen, packte zu und zerrte zwei winzige Lungenflügel und ein kleines dunkles Herz zu Tage. Ich schmiss die Sachen in die Schüssel und versuchte den Würgereiz zu unterdrücken. Ich hatte ein Tier getötet. Ich hatte getötet, ich hatte es geschlagen, zerschnitten, verletzt... Oh mein Gott, was um alles in der Welt geschah mit mir!? Wie hatte ich das tun können?!
Aus den Chroniken der Tagwandler - Ein Bericht eines späteren Ratsmitgliedes:
Die erste Nacht der Versammlung hat bereits sehr große Früchte getragen. Wir haben uns auf die wichtigsten Punkte geeinigt, in denen es um eine Verbesserung für die Menschen ging. Es ist die zweite Nacht der Versammlung, doch es ist eine Katastrophe oder auch ein Wunder geschehen. Weitere dreißig Vampire kamen nach Sonnenuntergang zu uns, doch sie gehören nicht unserem Clan, sondern dem anderen an. Wir wissen noch nicht ob sie in friedlicher Absicht gekommen sind oder um uns zu töten. In diesem Moment während ich schreibe, stehen sie genau vor uns und warten. Gerade eben löst sich eine einzelne Person vom Rest. Einige wollen ihn zurückhalten. Ich glaube mich trifft der Schlag! Alexios persönlich ist gekommen.
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Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler Reihe
VampireUmgeben von der Dunkelheit, gefangen in den Armen eines Vampiroberhaupts und vermählt mit dem Tod, der sie auf Schritt und Tritt begleitet. Kates gesamtes Leben wurde in ein blutiges, dunkles Sein gerissen und sie steht mit all den zerbrechlichen Ho...