49. Janina ist nicht Jessica

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Vorsichtig öffnete ich die Augen. Die Rollos waren noch vor den Fenstern, aber ich konnte erahnen, dass die Sonne schon hoch am Himmel stand. Schwach drehte ich mich auf den Rücken und sah nach rechts. Auf die Seite, wo eigentlich mein Bester Freund hätte liegen sollen, aber dort war er nicht, stattdessen fand ich einen Zettel vor. Die Stirn gekraust, drückte ich mich keuchend hoch und lehnte mich gegen die Rückenlehne, griff nach dem Zettel und entfaltete ihn.

Guten Morgen,
ich wollte dich nicht wecken, also schreibe ich dir diesen Zettel:
Wir sind kurzerhand zu einem Interview eingeladen wurden, weil der Unfall von Jonathan überall in den Nachrichten ist. Ich will dich nicht damit nerven. Wir sind ungefähr gegen 15 Uhr wieder da. Wenn etwas sein sollte, schreib mir oder ruf mich an, aber im Notfall ist Lottie unten.
Schlaf so viel wie möglich und denk bitte daran, dass du deine Schmerztabletten nimmst!
Wir holen auf dem Rückweg noch Essen, ich bring dir was mit:)
Komme dann schnellstmöglich zu dir hoch.
H xX

Seufzend ließ ich den Zettel neben mich auf den Tisch flattern. Schnell griff ich auch nach meinem Handy, welches neben mir auf dem Tisch lag. Abgesehen von dem zersplitterten Display, war es glücklicherweise noch funktionstüchtig. Kurz ruhte mein Blick auf der Uhrzeit.
12:56 Uhr.
Zwei Tage war es jetzt fast her. Den ersten Tag hatte ich nicht ein Auge zugemacht, abgesehen davon, als ich das Bewusstsein verloren hatte. Den zweiten Tag habe ich im Krankenhaus verbracht, ebenfalls ohne Schlaf. Und jetzt war ich hier. In dem Gebäude, das ich wohl ab jetzt mein zu Hause nennen musste oder konnte. Zum einen mochte ich es hier, aber ich wollte einfach nur in mein Haus, mich in die Bettwäsche von Papa kuscheln und nie wieder aufwachen. Zu groß war der Schmerz, obwohl es nicht mal so sein durfte. Eigentlich hätte ich wütend sein müssen, immerhin hatte er mich 17 Jahre lang angelogen. Mir was vorgegaukelt.

Aber egal, wie sehr ich wollte, dass die Trauer von Wut ersetzt wurde. Es klappte nicht. Ich würde wohl mein Leben lang mit einem riesigen Loch im Herzen leben müssen.
Ob ich es wollte - oder nicht.
Ich presste die Lippen aufeinander und ließ mich zurück in die Kissen sinken. Ich hatte noch eine Stunde, bis die anderen wiederkommen würden und da ich nicht aufstehen konnte beziehungsweise durfte, konnte ich die Zeit ja nutzen und weiterschlafen.
Das tat ich auch. Es dauerte zwar eine gefühlte Ewigkeit, bis sich mein Hirn auschaltete, aber ich konnte wieder schlafen.

~~

Das leise Klicken einer Tür, weckte mich aus meiner Halbschlafphase, gefolgt von dem Geruch chinesischen Essens. Ich schlug meine Augen auf und drehte mich auf die andere Seite, kniff bei der schnellen Bewegug kurz die Augen zusammen.
"Hab ich dich geweckt?" Schwach schüttelte ich den Kopf, setzte mich auf und rieb mir vorsichtig übers Gesicht. "Sicher?" fragte er, kam um mich herum und setzte sich neben mich auf die Bettkante. "Ja", gab ich fiepsig von mir und legte eine Hand auf meinen Brustkorb. "Dann ist ja gut." Die Tüte mit dem verlockend riechendem Essen, stellte er auf den Nachttisch, ehe er in seine vordere Hosentasche griff und eine kleine Tüte herauszog. Fragend sah ich von dem kleinen durchsichtigen Tütchen zu Harry auf.

"Wir waren noch beim Arzt und der meinte, wir sollen das mitnehmen, falls du nicht stark genug bist deine Tabletten zu schlucken."

Anstatt einer Antwort gab ich nur einen zustimmenden Laut von mir. Still legte er das kleine Fläschchen und die Spritze auf den Tisch, sah weiterhin still darauf. Nach ein paar Minuten der kompletten Stille, legte ich ihm eine Hand auf die Schulter. "Harry... Ist- Ist alles in Ordnung?"

Unter meiner Hand spürte ich, wie er einmal tief durchatmete, ehe er sich zu mir umdrehte. "Ja, klar. Alles okay." Seufzend robbte ich zu ihm. "Und jetzt nochmal die Wahrheit", sagte ich, den Kopf schräg gelegt. Erneut seufzte er und nahm meine Hand von seiner Schulter, legte sie in seinen Schoß, zusammen mit meiner anderen und heftete seinen Blick darauf.
"Harry komm schon. Bitte." Wieder sagte er ein paar Momente nichts, sondern sah nur stumm auf unsere Hände. Bis schließlich-
"Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das tut. Weißt du eigentlich wie ich mich fühle? Wäre ich fünf Minuten eher gekommen, hätte ich das verhindern können. Scheiße, das ist alles meine Schuld!" Wütend wollte er aufstehen, aber jetzt war ich diejenige die seine Hände festhielt. Von meinen Händen fömlich zurückgerissen, sah er mir in die Augen. "Es war nicht deine Schuld. Genau so wenig, wie Dad's Tod meine Schuld war." Beschwichtigend schüttelte ich den Kopf.

The Story of one Friendship // ✔✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt