Die Prüfung - 1

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Den restlichen Tag hatte ich mit stillen vor mich hingrübeln verbracht. Ab und an war mir ein Fluch entglitten, wenn mir wieder bewusst wurde, wie brenzlig meine Lage war und dass ich Jane scheinbar im Moment nicht helfen konnte. Auch die Wahl des Spitznamens verlangte hin und wieder meine Aufmerksamkeit. Selbst in der Nacht wollten meine Gedanken einfach keine Ruhe finden. Ich strengte mich an einzuschlafen, denn ich wusste, am nächsten Morgen würde ich all meine Kraftreserven brauchen, aber es schien unmöglich.
Als es schließlich an der Tür klopfte, war ich in eine Art Schlummerzustand gefallen. Meine Gedanken drehten sich dabei ständig im Kreis. Bilder von Vampiren, Blut und einer vollkommen verlorenen Jane waberten durch meinen Verstand. Aus diesem Grund war es nicht verwunderlich, dass ich sofort wach war, mich jedoch furchtbar müde und erschöpft fühlte.
Herein kam weder die Nachahmung von Elvis Presley, noch Damian, sondern ein großgewachsener muskulöser, braungebrannter Mann. Scheinbar war er eine Art Offizier, Ausbilder oder irgendein anderer Typ aus dem Militär. Der Eindruck entstand durch sein raspelkurzes dunkles Haar und durch die tarnfarbige Militärhose. Natürlich hatte er zudem schwarze Schnürstiefel und ein schwarzes recht enganliegendes Tanktop an, das wohl jeden einzelnen stählernen Muskel darunter betonte. Der Mann erinnerte mich nicht nur an ein bisschen ans Militär, sondern entsprach eigentlich vollkommen meiner Vorstellung von einem Soldaten, wenn er nicht gerade die volle Uniform trug.
„Zieh dich an", befahl er gelassen und hielt mir ein Bündel mit Kleidung hin. Ich stand auf und nahm widerwillig die Klamotten entgegen. Um ehrlich zu sein war mir mein jetziger weißer Pyjama viel lieber, denn er verdeutlichte nicht den Ernst der Lage. „Ich komme in exakt drei Minuten wieder. Sei bis dahin einsatzbereit", ordnete der Soldat an und knallte, ohne auf meine Antwort zu warten, die Tür hinter sich zu.
Drei Minuten? Für wen hielt er sich!? In drei Minuten schaffte ich es niemals mich umzuziehen und auch noch die Zähne zu putzen. Erst bei dem letzten Gedanken fiel mir auf, dass ich seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen oder getrunken hatte. Ich war zu sehr mit Denken beschäftigt gewesen, als dass ich den Hunger oder den Durst bemerkt hatte. Auch jetzt überwog eher die Panik vor den bevorstehenden Ereignissen, angefangen bei der Aufgabe, dass ich in drei Minuten angezogen sein musste.
Ich betrachtet also das Kleidungsbündel genauer. Neben einer einfachen zweiteiligen dunkelblauen Sportunterwäsche hatte man mir eine schwarze Trainingshose mit breiten Beinen bereitgestellt, wodurch man wohl eine gute Bewegungsfreiheit haben sollte. Zu meinem Erstaunen passte der Bund dieser Hose perfekt. Als Oberteil gab es ein weißes Tanktop auf dem groß die Zahl 84 in schwarz stand, worüber ich nicht besonders begeistert war, denn man konnte leider Gottes den blauen Sport-BH unter dem weißen Oberteil sehen. Das einzige positive war, dass die Sportunterwäsche sehr gut alles bedeckte und theoretisch selbst als ein sehr knappes Outfit durchgehen konnte. Dazu gab es eine schwarze Trainingsjage, auf die man mit weiß meine Glückszahl für den heutigen Tag gedruckt hatte. In der Jackentasche fand ich zusätzlich einen Zopfgummi, worauf ich mir einen hohen Pferdeschwanz machte. Wahrscheinlich würden offene Haare heute eher nur im Weg sein. Des Weiteren gab es noch enganliegende Turnschuhe, welche keinerlei Schnürsenkel oder einen anderen Verschluss besaßen. Nachdem meine Füße endlich hinein geschlüpft waren, passten jedoch auch diese perfekt.
Ich war gerade fertig geworden und richtete mich wieder auf, als der muskulöse Typ von vorhin das Zimmer ohne anzuklopfen stürmte.
„Folge mir", befahl er knapp, wortlos nickte und gehorchte ich. Was hätte ich auch anderes tun sollen?
Auf dem gesamten Flur und den unzähligen Treppen, die wir hinabstiegen, sah ich kein einziges Fenster mehr. Alles war künstlich erleuchtet. Der durchtrainierte Typ führte mich in einen Raum, wo zweihundert Stühle fein säuberlich aufgestellt waren. Sie alle waren auf ein davorliegendes Podest ausgerichtet. Nicht ein Fenster schmückte die langen Wände und es kam mir so vor, als befänden wir uns meilenweit unter der Erde.
Ich wurde noch bis auf meinen Platz begleitet, dann verschwand der Typ, wahrscheinlich um die nächsten Menschen, die hier Platz nehmen sollten, abzuholen. Nun hatte ich genug Zeit um mich genauer im Raum umzublicken. An den Wänden standen in regelmäßigen Abständen Männer und Frauen in vollkommen schwarzen Klamotten. Jeder trug offen mindestens eine Waffe und versteckt wahrscheinlich dutzende weitere. Dabei ließ das Arsenal, das es zu bestaunen gab, nichts zu wünschen übrig. Von einem Katana an der Seite eines Mannes, bis hin zu einer halbautomatischen Pistole oder einem Maschinengewehr war alles dabei. Ich konnte eine Peitsch, einen Krummsäbel, Granaten und selbst eine riesige Sense und einen Kampfstab erkennen. Natürlich hätte ein Waffenprofi die Sachen hier um einiges besser beschreiben können, doch für mich sahen alle Waffen einfach nur tödlich aus, genauso wie ihre Besitzer. Auch wenn die in schwarz Gekleideten alle unterschiedlich groß waren, aus den verschiedensten Kontinenten stammten und vollkommen andere Statuen hatten, wiesen sie doch alle die gleichen Augen auf. Augen, die so hart waren wie Stahl, so scharf wie ein geschliffenes Messer und so tödlich wie jedes Gift. Jedem einzelnen von ihnen würde ich es zutrauen, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken, mich umbringen konnten. Ich schluckte. Es war eindeutig, dass ich hier fehl am Platz war.
Als nächstes wurde ein Mann hereingeführt. Auch er wurde wie ich von einem Typ in halber Soldatenuniform hereingebracht und auch dieser war sehr stark durchtrainiert. Der Mann wurde vor mir gesetzt und ich konnte Narben jeglicher Größe auf seinem Körper betrachten. Manche waren bereits sehr blass und schienen fast verheilt zu sein. Andere waren dunkelbraun, lang und sehr schmal. Die dritte Art war am schrecklichsten. Sie wirkten als habe man ihm das gesamte Fleisch von seinem Knochen gerissen und durch dicke wulstige Überbleibsel ersetzt. Ich schluckte und versuchte irgendwo anders hinzuschauen, doch das wurde mit der Zeit immer schwerer, denn mehr und mehr Menschen wurden in den Raum geführt und jede Person hatte die gleiche Wirkung auf mich. Sie versetzten mich in Angst und Schrecken.
Zu meiner rechten Seite saß nun ebenfalls ein Mann. Er war groß gewachsen, muskulös, hatte blonde kurze Haare und einen stahlharten eiskalten Blick, der jeden gefrieren ließ, der den wachsamen blauen Augen zu nahe kam. Er selbst wirkte im Gegensatz zu mir vollkommen ruhig, aber ganz sicher nicht gelassen. Er war eher wie eine schweigende Drohung, die still und leise im Raum stand und jeden normalen Menschen dem Angstschweiß ausbrechen lassen musste. Natürlich handelte es sich bei den anderen Individuen in diesem Raum nicht um normale Personen, so dass wohl einzig und allein ich den Geruch von Angst verströmte. Zu meiner linken saß ein vollkommen anderer Typ von Mensch. Er war gertenschlank, hatte braune spitzbübisch funkelnde Augen und hochgegelte orangene Haare. Gemeinsam mit den Sommersprossen, die um seine Nase verteilt waren und dem hämischen Grinsen, besaß er dadurch ein schalkhaftes Äußeres. Erst wenn man genauer hinsah, wurde einem rasch bewusst, dass man auch ihm nicht gerne nachts auf der Straße begegnen wollte. Sein Blick war ebenso unnachgiebig wie der meines anderen Nachbarn und seine Finger, die gerade geschickt in der Luft ein Spielchen vom stetigem Vor, Zurück und zur Seite trieben, konnten genauso gut einem ein Messer in den Rücken jagen. Ich war mir fast sicher, dass dabei ebenfalls dieses Grinsen auf seinem Gesicht liegen würde.
Vollkommen verängstigt, versuchte ich mich so klein wie möglich zu machen. Doch anstatt mit eingezogenen Kopf in der Menschenmasse zu versinken, wie man es normalerwiese tat, fiel ich nun umso mehr auf. Ich konnte aus den Augenwinkel erkennen, wie viele sogar den Kopf wendeten, um mich für einen Moment gründlich zu mustern. Einige drehten sich dann mit einer nichtssagenden Miene wieder weg, andere ließen ihren Blick jedoch auf mir ruhen. Den Mut um mich wieder aufzurichten, schaffte ich nicht zu finden. Stattdessen musterte ich voller Interesse meine Fingernägel, während ich anfing die Daumen zu drehen. Ich war hier so dermaßen fehl am Platz, dass man es gar nicht in Worten ausdrücken konnte. Es war wie wenn man einen Liebesroman unter lauter geladenen Waffen in einem Verkaufsregal legte. Das Buch hatte neben den Pistolen einfach nichts zu suchen.

Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler ReiheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt