Bekanntschaft mit dem Tod - 1

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Eine wichtige Information vorweg: Ich empfinde keinerlei Freude daran, wenn ein Lebewesen leidet. Die Gewaltdarstellung in diesem und den noch folgend Kapiteln ist meiner Meinung nach jedoch nötig um darzustellen, wie ein Charakter sich langsam unter Zwang verändern kann.

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Ich sank auf den Fußboden. Oh mein Gott! Was war gerade eben geschehen!? Hatten wir wirklich?! Das konnte doch nicht sein! Wie um alles in der Welt kam es dazu!? Und wieso wollte ich noch mehr?! Wieso wollte ich bei ihm sein? Wieso spürte ich jetzt diese Sehnsucht? Wieso riss mir die Enttäuschung fast das Herz aus der Brust? Hatte ich ihm nicht die Leviten lesen wollen?! Und was hatte ich stattdessen getan? Verdammt! Wie hatte ich nur denken können ich wäre nicht länger seinem Scharm verfallen!? Er hatte mich ja fast so weit gehabt, dass ich mich auf ihn gestürzt und jede Schranken niedergerissen hätte, bis unsere nackten Körper sich auf den Boden umschlangen. Oh mein Gott! Was um alles in der Welt dachte ich da!? Ich musste hier raus!
Sofort stand ich auf, stürmte auf den Flur, die Treppen hinab, den Gang entlang und öffnete die Tür nach draußen. Eiskalte, frische, herrliche Luft schlug mir entgegen. Nach dem Bruchteil einer Sekunde wurde der Wind jedoch eisig. Ich hatte das Gefühl als würden winzige Messer meine Haut in Fetzen zerschneiden, doch das war mir im Moment sogar recht. Der Schmerz und die herrlich frische Luft beruhigten mich und ließen meinen Kopf wieder klar werden. Egal wie es zu dieser Situation gekommen war, es würde nicht wieder passieren! Kein einziges Mal mehr! Was auch immer Damian gesagt hatte, war sicherlich irgendeine Lüge um mich in die nächste Falle treten zu lassen. Er würde doch sicherlich nicht etwas für mich empfinden, oder doch? Verdammt! Wieso war diese Welt einfach nur so kompliziert!? Wütend stürmte ich über den Platz. Bevor ich jedoch die Tür zum Schlafraum aufriss, fing ich mich wieder, atmetet tief durch und ging erst dann hinein. Was auch immer gerade passiert war, es war egal. Jetzt musste ich erst einmal überleben.

Am nächsten Morgen versammelten wir uns auf dem Platz. Der Sergeant begrüßte uns und kam dann gleich zum Thema: „Heute werdet ihr zum ersten Mal auf ein lebendiges Ziel schießen."
Mein Magen drehte sich um. Was bitte bedeutete das? Sie hatten doch nicht etwa Menschen hierhergeschafft auf die wir schießen sollten, oder!?
„Eure ersten Ziele werden Tiere sein. Da einige von euch noch nicht vertraut sind mit dem Töten oder dem Zielen auf Lebewesen, werden diese hier im Camp trainieren. Die anderen werden im Wald auf die Jagd gehen. Ich erwarte von jedem der Jagen geht bis heute Abend mindestens eine Beute. Natürlich werden die Tiere nicht weggeschmissen. Der Herbst neigt sich bereits dem Ende zu und in der nächsten Zeit wird es wirklich eiskalt werden. Wir werden über die zusätzlichen Felle dankbar sein. Auch das Fleisch ist wichtig, denn es kann gut sein, dass wir von der Außenwelt abgeschnitten werden. Dies ist im Winter sogar meistens für einige Monate die Regel. Natürlich werden Euch auch draußen die Wachen begleiten, doch keine Sorge, sie werden so leise sein wie ein Windhauch und euch nicht stören außer ihr versucht zu fliehen. In Ordnung, Wolf, Elfe, Schlange, ihr habt alle schon gejagt und auch getötet, für euch sollte das kein Problem sein. Bär, bei dir habe ich lange gezweifelt, doch ich denke du kannst mit den drei mitgehen. Enttäusche mich nicht! Auch du musst mir deine Ergebnisse vorzeigen! Einstein, Polarfuchs, ihr beide bleibt hier bei mir! In Ordnung man wird euch jetzt Waffen und Munition geben. Ich wünsche euch viel Erfolg."
Ich blickte den vieren kurz nach. Jeder von ihnen wurde mit einer unterschiedlichen Waffe ausgerüstet, wobei die Verteilung ziemlich unfair war. Schlange bekam nur ein Jagdmesser, Wolf und Bär bekamen jeweils ein Gewehr und Elfe ein hauchdünnes Drahtseil. Gleichzeitig hatten sie alle dieselbe Aufgabe bekommen. Trotzdem sah jeder von ihnen zuversichtlich aus, als sie losgingen, mit Ausnahme vielleicht von Bär, der nur so ruhig und gelassen wie eh und je wirkte.
„In Ordnung, nun zu euch." Der Sergeant wandte sich uns zu: „Bei euch wird es nicht um die Jagd an sich gehen, sondern um das Töten. Das Töten von Tieren ist hierbei der erste Schritt. Kommt mit."
Der Sergeant ging mit festen Schritten voran und wir mussten ihm folgen. Innerlich versuchte ich mich dabei auf das Schlimmste vorzubereiten. Wir gingen zu dem braunen Platz, wo wir am ersten Tag unzählige Runden rennen mussten. Dort lagen nun zwei Taue mit jeweils einen Knoten, daneben lag ein rundes, längliches Holzstück. Es erinnerte mich an einen etwas dickeren Ast, den man einfach die Rinde abgezogen hatte.
„Das ist ein Fäustelstiel", erklärte der Sergeant. „Ihr werdet nun das Tau in die linke Hand nehmen und mit dem Fäustelstiel üben den Knoten mit voller Wucht zu treffen. Verstanden?!"
„Jawohl Sir...", antworteten wir beide etwas kleinlauter als sonst.
„Wie war das!?"
„Jawohl, Sir!", schoss es aus unseren Mündern hervor wie Pistolenfeuer.
„Gut! Fangt an!"
Ich nahm das Tau in die eine und den Holzstock in die andere Hand und versuchte den Knoten zu schlagen. Ich brauchte mehrere Anläufe, doch nach etwas Übung gelang es mir eigentlich immer ihn zu treffen. Die Bewegungsabläufe blieben schließlich die ganze Zeit die gleichen.
„Fester!", schrie der Sergeant und wir gehorchten. Nach einer halben Stunde war er mit unserer Leistung zufrieden. Einstein und ich wechselten kein Wort miteinander, als wir den Sergeant hinter das Haus folgten.
Auf dem grünen Gras stand dort ein Außengehege für Kleintiere. Die Ecken waren mit Holzbalken verstärkt, zwischen denen ein Maschenzaun gespannt war. Das Gerüst ging mir ungefähr bis zu den Knien und im inneren des Stahls lagen zwei niedliche, aber auch riesige Hasen gemütlich herum.
„Oh mein Gott, wie süß!", rutschte es mir heraus. Ich liebte die beiden sofort. Auch wenn ihr Fell ganz normal braun war und sie keine besonderen Merkmale besaßen, waren sie so niedlich wie sie zufrieden im Gras lagen und ab und an einem Grashalm mümmelten. Ich kniete mich vor den Käfig hin und beobachtete die Tiere mit glitzernden Augen. Ich hatte noch nie in meiner gesamten Zeit hier so etwas Süßes gesehen. „Wie heißen sie?", fragte ich den Sergeant.
Der allerdings sah mich bloß mit einer hochgezogenen Augenbraue an und erklärte: „Hasenbraten 1 und Hasenbraten 2."

Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt