Danach folgte wieder eine Schnitzeljagd durch den Wald, dann mehrere Schießübungen, die wir alle mühelos meisterten. Selbst ich hatte irgendwann nach dem zehntausendsten Schuss gelernt wie man mit einer Pistole oder einem Scharfschützengewehr oder was auch immer zielen musste, besonders wenn es für das nicht treffen Strafen gab.
Danach folgten wir weiter den Pfeilen. Mehrere Stunden lang geschah nichts. Wir liefen einfach stur weiter. Eigentlich war es sogar ganz schön mal wieder etwas anderes zu sehen, doch dieses sinnlose Herumgelaufe machte uns allen keinen Spaß.
„Hey, Einstein! Sind wir hier richtig?", brummte Bär missgelaunt.
„Den Pfeilen nach ja. Das merkwürdig ist jedoch wir bewegen uns wie in einer Spirale nach außen", meinte der Angesprochene schulterzuckend.
„Heißt das wir laufen ständig im Kreis nur um immer ein Stückchen nach außen zu kommen?", fragte Wolf und blieb stehen.
„Es sind keine wirklichen Kreise in diesem Fall. Es sind eher Schlangenlinien mit einigen Ecken, aber ja so ungefähr passt das schon."
„Wie weit haben wir uns überhaupt von unserem Ausgangspunkt entfernt?", fragte Wolf nach.
Einstein überlegte kurz, schien irgendwelche Zahlen zu berücksichtigen, von denen ich nicht mal wusste, dass es sie gab und meinte dann: „Circa eine Stunde, höchstens eineinhalb, in einem langsamen Marschtempo."
Ich schnalzte wütend mit der Zunge. Dafür, dass wir so viel Zeit verbraucht hatten um hierherzukommen, klang das Ergebnis nicht ermutigend.
„Immer ruhig bleiben Polarfuchs", meinte Wolf gelassen. „Es gibt nun zwei Möglichkeiten, entweder wir folgen den Pfeilen weiterhin oder wir weichen von der Strecke ab in der Hoffnung, dass es spiralförmig weitergeht und wir so irgendwann noch heute zum Ende finden."
„Das dürfte ein Problem werden. Wenn wir von der Strecke abweichen ist es nicht sicher, dass wir alle Hindernisse finden. Im Gegenteil es ist fast unmöglich."
„Ach vergiss, doch die Hindernisse!", brummte Bär verdrossen, aber seine Miene blieb wie meistens ruhig.
Ich hätte ihm beinahe zugestimmt, da ergriff Wolf wieder das Wort: „Wir haben hart gearbeitet um hierher zu kommen. Es wäre unsinnig diese harte Arbeit durch eine vorschnelle Entscheidung wegzuwerfen."
„Aber wiederum ist es unsinnig die ganze Zeit in Kreisen zu gehen", erklärte Schlange. „Vielleicht ist es ja sogar unsere Aufgabe, aus diesem Kreislauf auszubrechen."
„Oder es ist ein Test um zu schauen wie durchhaltefähig wir sind", meinte Elfe.
„In Ordnung lasst uns abstimmen. Ich bin dafür den Pfeilen weiter zu folgen", meinte Wolf entschlossen.
„Ich dagegen", brummte Bär.
„Ich schließe mich seiner Meinung an", erklärte Schlange.
Elfe zögerte noch eine Sekunde, dann stellte sie sich zu Wolf. „Ich bin auf seiner Seite."
Ich biss auf meiner Unterlippe herum, was war der bessere Weg?
„Einstein, Polarfuchs was ist eure Meinung?", meinte Wolf nach einigen weiteren Sekunden.
„Ich enthalte mich, damit das ganze hier auf geht", antwortete Einstein gelassen. „Ich führe euch was auch immer ihr beschließt."
Nun starrten alle mich an. Meine Stimme war das entscheidende Reiskorn, das die Waage in jede Richtung kippen lassen würde. Was sollte ich sagen? Enthalten konnte ich mich nicht mehr. Janes Bild trat vor meinen Augen. Wir mussten diese Prüfung meistern und gegen die Spielregeln hier zu verstoßen war wahrscheinlich eine schlechte Idee. Wenn wir vom Weg abweichen täten und zufälligerweise bestehen würden, gäbe es wohl zudem einen schlechten Eindruck beim Sergeant und zusätzliche Übungen, bei denen wir vielleicht das tägliche Training nicht mehr schaffen würden. Also meinte ich entschlossen: „Folgen wir den Pfeilen. Ich schätze wir erreichen so unser Ziel am besten, aber Einstein sollte uns warnen, wenn wir im Kreis laufen und überhaupt nicht vorankommen oder wieder zurückgehen."
„Zu Befehl Mam!", sprach Einstein mit einem breiten Grinsen und wir machten uns auf den Weg.
Wir kamen noch an mehreren kleineren Stationen vorbei, wo wir Fragen über Politik, Wirtschaft und Vampirgeschichte beantworten mussten, doch irgendetwas stimmte nicht. Es war zu ruhig im Wald. Ich lief schneller und holte zu Wolf auf: „Spürst du das auch?", fragte ich.
„Diese Spannung in der Luft?", fragte er leise nach.
Ich nickte.
„Ja, das kann ich auch spüren. Elfe hat mich vorhin auch darauf angesprochen und Schlange ist nervös. Einzig und allein unser kleiner Einstein und der immer ruhige Bär scheinen nichts zu spüren, aber das ist nicht verwunderlich. Einstein ist vollkommen damit beschäftigt unseren Weg in die Karte in seinem Kopf einzuzeichnen und Bär ist halt Bär."
Auf einmal wehte ein leises Knacksen an meine Ohren.
„Was war...", wollte ich Wolf schon fragen als ein Schuss ertönte.
„Runter!", schrie Wolf und riss mich mit sich um.
Sofort war die zuvor stille Abendluft von den Knallen vieler Schüsse zerrissen. Die Patronen wurden nur so über unsere Köpfe hinweggefeuert.
„Krabbelt nach vorne!", schrie Wolf gegen den Lärm an und alle gehorchten.
Als die Salve langsam verebbte, befahl Wolf aufzustehen und zu rennen. Ich lief so schnell ich konnte, doch ich schaffte es kaum mit den anderen Schritt zu halten. Auch Einstein fiel das schwer. Nun hörte man von erneut Schüsse. Ich konnte gerade noch so nach links ausweichen, da spürte ich auch schon wie etwas Kleines um Haaresbreite an mir vorbeischoss.
„Teilt euch auf!", hörte ich die tiefe Stimme Wolfs, die sich mächtig über den Lärm der Schüsse erhob.
Ich rannte sofort nach links in das Gebüsch. Weitere Kugeln folgten mir dicht auf den Fersen, doch keine traf mich. Bis jetzt hatte ich noch nicht einmal einen Blick auf die unbekannten Schützen erhaschen können. Ein Einschussloch in einem Baum dicht neben mir. Wieder hatte man mich nur um Millimeter verfehlt. Ich rannte tiefer in den Wald und schlug dabei Hacken. Ich hatte keine Ahnung mehr, wo ich mich befand.
Auf einmal hörte ich zu meiner rechten Wolf schreien. „Fallen! Es sind hier überall Fallen! Passt auf!"
Ich biss mir fest auf die Lippen und achtete nun auch noch auf den Waldboden unter mir, während ich weiterhin verzweifelt Hacken schlug wie ein Hase in der Falle. Direkt vor mir tauchte eine Grube auf. Darin waren spitze Metallstäbe angebracht, die mich vollkommen durchbohrt hätten, hätte Wolf mich nicht durch seinen Schrei zuvor gewarnt. Ich rannte nach rechts, stolperte über etwas, fiel hin und ein weiterer Schuss traf einen Stein neben meinen Kopf. Erschrocken fuhr ich auf, blickte zurück und konnte einen Mann ganz in schwarz mit einer gezogenen Pistole erkennen. Erneut hob er diese hoch zielte. Ich wich aus und rannte weiter. Mein Atem ging keuchend. Erneut tauchte vor mir eine Falle auf und ich kam gerade noch Schlitternd zum Stehen. Ich wandte mich um. Der Weg rechts war durch dickes Geäst versperrt. Ich konnte nur nach links. Dieser Weg schien frei zu sein.
Jemand packte mich von hinten an der Taille und hielt mich fest. Sofort strampelte ich und versuchte zu schreien, doch eine große Hand legte sich auf meinen Mund. „Ganz ruhig! Ich bin es nur!", zischte Wolfs Stimme in mein Ohr. Er zog mich in ein Gebüsch.
Der Mann in Schwarz, der hinter mir her war, kam in unser Sichtfeld. Er schaute sich um und als er niemanden sah rannte er weiter. „Alles in Ordnung?", flüsterte Wolf.
Ich wollte schon Nicken als ich einen scharfen Schmerz in meinem Arm fühlte. Erstaunt musterte ich ihn und sah wie Blut aus der Wunde hervorquoll. Es schien keine Schussverletzung zu sein, sondern ein hauchdünner etwas tieferer Schnitt.
„Woher kommt denn der?", fragte ich verblüfft.
Wolf deutet grimmig zwischen die Bäume und ich konnte etwas im roten Licht der untergehenden Sonne aufblitzen sehen. Auf einer Linie schwebten dort winzige rote Blutstropfen in der Luft.
„Drähte. Sehr dünne Drähte. Kaum sichtbar. Hätte ich dich nicht aufgehalten, wäre wohl jetzt mindestens dein Arm ab, wenn nicht noch mehr", erklärte Wolf grimmig. „Ich hätte mich fast auch geschnitten so gut verschmelzen sie mit der Landschaft."
Ich schluckte. „Danke", brachte ich mit rauer Stimme hervor. Wolf hatte mir eben mein Leben gerettet.
„Keine Ursache. Wir sollten die Wunde allerdings verbinden" Er zog seine Jacke aus und riss sich mehrere Streifen von seinem T-Shirt ab, mit denen er meinen Arm geschickt bandagierte.
„Es ist nicht das Beste, aber so sollte wenigstens die Blutung stillen und es kann nicht allzu viel Dreck rein kommen."
Er streichelte mir über den Kopf: „Du solltest aufpassen Polarfuchs, immerhin gehörst du nun zu unserem Team."
„Danke", flüsterte ich erneut. In mir stieg eine Wärme auf und ich fühlte mich tief gerührt. Auch wenn dieser Mann rau und ruppig war, hatte er sein Herz am rechten Fleck.
Er wollte schon etwas sagen, als das Rotorengeräusch von Hubschrauberblätter zu hören war. Rasch drückte mich Wolf tiefer ins Gebüsch, da ertönte die Stimme des Sergeants um ein vielfaches verstärkt durch den Wald: „Der Parcour ist zu Ende. Jeder der nicht schwerverletzt oder tot ist, hat den Parcour bestanden."
Wolfs Augen blitzen auf, als er mich anblickte. „Siehst du, die erste Prüfung haben wir schon gemeistert. War doch ein Kinderspiel, oder?"
Aus den Chroniken der Tagwandler - Ein Bericht eines späteren Ratsmitgliedes:
Ich habe mich entschlossen, etwas gegen die unwürdige Behandlung der Menschheit zu tun. Es ist meine Schuld, dass es so weit kam und ich werde nicht länger einfach nur zu sehen. In der Hoffnung, dass ich nicht der einzige bin, der so denkt, habe ich viele Briefe an enge Vertraute geschrieben, denen ich es zutraue dasselbe wie ich für das kurzlebige Volk zu empfinden. Ich habe sie gebeten sich mit mir zu treffen und gemeinsam über das Problem der Menschen zu sprechen, denn ihre Rasse stirbt mittlerweile unter unseren Händen wie die Fliegen weg. Hoffentlich finden sich genug Leute um diesen Terror zu beenden. Ich bereue es so meine Forschungen überhaupt begonnen zu haben.
Anmerkung: Ich hoffe das Kapitel hat euch gefallen, denn das Spiel der Nacht entfaltet sich langsam. Fandet ihr das Kapitel spannend? Was wird wohl als nächstes Geschehen?
DU LIEST GERADE
Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler Reihe
VampireUmgeben von der Dunkelheit, gefangen in den Armen eines Vampiroberhaupts und vermählt mit dem Tod, der sie auf Schritt und Tritt begleitet. Kates gesamtes Leben wurde in ein blutiges, dunkles Sein gerissen und sie steht mit all den zerbrechlichen Ho...