ZÜMRA
"Die Tapferen sind diejenigen, die Entscheidungen voller Angst treffen. Die bei jedem Schritt auf dem Weg vom Dämon gequält werden, die alles was sie tun, in Bedrängnis bringt, die sich immer fragen, ob sie es richtig oder falsch machen. Und dennoch handeln sie."
Paulo Coelho - Brida
Fatih.
Er war wie der ein Jahr jüngere Zwillingsbruder von Mirza. Er hatte alles von ihm, nur die Augenfarben der Jungs unterschieden sich. Während Mirza grünbraune Augen hatte, hatte Fatih meeresblaue Augen, in denen sich jeder Mensch, den ich kannte, verlor.„Wir konnten so lange nicht reden... Geht's dir gut?", erkundigte ich mich während des Tanzens bei Fatih über sein Wohlergehen. Ein müdes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen und er blickte mir tief in die Augen.
„Du hast sowieso alle Hände voll zu tun, also mach dir nichts draus", sein Blick schweifte an mir vorbei in die Ferne. „Fatih, sprich schon", versuchte ich ihn zu überzeugen, doch sein sturer Blick war weiterhin auf die Ferne gerichtet. Er schwieg für meinen Geschmack viel zu lange, doch wollte ich ihn trotzdem nicht bedrängen. Ich kannte meinen Milchbruder, wusste, dass er reden würde, wenn er sich bereit fühlen würde. Und ich sollte mich nicht irren, denn gegen Ende des Liedes, öffnete er seinen Mund und sah mir tief in die Augen.
„Denkst du, es würde euch sehr mitnehmen, wenn ich von hier gehen würde?", sprach er seine Gedanken aus. Seine Zerbrechlichkeit stand förmlich in seinen Augen geschrieben.Noch bevor ich antworten konnte, ging das Lied zu Ende und stumm liefen wir mit Fatih von der Tanzfläche. Er zog mich an der Hand zu dem Tisch, wo unsere Mütter saßen. Ich wollte das Thema aber nicht so schnell vom Tisch kehren, also ergriff ich die Führung. Wider seiner Erwartungen - das merkte ich an seiner plötzlichen Starre - zog ich ihn zur Tür und somit an die frische Luft. Sein fragender Blick war stets auf mir, doch ich versuchte diesen zu ignorieren. Wie auf jeder Hochzeit stand auch hier eine Horde an Kerlen vor dem Eingang, an denen wir uns vorbeiquetschen mussten. Einige von ihnen rauchten, andere genossen die frische Luft während wiederum andere sich die Autos auf dem Parkplatz ansahen.
An einem ruhigen Ort angekommen, stellte ich mich vor Fatih und legte meine rechte Hand auf seine Wange. Die Bartstoppeln unter meiner Hand kratzten meine Handinnenfläche, doch ich versuchte dies gerade zu ignorieren.
„Auch wenn wir unter deiner Abwesenheit leiden würden, wir würden uns daran gewöhnen. Es ist wichtiger, dass es dir gut geht Fatih!", erklärte ich ihm meine Meinung und sah den Glanz in seinen Augen. Ich wusste, dass er viel Wert auf meine Meinung legte. „Also soll ich gehen?", fragte er nochmal sicherheitshalber nach, sodass ich breit grinste. „Tu das, was du für richtig hältst! Wenn dich diese Stadt kaputt macht, gibt es keinen Grund weiterhin hier zu bleiben und zu leiden!", riet ich ihm. „Dann versuche ich im nächsten Semester mein Glück. Ich werde hier noch verrückt! Ich kann nicht in der Stadt rumlaufen, ohne an sie zu denken", gegen Ende wurde seine Stimme immer leiser. „Hast du nochmal was von ihr gehört?", erkundigte ich mich und versuchte Augenkontakt mit ihm aufzubauen.Sie, Betül, die unmögliche Liebe meines jüngsten Milchbruders.
Fatih und sie hatten jahrelang eine unausgesprochene Liebe, die damit endete, dass ihr Bruder mit einem Mädchen aus seinem Heimatdorf aus der Türkei durchbrannte. Da sie aus einer sehr traditionell ausgerichteten Stadt in der Türkei, Antep, kam, musste sie zum Ausgleich mit dem Bruder des Mädchens heiraten. Sittenregel. Es war also eine reine Zwangsheirat, die sowohl Betül, Fatih aber auch Cevat – dem Mann von Betül – alle Kräfte geraubt hatte. Berdel nannten sie diese Art des überkreuzten Heiratens. Für die Familienältesten war es meist nichts Weltbewegendes. Sie wussten ja meistens gar nicht, was sie mit ihren Entscheidungen zerstörten, auslösten und welchen Schwierigkeiten sie die jungen Angehörigen aussetzten.
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Fels in der Brandung
Teen FictionZwei zerstörte Seelen, die aufeinandertreffen. Die sich gegenseitig heilen. Zümra und Azad. Man sagt Liebe sei das Aufeinandertreffen von zwei Seelen, die gegenseitig all ihre guten und schlechten Seiten akzeptieren und bereit sind alles füreinander...