Wir gingen nach draußen. Die Sonne war gerade im Begriff unterzugehen und färbte die sonst so grauen Wolken am Himmel blutrot. Die ersten Nachtvögel fingen an im Wald sich auf die Jagd vorzubereiten und die Tiere des Tages zogen sich in ihre Verstecke zurück. Der Sergeant wartet auf uns am braunen Feld. Seine Miene war ausdruckslos und seine angespannte Haltung, ließ das Herz in meiner Brust um ein dreifaches schneller schlagen, doch ich blieb äußerlich vollkommen ruhig und gelassen. Meine festen Schritte knirschten auf den mit Raureif überzogenen Boden und mein Atem schickte Dampfschwaden hoch in den Himmel. Hinter mir hörte ich das Knirschen weiterer Schritte von meinem Team, meinen Freunden. Sie stärkten meinen Rücken und gaben mir ein Gefühl von Sicherheit und Stolz, obwohl sie gegen einen Schuss von vorne kaum etwas tun könnten. Trotzdem gaben sie mir dieses Gefühl von Sicherheit, sie bewahrten mich davor zurückzugehen und ich würde für sie immer stolz vorangehen und mich jeden Kugelhagel stellen.
Als wir am Platz ankamen, standen wir automatisch alle stramm. Der Sergeant musterte jeden von uns einmal genau, bevor er sich räusperte: "Wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Ihr werdet es mir vielleicht nicht glauben, doch seit Beginn des Trainings ist fast ein Jahr vergangen."
Das konnte doch nicht sein! Ich hatte doch mitgezählt! So viel Zeit konnte es niemals gewesen sein!
"Damit schließe ich jedoch auch die operativen Eingriffe vor dem Training hier ein, die wohl das meiste der Zeit in Anspruch genommen haben."
Mir fielen Elfes Worte über die operativen Eingriffe in ihrem Aussehen, die wohl ziemlich drastisch gewesen sein mussten, meine nicht mehr vorhandene Brille und den Muskelaufbau ein von dem der Arzt damals gesprochen hatte. Es musste wirklich einiges an Zeit vergangene sein, aber so viel?
"Die körperliche Ausbildung die ihr hier absolviert habt, war der kleinste Teil dieser Zeit. Zu meinem Erstaunen habt ihr die Ausbildung sehr schnell und fast Verlustfrei geschafft. Dies liegt jedoch daran, dass ihr immer als Team zusammengehalten habt. Daher werden wir schneller als gewohnt die nächste Phase beginnen, bei der ihr zwar weiterhin ein Team bleibt, jedoch jeder für sich selbst verantwortlich ist und jeder einzelne von euch bis zum letzten Blutstropfen auch alleine kämpfen muss. Hierfür werdet ihr unter den Vampiren aufgeteilt. Heute sind einige Interessenten gekommen, die eure weitere Ausbildung sehr gerne übernehmen wollen. Es gibt bei einer Übertragung eines Lehrlings jedoch gewisse Riten die eingehalten werden müssen. Erstens müsst ihr beweisen, was ihr bis jetzt gelernt habt, das heißt ihr müsst heute eure Kräfte vor den Augen der Vampire zeigen. Dies findet im Rahmen einer Jagd statt. Ihr werdet eine Stunde haben um in den Wald zu fliehen. Danach werden euch eure zukünftigen Lehrmeister aufspüren. Wenn sie eure Leistung als ungenügend verstehen, werden sie euch beißen und aussaugen bis von euch nur noch eure leere Hülle übrig ist. Sind sie zufrieden mit euch, werden sie euch ebenfalls beißen und euer Blut trinken, allerdings werden sie euch dann am Leben lassen. Danach werdet ihr offiziell der Vampirgesellschaft vorgestellt. Es ist ein großes Fest und dort wird der Treueid vor allen Anwesenden geschworen. Habt ihr verstanden!?"
"Jawohl Sir!", antworteten wir alle wie aus einem Mund.
"Gut! Eure Zeit läuft ab jetzt!"
Die Zeit drängte und so nahm ich ohne zu Zögern Wolfs Platz ein und meinte: "Okay! Wenn wir zu Fuß fliehen haben wir keine Chance. Wir werden einen Jeep nehmen."
Alle nickten und wir rannten auf einen Wagen zu. Elfe stürzte sich in die Fahrerkabine und startete den Motor, der Schlüssel hatte also gesteckt, wir anderen kletterten auf die Ladefläche.
Erst als wir aus dem Campgelände rausgefahren waren, fiel mir ein, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn wir zwei oder auch drei Fahrzeuge genommen hätten, dann wäre den Vampiren eine Verfolgung vielleicht schwerer gefallen. Anderseits zählte nur, dass wir jetzt so weit weg kamen wie nur möglich. Fieberhaft versuchte ich mir ein Plan zu überlegen.
"Hat jemand eine Ahnung wie die Vampire uns aufspüren wollen?"
"Durch unseren Geruch!", schrie Schlange zurück.
"Das heißt wir könnten sie durch unseren Geruch an der Nase herumführen?", Schlange nickte.
"Okay, dann werden wir unsere Kleidungsstücke tauschen."
"Wieso das?", brummte Bär. "Wollen sie uns nicht alle fangen, sollten wir uns da nicht eher im Schlamm wälzen, damit unser Geruch verdeckt wird?"
Einstein schaltete sich sofort ein: "Polarfuchs möchte gar nicht, dass der Geruch verschwindet. Sie geht davon aus, dass jeder der Vampire hinter jemanden speziellen her ist, denn jeder von uns hat andere Talente und braucht somit auch einen anderen Lehrmeister. Indem wir die Kleidung tauschen nimmt jeder einen anderen Geruch an. Deswegen werden uns die falschen Vampire jagen, die dann hoffentlich umdrehen und den richtigen Lehrling suchen."
Ich nickte. "Dadurch beweisen wir alles was wir bis jetzt gelernt haben. Kraft, da wir uns auf die letzten Meter zu Fuß aufmachen werden, strategisches Denken, denn wir haben einen Plan, aber auch Teamfähigkeit. Das müsste doch genügen, damit keinen der Vampire so langweilig wird, dass sie uns leersaugen." Jedenfalls hoffte ich das.
Das Wechseln der Kleidung auf einer Ladfläche beziehungsweise am Steuer des Jeeps war nicht gerade angenehm, doch wenn wir angehalten hätten wäre es aufgefallen, dass wir irgendetwas ausgeheckt hatten. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass Elfe während des Umziehens beinahe dreimal gegen einen Baum gefahren wäre und wir beim Ausziehen unserer Sachen ständig gegen den Fahrtwind zu kämpfen hatten. Eine Sache war vielleicht nicht ganz so durchdacht von mir gewesen. Ich und Elfe hatten etwa dieselbe Statue. Ich war zwar kleiner als sie und so waren mir ihre Sachen zu groß und ihr meine Sachen etwas zu klein, aber bei Einstein, Schlange und Bär sah das ganze etwas anders aus. Bär war noch größer als Wolf und Einstein war zwar groß hatte jedoch eine schmale Figur und Schlange, tja Schlange war im Vergleich zu den Beiden sehr klein. Da jeder jedoch Klamotten tauschen musste, hatte Einstein seine Klamotten Bär gegeben, Bär seine Schlange und Schlange wiederum seine Einstein. Einstein hatte es noch am besten. Bei ihm schauten etwas die Knöchel und Unterbeine hervor, doch Schlange und Bär sahen so komisch aus, dass ich mir ein Lachen nicht verkneifen konnte. Der große und muskulöse Bär hatte sich in die Klamotten von Einstein gezwängt. Bei dem T-Shirt waren die Ärmel und auch der Stoff an der Seite aufgeplatzt. Der Bauch war vollkommen frei denn so lang war das Oberteil einfach nicht. Die Hose hatte Bär erst gar nicht anbekommen, aber da er so gut es ging seinen Geruch mit ihr überdecken musste, hatte er sie an den Nähten so aufgerissen, dass er eine Vorder- und eine Rückseite hatte. Diese Zwei Hälften hatte Bär einmal vor sich und einmal hinter sich gehalten und Einstein und Schlange hatten sie mit dem Seil, dass man zum Festzurren der Regenplane des Jeeps verwendete, befestigtet. Bär musste ziemlich frieren in der eiskalten Luft, denn die Hose hatte nicht genug Stoff für die Seite seiner Beine und hörte etwa auf Kniehöhe auf. Schlange hingegen sah wie eine Vogelscheuche aus. Alles an ihm war viel zu lang und zu breit und seine Kleidung flatterte so stark im Wind, dass man meinen könnte Schlange wäre eine lebende Wetterfahne. Schlange hätte in dem Bund der Hose dreimal hineingepasst und er musste die Beine der Hose auf eine vernünftige Länge reißen und benutzte diese Streifen dann als Gürtel. Alles im allen sahen wir wie eine Freaktruppe aus und trotz ernster Lage konnten wir nicht anders als zu grinsen, wenn wir uns ansahen.
Seit ungefähr einer dreiviertel Stunde fuhren wir mit knappen 200km/h durch den Wald und wären beinahe schon mehrfach gegen Bäume oder Gräben gefahren und hätten uns fast zweimal überschlagen, doch Elfe war eine exzellente Fahrerin und schaffte es immer wieder den Wagen unter Kontrolle zu bringen. In diesem Moment rasten wir gerade durch einen Bach. Das brachte mich auf eine weitere Idee und ich trommelte gegen die Fahrerkabine als Zeichen, dass ich mit Elfe Sprechen musste. Sofort wurde das Fenster heruntergelassen. "Halt mich mal fest.", bat ich Bär und dieser packte meine Hüften, während ich mich zum Fahrerfenster lehnte.
Elfe saß hochkonzentriert hinter dem Steuerrad und achtete einzig auf den Weg vor ihr, doch trotzdem wusste ich, dass sie mich hören konnte. "Elfe, halte hier bitte an.", bat ich sie.
Sofort tat sie dies und ich war froh, dass Bär mich so gut festhielt.
"Du und ich steigen hier aus.", meinte ich zu ihr, während ich schon vom Wagen sprang. „Unser Geruch müsste am besten vertauscht sein, da auch unsere Kleidung am besten passt und wir somit am wenigsten Haut zeigen von der unser Geruch ausgeht. Dort hinten war ein Bach. Du rennst in runter und ich renne gegen die Strömung rauf, dann ist das mit dem Geruch noch schwerer. In Ordnung?"
"Klar.", stimmte Elfe mit einem Nicken zu, dann meinte sie zu den anderen mit einem Zwinkern: "Passt auf den Wagen auf Jungs, der gefällt mir."
Die drei angesprochenen nickten brav. Ich wollte ihnen schon viel Glück wünschen, doch im letzten Moment änderte ich meine Wortwahl: "Ihr schafft das locker. Ich zähl auf euch.", meinte ich und zwinkerte ihnen ebenfalls zu. So etwas hätte Wolf sicherlich gesagt, weil es die Moral und die Motivation der Truppe steigerte und tatsächlich grinsten mich alle drei an. "Na da kannst du drauf wetten.", meinte Einstein,
"Schon so gut wie erledigt!", rief Schlange und sah dabei wie eine siegessichere Vogelscheuche in seinen Klamotten aus und Bär brummte: "Aber sicher.", während ein eisiger Wind die Vorderseite der viel zu kurzen Hose aufbäumte.
Ich lachte und auch die anderen stimmten mit ein, so komisch war der Anblick von uns. Wir sahen aus wie kleine Kinder die zum Spaß die Kleidung von den Eltern und kleineren Geschwistern trugen. Doch leider war dies kein Spiel und so mussten Elfe und ich rasch nebeneinander zum Bach joggen, während die anderen mit dem Wagen davonfuhren.
Was man beim durchbrettern des Baches nicht gesehen hatte, war dass der kleine Bach eigentlich doch recht tief war und eher die Breite eines Flusses hatte. Auf dem Wasser hatten sich jedoch große Eisplatten gebildet, die verhindert hatten, dass der Wagen vollständig eingesunken war. Am Rande war das Eis sehr fest und nicht zu durchbrechen, in der Mitte lief man jedoch immer in Gefahr einzubrechen. Leider mussten wir durch das eiskalte Wasser gehen und nicht auf den Eisplatten, wenn wir unseren Geruch noch mehr verschleiern wollten. Also seufzte ich und wandte mich an Elfe: "Viel Spaß bei der Wasserrutsche."
Sie lächelte bitter. "Viel Spaß bei deinem Wasserrutschen klettern." Ich nickte und wollte mich schon aufmachen, als Elfe mit einem Mal ihre Arme um mich schlang. "Pass auf dich auf, Schwester", flüsterte sie bevor sie mich rasch losließ und den Bach hinablief.
"Du auch.", flüsterte ich und vertrödelte einige Momente damit ihr einfach hinterherzuschauen. Dann gab ich mir einen Ruck und blickte auf den Boden. Ich wusste jetzt schon, dass meine Füße danach aussehen würden wie gefrorene Fischstäbchen, nur das sie paniert in Schuhsohle wären. Trotzdem ging ich in die Mitte des Flusses, wo die Eisschicht nur sehr dünn oder aus gefrorenen Stückchen bestand. Fluchend steckte ich meine Füße in das eiskalte Wasser und hatte sofort das Gefühl zu erfrieren. Die Strömung war stärker als ich angenommen hatte und ich musste mich dagegenstemmen während ich den Fluss entlang lief. Im Gegensatz zu Elfe, der das eisige Wasser scheinbar nichts ausgemacht hatte, klapperten meine Zähne wie verrückt und ich zitterte am ganzen Körper, während ich versuchte durch ständige Bewegung wenigstens ein bisschen warm zu bleiben. Jede Minute im Wasser legte ich nur die Hälfte der Strecke zurück, die ich auf Land geschafft hätte und das eiskalte Wasser setzte mir immer mehr zu. Mittlerweile konnte ich meine zitternden Hände nicht mehr beruhigen. Meine Lippen hatten einen blau-lilanen Farbton und meine Knie sackten bei jedem neuen Schritt fast zusammen, sodass ich immer der Gefahr ausgesetzt war, gleich zu stürzen und von der Strömung wieder hinabgetrieben zu werden um irgendwo als gefrorene Wasserleiche aufzutauchen. Ich konnte wohl noch ungefähr fünf Minuten laufen, dann wäre die Zeit, die man uns gegeben hatte, um und die Vampire wären hinter mir her. Ich schaute hinauf zum Himmel. Mittlerweile war er nicht mehr blutrot, sondern so schwarz wie ein Leichentuch. Die Bäume rings um mich herum dämmten auch noch das wenige Licht des Mondes ab, sodass ich kaum etwas sehen konnte. An meinem gesamten Körper waren die Härchen aufgestellt, nicht nur vor Kälte, sondern auch vor dem beklemmenden Gefühl in meiner Brust.
Mit einem Mal tönte ein schauriger Ruf durch den Wald. Zuerst dachte ich es handele sich um den Ruf eines wilden Tieres, doch es war viel zu klar, perfekt gehaltene Tonhöhe und so schrill und laut, dass ich zusammenzuckte und meine Handflächen auf die Ohren presste. Mein gesamter Körper begann zu zittern und ich stolperte einfach weiter nach vorne. Ein Fluchtinstinkt aus den Zeiten der Jäger und Sammler hatte von mir Besitz ergriffen und nichts in meinem gesamten Gehirn schaffte es auch nur einen klaren Gedanken zu bilden. Meine Füße rannten mit einem Mal wieder durch das Wasser. Ich konzentrierte mich einzig und allein auf den nächsten Schritt. Immer auf den nächsten Schritt um ja nicht hinzufallen. Mein Atem ging keuchend. Schweißtropfen rannen von meiner Stirn herunter und ich wusste nicht ob es Angstschweiß war oder normaler Schweiß, weil ich meinen Körper gerade meilenweit über seine Grenzen hinaus belastete, wahrscheinlich war es jedoch beides. Der Wind trug mir ein leises Lachen an meine Ohren und ich rannte verzweifelt weiter. Ich stürzte aus den Fluss hinaus und ging nun über Land. Mein Geist verstand nicht mehr, dass ich eigentlich im Wasser bleiben musste. Er verstand nur, dass ich dort langsamer war als auf dem Land. Doch nun zogen meine nassen Klamotten wie Bleigewichte an mir. Ich wagte es nicht laut zu fluchen, sondern rannte immer weiter. Die Bäume um mich herum schossen vorbei, so viel Geschwindigkeit hatte ich aufgenommen, dann mit einem Mal hörte das Nadeldach auf und ich befand mich auf einer Lichtung. Ich wollte schon weiter laufen, doch irgendetwas hielt mich zurück, drängte mich wieder zu den Weg den ich eben entlanggerannt war. Etwas war direkt vor mir! Ich konnte nichts sehen, ich konnte nichts hören und auch nichts riechen, doch ein siebter Sinn oder etwas in der Art hielt mich davon ab weiter zugehen. Er trieb mich sogar weg von der Stelle, zurück zum Fluss. Doch als ich rückwärts laufen wollte hörte ich hinter mir ein Rascheln. Sofort rannte ich auf die Mitte der Lichtung zu und versuchte etwas zu erhaschen an der Stelle wo ich das Geräusch gehört hatte. Doch ich konnte kein verräterisches aufblitzen von Augen dort sehen. Hinter mir bewegte sich wieder etwas. Ich wirbelte herum, doch auch hier schien nichts zu sein. Panik kroch durch meinen gesamten Körper und ich drehte mich wie wild geworden im Kreis. In mir schrillten alle Alarmglocken. Ich wollte fliehen, doch wohin!? Dann mit einem Mal so als hätte man einen Schalter in mir umgelegt wurde ich vollkommen ruhig. Meine Hände hörten auf zu zittern und ich ging in Verteidigungsposition. Was führte ich mich hier auf wie ein kleines Kind!? Ich war speziell hierfür ausgebildet worden! Ich konnte mich verteidigen!
Ich schloss die Augen. Sie brachten mir in der Dunkelheit eh kaum etwas und lenkten nur meinen Gehörsinn ab. Ich konzentrierte mich und beruhigte meine Atmung. Es war nichts weiter als mein langsames Ein und Ausatmen zu hören. Dann hielt ich für einen Moment die Luft an und vernahm das vertraute Knarzen von Schritten auf dem gefrorenen Boden. Blitzschnell holte ich zu einem Dreh-Kick aus. Ich spürte den Luftzug als was auch immer sich hinter mich angeschlichen hatte zurücksprang.
Ich öffnete die Augen und sah die Umrisse einer Frau vor mir. Sie zischte wütend.
"Was wollen Sie von mir?", fragte ich mit fester Stimme.
"Ich will nichts von dir!", stieß sie hervor.
"Ach ja, wieso sind Sie dann hier?", meine Stimme klang eiskalt und so spitz wie gesprungenes Glas.
"Ich war auf der Suche nach dieser Elfe, nicht nach dir. Was sollte ich schon mir dir anfangen?!"
"Tja, da sind sie wohl der falschen Fährte gefolgt.", meinte ich mit einem listigen Grinsen. Es hatte also alles so geklappt wie ich es geplant hatte.
"Ja und wegen dir wird er sie als erstes finden! Es ist deine Schuld, dass ich Elfe nicht vor ihm gefunden habe!"
"Wer ist er?", meine Stimme nahm einen besorgten Ausdruck an. Würde Elfe nun etwa als Lehrmeister einen blutrünstigen Vampir haben wegen mir!?
"Wer "er" ist!?", keifte die Vampirin vor mir. "Das geht dich rein gar nichts an. Du musst nur wissen, dass "er" mir gehört, aber diese vermaledeite Elfe versucht ihn mir wegzunehmen!" Ich runzelte die Stirn. Irgendwie ergaben die Worte dieser durchgedrehten Vampirin keinen Sinn. Anscheinend hatte sie Besitzanspruch auf einen Mann erhoben, aber Elfe versuchte ihn ihr auszuspannen, doch das würde sie niemals tun! Dann fiel mir der Vampir aus Elfes Erzählung ein, der sie davon abgehalten hatte Selbstmord zu begehen. Vielleicht meinte die Frau ja ihn, vielleicht wollte sie dass er sich in sie verliebte, aber er hatte Gefühle für Elfe... Das würde die Sache wenigstens ein bisschen sinnvoller machen, aber auch noch komplizierter.
"Ist dieser "er" derjenige der Elfe gerettet hat", fragte ich nach, wobei ich vorsichtig versuchte rückwärts zugehen um Abstand zu gewinnen.
"Ja! Hätte er dieses verdammte Menschenflittchen doch einfach sterben lassen!"
Mit einem Mal ertönte ein lauter Siegesruf durch den Wald. Er war so laut und klar wie der Jagdruf am Anfang, doch schien er mir weniger mächtig zu sein. Er jagte mir nur einen Schauer über den Rücken und den Wunsch zu fliehen, doch setzte er mein Gehirn nicht außer Betrieb.
"Verdammt", fluchte die Vampirin vor mir. "Das ist alles deine Schuld! Nun hat er sie als Lehrling! Sie wird ihn mir wegnehmen." Mit einem Mal schwieg die Vampirin und ich bekam ein ganz schlechtes Gefühl.
"Das wirst du mir büßen.", meinte sie dann und sprang auf mich zu, so schnell, dass ich nicht einmal zucken konnte, geschweige denn ausweichen. Sie schlug mich und ich segelte durch die Luft.
"Das wirst du mir büßen!", schrie sie erneut aus und schlich nun in Kreisbahnen um mich herum wie in wildes Tier. "Ich werde dich bis zum letzten Blutstropfen aussaugen!"
Ich richtete mich auf und lachte. Ich wusste nicht ob der Aufschlag auf den Boden meinen Verstand nun völlig ausgeschalten hatte oder ob ich einfach verrückt wurde, doch irgendein Instinkt in mir befahl mir zu lachen. Und so erklang ein grausiges Lachen aus meinen Mund und zerfetzt die Atmosphäre von Angst, die über mir gelegen hatte. Ich stand lässig auf und klopfte meine Knie vom Dreck ab, dabei war meine Sicht vollkommen verschwommen und ein scharfer Schmerz pulsierte durch meinen Kopf. Das Aufkommen auf den steinharten gefrorenen Boden verlangte seinen Tribut, doch trotzdem warf ich den Kopf in den Nacken und spielte mich auf als gehörte mir die Welt. "Glaubst du wirklich, dass ich das Büßen werde?! In welcher Welt lebst du denn bitte?"
Der Vampirin klappte ihr Mund auf, während sie meine völlig abrupte Charakterveränderung beobachtete.
Ich lachte sie bittersüß aus. "Du tust mir ja so leid, dass du denkst du könntest mich besiegen. Das ist schon ein Anflug von Größenwahnsinn, oder?" Eine Stimme in meinen Hinterkopf schrie: „Halt endlich die Klappe du bist die Größenwahnsinnige hier!", doch ich ignorierte sie einfach. Was konnte mir schon passieren? Sie wollte mich eh schon umbringen.
"Du bist nichts weiter als ein Mensch!", stieß die Vampirin hervor.
Ich lachte laut auf, als habe sie das amüsanteste gesagt, dass ich je gehört hatte. "Glaubst du das wirklich?", meinte ich zu ihr mit einem Lächeln, das man kleinen Kindern schenkte, wenn sie nach etwas fragten was auf der Hand lag.
"Ja, du bist ein Mensch!", meinte die Vampirin trotzig, doch in ihrer Stimme kroch etwas wie Zweifel.
Ich richtete mich zu meiner vollen Körpergröße auf, obwohl das nicht wirklich viel war und tat so verächtlich wie möglich
"Ich bin ganz sicher nicht nur ein Mensch." Nein, ich war auch die Anführerin von Team 10, bessergesagt von Elfe, Bär, Schlange, Einstein und auch Wolf! Sie vertrauten mir und Wolf hatte mir diese Aufgabe vermachtet. Glaubte dieses winzige Vampirmädchen, dass größer war als ich und auch stärker und schneller fügte meine innere Stimme hinzu, dass sie mir etwas sagen könnte? "Ich bin hier die Anführerin!", meinte ich also im scharfen Tonfall.
Dem Vampirmädchen klappte der Mund auf und zu. Sie schaffte es nicht angesichts meiner Dreistigkeit auch nur ein Wort hervor zu bringen.
"Und du wirst ganz sicher nicht mir und auch nicht Elfe und ganz sicher nicht meinem Team etwas zu leide tun."
Die Vampirin vor mir versteifte sich merkwürdig. Dann blieb sie so still stehen als sei sie eine Puppe.
"Du wirst jetzt gehen und dich bei Elfe entschuldigen!", befahl ich ihr.
Die Vampirin machte sich von dannen und ich schaute ihr nach. Erst langsam bemerkte ich, was mein Gehirn mir die ganze Zeit versucht hatte zu sagen. Die Vampirin war schneller, stärker und hatte die höhere Position. Niemand würde etwas sagen, wenn sie mich aussaugen täte und doch ließ sie sich von mir herumscheuchen als sei sie ein Hund, obwohl sie mich locker töten konnte und auch wollte... Okay, dass ergab nicht wirklich viel Sinn. Ich wollte die ganze Situation noch einmal in Gedanken durchgehen, doch ein Knurren ließ mich aufschrecken.
"Was hast du getan?!", zischte eine mir sehr bekannte Stimme.
Aus den Chroniken der Tagwandler - Ein Bericht eines späteren Ratsmitglied:
Das was ich die letzten Tage bei den Befreiungen zu sehen bekommen habe war grausam. Die Vampire scheinen jede Art von Gerechtigkeitssinn und Mitleid verloren zu haben. Sie sind einzig und allein an Macht interessiert und wie sie diese erweitern können. Es ist ihnen dabei egal ob sie über Leichen von Menschen wie auch Vampiren gehen müssen. Hauptsache ihre Macht ist gefestigt. Wir, die noch als einziges von der einst großen Gruppe, die für die Rechte der Menschen gekämpft hat, übrig sind müssen uns nun verstecken, denn die Vampire sehen in uns eine Gefahr für ihre Macht und sie würden uns liebend gerne wieder in Zellen stecken und uns auspeitschen. Wir hoffen nun auf Alexios Hilfe, denn er scheint einer der wenigen Vampire mit Macht zu sein, der noch nicht vollkommen grausam und eiskalt ist.
DU LIEST GERADE
Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler Reihe
VampireUmgeben von der Dunkelheit, gefangen in den Armen eines Vampiroberhaupts und vermählt mit dem Tod, der sie auf Schritt und Tritt begleitet. Kates gesamtes Leben wurde in ein blutiges, dunkles Sein gerissen und sie steht mit all den zerbrechlichen Ho...