„Keine Sorge, ich habe ihn nicht gekauft", beruhigte ich sie sofort. „Irgendein Typ in Anzug kam vorbei und meinte er solle die Blumen bei mir abliefern. Er wollte einfach nicht begreifen, dass ich nicht die richtige Adresse bin. Er hat mir allerdings versprochen, dass wir selbst bei einer Fehllieferung nichts dafür bezahlen müssten, also habe ich ihn behalten."
Jane biss leicht auf ihrer Unterlippe herum. Sie wirkte nervös, obwohl ich nicht genau sagen konnte wieso. „War bei den Blumen sonst noch was dabei? Ein Brief oder eine Karte?", fragte sie vorsichtig nach.
Ich zuckte mit den Achseln und gab ihr die wunderschöne Karte gemeinsam mit den dicken Papierumschlag. „Ja, allerdings steht da keinerlei Absender drauf."
Sie nahm den Brief mit zitternder Hand entgegen. Als sie die geschwungenen Worte las wurde sie zuerst vollkommen bleich, dann lächelte sie schwach. Ihre Stimme klang merkwürdig hohl als sie erklärte: „Da hat es wohl irgendwo einen wirklichen Ehestreit gegeben."
Ich nickte und meinte recht gleichgültig: „Die Dame wird sich wohl ärgern, dass ihr Liebhaber sich nicht entschuldigt. Wer wird ihm schon glauben, dass die Blumen falsch zugeliefert wurden?"
Jane nickte und wirkte so als sei sie mit den Gedanken ganz wo anders. „Weißt du, ich müsste noch einmal los."
Sie war schon fast wieder durch den Türrahmen getreten als ich sie aufhielt: „Hast du nicht etwas vergessen?"
„Hm?" Jane wirkte vollkommen zerstreut und leicht verwirrt.
„Die Tür ist kaputt und ich muss auf die Arbeit gehen. Du wolltest hier warten bis dein Freund kommt und sie repariert."
„Ach ja..." Ihre Stimme klang so als wäre sie leicht genervt und gleichzeitig mit den Gedanken schon an einem ganz anderen Ort.
„Passt du also hier auf?", hakte ich nach um ganz sicher zu sein, dass sie es verstanden hatte. Ich hatte keine Lust, dass irgendein Depp in unsere Wohnung spazierte und hier alles zu Brei schlug, weil es kaum etwas zu holen gab.
„Ja, ja kann ich machen." Sie stieß einen Seufzer aus, doch ich war ihr nicht böse. Ausnahmsweise einmal nicht, denn ich verstand, dass es für sie zurzeit nicht besonders leicht sein musste.
„Danke. Ich bin ja bald wieder da."
Sie nickte stumm, setzte sich auf einen der zwei Stühle hin und begann die weißen Rosen in dem pinken Becher zu bestaunen. Ich ging rasch zurück in mein Zimmer zog mir eine Jeansjacke über und meine Turnschuhe an, dann verabschiedete ich mich von Jane. Eine Antwort bekam ich leider nicht. Sie starrte immer noch verträumt auf die Blumen so als sprächen die Rosen zu ihr.Dieses Mal kam ich rechtzeitig im Café an. Der Tag verlief eigentlich recht ruhig und bis auf die zusätzlichen Blasen an meinen Füßen konnte ich mich wirklich nicht beschweren. Es gab viel Trinkgeld, auch wenn natürlich kein Kunde mir ein so Hohes bezahlte wie der Mann gestern, doch dafür wurde ich auch von keinem Gast zu einem Kuss gezwungen. Ich bekam sogar zehn Minuten eher Feierabend und als ich auf den Weg nach Hause war, freute ich mich schon darauf wieder ein bisschen zu lesen. Auch wenn ich um ehrlich zu sein gut auf Shakespeare, der dort neben meinen „Stolz und Vorurteil" Buch wartete gerne übersehen hätte.
Als ich unsere Wohnung erreichte, war gerade ein noch recht junger Mann dabei die wiederreparierte Wohnungstüre zu testen. Er musste ungefähr siebzehn Jahre alt sein. Seine Kleidung bestand aus einer Arbeitshose voller schwarzer und weißer Flecken, sowie ein lockeres T-Shirt auf dem das Emblem einer Rockband aufgedruckt war. Sein dunkelblondes Haar stand ihm senkrecht vom Kopf ab und in seinem rasierten Gesicht waren ein oder zwei kleine Schnitte, wo er sich vermutlich mit dem Rasierer verletzt hatte. Auch ein paar winzige punktförmige Narben waren auf seiner Stirn zu sehen. Er öffnete und schloss die Tür zu unserer Wohnung immer wieder und schien recht zufrieden mit seiner fertigen Arbeit zu sein.
„Hey." Ich winkte ihm freundlich zu und bekam ein schiefes Grinsen als Antwort geschenkt. „Ich bin Kate. Janes Wohnungsgenossin und gleichzeitig ihre beste Freundin."
Der Junge nickte mir freundlich zu und stellte sich dann selbst vor: „Hey, nenn mich Danny. Jane hat gemeint ihr hättet ein Problem mit eurer Tür, aber um ehrlich zu sein hätte ich nicht gedacht, dass sie mit samt Scharnieren aus dem Rahmen rausgerissen wurde. Wie habt ihr denn bitte das geschafft?"
Verwirrt blinzelte ich ihn an: „Sie wurde aus dem Rahmen gerissen?"
„Jeps, du kennst doch auch diese Aktion Filme, wo jemand mit der Schulter gegen eine Tür rammt oder dagegentritt, damit diese aufgeht. Bei euch scheint auf jeden Fall die Tür den Kürzeren gezogen zu haben. Hattet ihr Streit? Ist bei euch jemand verletzt worden? Eine Tür einzurammen ist wirklich keine Kleinigkeit. Im Gegensatz zu den Filmen geht das in der Realität nicht ganz so leicht, auch wenn ich sagen muss, dass hier im Gebäude alles etwas liedschäftig ist."
„Wir haben nichts dergleichen gemacht."
„Ernsthaft?", der Junge runzelte die Stirn und wirkte nun wirklich verwirrt. „Das kann eigentlich nicht sein. Die Scharniere wurden wirklich aus dem Holz gerissen. Sie waren nicht durchgerostet oder dergleichen und das Holz ist auch nicht morsch."
„Nein, ernsthaft. Ich war in der Dusche und als ich wieder herausgekommen bin, habe ich eine vollkommen verwirrte und todmüde Jane vorgefunden, die verdutzt auf ein Loch in der Wand gestarrt hat."
Danny lachte leise. „Was es alles für Sachen gibt. Habt ihr vielleicht irgendwas vermisst? Vielleicht wollte jemand bei euch einbrechen um was zu holen."
„Nein, es fehlt rein gar nichts und was sollten jemand schon bei uns groß stehlen wollen?"
„Stimmt, da gibt es lukrativere Plätze. Außerdem wäre eine Tür aufzurammen viel zu laut, als dass man sich dann noch leise vom Acker machen könnte." Er runzelte erneut leicht die Stirn und schüttelte den Kopf. „Die Sache ist schon merkwürdig, aber immerhin ist die Tür jetzt repariert."
„Das stimmt. Sag mal, wieso fragst du mich eigentlich danach was vorgefallen ist? Hat dir Jane nicht alles erklärt sobald du hier angekommen bist?"
„Nope." Danny runzelte schon wieder leicht die Stirn und kratzte sich schüchtern hinter dem Ohr so als wäre er über meine Frage überrascht. „Jane hat gemeint sie müsste dringend noch wohin. Sie hat wieder etwas von diesem Typ namens Alex gefaselt."
„Alex?", das war doch der Name ihres Freundes beziehungsweiße jetzt ihres Ex. Was wollte sie bitte bei dem?
„Ja, ich weiß echt nicht was sie von dem will!" Dannys Bemerkung klang härter als sie sein müsste, denn eigentlich wusste er ja nicht, dass sich die beiden getrennt hatten. Ich schaute Danny in die Augen und bemerkte den Funken von Eifersucht, der sich mit in seinem Blick gemischt hatte. Da war wohl ein Weiterer verliebt in Jane, aber eigentlich hatte er recht auch wenn er die Hintergründe nicht kannte. Was bitte wollte Jane von einem Typen, der einfach so mit ihr Schluss gemacht hat und nicht einmal eine ordentliche Begründung liefern konnte!?Ich blickte in die Wohnung und sah die weißen Rosen, deren sinnesbetörender Duft mittlerweile den ganzen kleinen Raum erfüllte. Endlich wurde mir klar wieso Jane sich so merkwürdig benommen hatte als sie die Rosen gesehen hatte. Waren diese Blumen etwa eine Entschuldigung von Alex? Oder sah nur Jane diese Blumen als Entschuldigung an? Was wäre wenn die Blumen doch nicht für sie bestimmt waren!? Welcher gerade erwachsen gewordene Junge, konnte sich ein solch kostspieliges Geschenk einfach so aus der Tasche zaubern? Was war wenn Jane nun irgendwo dort draußen auf der Straße herumirrte?! Verdammt! Ich durfte sie in einem solchen Zustand nicht alleine lassen! Falls dieser Mistkerl nicht die Rosen geschickt hatte und erneut auf ihren Gefühlen herumtrampeln würde, würde sie das nicht ohne Hilfe überstehen!
„Danny, ich muss los. Danke für das Reparieren, aber ich muss noch etwas Dringendes erledigen."
Ich war schon fast wieder aus dem Haus draußen, als mir Dannys Stimme von oben nachrief: „Kein Problem. Pass auf sie auf!"Aus den Chroniken der Tagwandler - Textauszug aus den Anfängen:
Wir sind Vampire. Auch wenn wir aussehen wie Menschen sind wir doch vollkommen anders. Menschen können uns nicht wiederstehen. Sie sind der Anziehung unserer Rasse vollkommen erlegen. Befindet sich ein Mensch in der Nähe eines Vampirs ist er vollkommen dem Charme des Nachtgeborenen unterlegen. Die Kurzlebigen werden von uns angezogen wie Nachtfalter durch eine Flamme. Dies ist ein Grund wieso sie so hilflos sind. Manche meinen, dass dies nicht gerecht sei, doch die meisten Antworten hierauf lauten, die Beziehung zwischen Raub- und Beutetier waren noch nie gerecht, sondern nur von Stärke geprägt. Doch können wir diesen Einwand einfach so abtuen? Schließlich sind wir nicht allein Raubtiere, sondern auch denkende Wesen.
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Verlorene der Nacht - 1. Band der Tagwandler Reihe
VampireUmgeben von der Dunkelheit, gefangen in den Armen eines Vampiroberhaupts und vermählt mit dem Tod, der sie auf Schritt und Tritt begleitet. Kates gesamtes Leben wurde in ein blutiges, dunkles Sein gerissen und sie steht mit all den zerbrechlichen Ho...