21. Kommilitonen

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ZÜMRA

„Wir wollen nicht mehr lieben, wir verdrängen unsre echte Angst
Wollen keine Kinder, damit niemand sie verletzen kann.
Ich seh nur tote Blicke, in diesen toten Städten,
Doch in Wahrheit steckt in jedem von uns soviel Leben.
Wir könnten noch echter sein, und unsre Nächsten lieben,
Aber stattdessen sind wir besessen vom Seelenkrieg"

PA Sports - Zendegi

Am nächsten Morgen wachte ich früh auf, bereitete mich vor und nahm mir vor, zur Bäckerei zu laufen, um den Jungs frische Brötchen zu kaufen. An der Eingangstür traf ich auf Azad, der in Sportklamotten vor mir stand und sich den Schweiß von der Stirn wischte, während er auf den Aufzug wartete. „Es ist nicht so wie es aussieht", lachte er und führte seine Hand zu seinem Nacken. „Ja, ja, erstmal Sport machen aber dann die Treppen nicht nehmen können", grinste ich frech — vergaß für diesen einen Moment meine Sorgen.

„Wie geht's dir und deinen Brüdern?", fragte er nach einem lauten Lachen zögernd und legte den Kopf schief. „Ihnen geht es gut. Wir haben gestern das Paket ausgepackt, was du entgegengenommen hattest und dabei einige Tränen vergossen... Bilal fehlt uns allen", ich wendete meinen Blick zu Boden – warum zum Teufel hatte ich ihm das gerade so offen und ehrlich gesagt – und konnte nur seine Füße sehen, die sich einige Schritte in meine Richtung bewegten oder eher gesagt zu der Aufzugtür hinter mir. Sofort blickte ich auf und sah in seine Augen, die mich aufmunternd ansahen. „Ihr werdet lernen zu leben, ich habe es auch geschafft. Schau, du hast deine Brüder neben dir, die dir eine Stütze sind oder zumindest versuchen eine zu sein. Es ist nichts Einfaches, aber ich bin mir sicher, dass ihr es schaffen werdet", seine Worte beruhigten mich und ich lächelte ihn mit einem müden Lächeln an. „Ich muss dann mal los zum Bäcker. Nicht dass die Jungs aufstehen, bevor ich wieder zurück bin", gab ich von mir und deutete auf die Tür hinter ihm. „Oh, ja natürlich. Ich wünsche euch noch eine schöne Zeit zusammen", lächelte er und trat einen Schritt zur Seite, sodass ich problemlos an ihm vorbei aus der Tür treten konnte.

„Zümra", rief er mir wenige Sekunden später nach und ich drehte mich um, sodass ich in sein Gesicht sehen konnte. „Danke für das Essen gestern. Es hat echt gut geschmeckt. Ich würde dir deine Teller im Laufe des Tages wieder zurückbringen?", brachte er zögernd von sich und entlockte mir ein ehrliches Lächeln. „Habe ich gerne gemacht. Ich koche selbst nicht oft, aber falls ich mal wieder was dahaben sollte, bringe ich dir gerne jedes Mal was rüber", bot ich ihm an und konnte beobachten, wie seine Augen anfingen zu leuchten. „Ich möchte dir keine Umstände machen", er beförderte seine Hand zu seinem Nacken und ich grinste ihn an, bevor ich ihm meinen Rücken kehrte und in die Richtung lief, wo die Bäckerei war.

Am Frühstückstisch herrschte eine bedrückte Stimmung. Der gestrige Tag hatte uns mehr zu schaffen gemacht, als wir alle dachten.
„Was mich noch brennend interessiert", Mirza zog seine Augenbraue hoch, während er seinen Blick zu mir wendete. „Was hat es mit diesem Nachbartypen jetzt auf sich", übernahm seine Eifersucht nun die Oberhand.
„Er heißt Azad und hatte das Paket von Enes angenommen gehabt, als ich in Kassel war. Ich habe ihn an dem Abend gebeten neben mir zu bleiben, weil ich nicht wusste, was mich in diesem Paket erwarten wird. Er hat den Brief mitgelesen und hat mich in dem Moment getröstet.
Und am nächsten Tag lag sein Notizbuch auf meiner Fußmatte, wo er seine Gedanken und Gefühle niedergeschrieben hatte, als sein Cousin und seine Großeltern gestorben sind", erzählte ich und die Augen der Brüder weiteten sich automatisch. Während wir über unsere Gefühle schwiegen, hatte mir ein Fremder mit dieser Geste seine Hilfe angeboten — das war alles andere als selbstverständlich.
Schweigsam frühstückten wir weiter, ehe mein Handy klingelte und ich den Anruf meiner Mutter entgegennahm.

Fels in der BrandungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt