27. Bisasam

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ZÜMRA

"I love cats because I enjoy my home; and little by little, they become its visible soul."
— Jean Cocteau

„Mehmet, bist du's?", hörte ich die Stimme meiner Mutter, als ich die Tür aufschloss, und musste breit grinsen. Allein um ihre Stimme zu hören, waren es die drei Stunden Autofahrt wert. „Bist du nicht zu früh dran?", ihre Hände abwischend betrat sie den Flur und blieb bei meinem Anblick wie versteinert stehen. Ihre Augen füllten sich, sie hielt ihre Hand vor den Mund und rannte freudig auf mich zu. „Meine wunderschöne Tochter", sie umfasste mein Gesicht unglaubwürdig mit ihren Händen und drückte mir einige Küsse auf die Wangen. „Überraschung", grinste ich meine Mutter an und wurde von ihr in eine feste Umarmung gezogen. „Die schönste Überraschung der Welt", lächelnd floss ihr eine Träne über die Wange, die ich ihr kurzerhand wegwischte. „Trinken wir bis Baba kommt einen Kaffee?", grinste ich sie an, und ließ mich von ihr in die Küche ziehen. Worte waren schließlich überflüssig, wenn Taten sprachen.

„Wie geht's Hatice Teyze (Tante)? Wenn wir telefonieren überspielt sie so viel", ich blickte meine Mutter schmerzerfüllt an. Ich wusste, dass es meiner Milchmutter schrecklich ging, wieso also fragte ich eigentlich jedes Mal nach?
„So, wie es einer Mutter die ihren Sohn verloren hat, gehen kann... Sie hat neuerdings aber angefangen zu arbeiten und lenkt sich damit etwas ab", meine Mutter lächelte kaum merklich. Es tat ihr weh ihre engste Freundin so sehr am Boden zu sehen. „Ich gehe morgen mal zu ihr oder denkst du ich tue ihr damit noch mehr weh?", ich blickte meine Mutter verloren an. „Ganz im Gegenteil mein Engel! Sie würde sich freuen. Wir sind am Abend bei Yasemin zum Tee verabredet, dann siehst du auch deine Brüder", sie legte ihre Hand auf meine und lächelte mich freudig an. Grinsend nickte ich ihr hastig zu und nahm ihre Hand zwischen meine beiden, um sie zu küssen.

„Hoşgeldin Baba (Willkommen, Papa)", rief ich durch das Haus, als ich hörte, wie die Tür geöffnet wurde. „Ach du bist die Verrückte, die sich traut auf meinem Parkplatz zu parken", grinsend betrat er das Wohnzimmer. Sehnsüchtig ließ ich mich von ihm umarmen und inhalierte seinen Eigenduft.

„Mein Vater kann mich oder meine rebellische Art — ich kann dir nicht genau sagen was — nicht wirklich ausstehen", erinnerte ich mich an Azads Worte und unwillkürlich stiegen mir die Tränen in die Augen. Wie konnte ein Vater seinem Kind, seinem Fleisch und Blut so etwas Schreckliches, Gefühlloses antun?

„Warum bist du heute zur Spätschicht geblieben?", fragte ich meinen Vater und hob meine Augenbrauen in die Höhe. „Auch wenn du einen Ingenieurstitel hast, bist du schließlich ein Angestellter, wie jeder andere auch. Die Schichtarbeiter brauchen schließlich auch immer mal wieder jemanden, der alles kontrolliert", lächelnd zuckte er mit den Achseln und löffelte seine Suppe, die ihm meine Mutter serviert hatte.

„Ich gehe mich hinlegen, gute Nacht", lächelte ich meine Eltern nach einer halben Stunde an, und lief langsam in mein Zimmer. Die Tränen stiegen mir in die Augen, als ich mein Zimmer betrat und Bilals Präsenz zum Greifen nahe schien. Jede verdammte Ecke dieses Zimmers hatte ihn beherbergt, hatte eine Erinnerung an ihn. Schleifend lief ich zu meinem Kleiderschrank und zog die erstbesten Klamotten raus, die sich als Schlafklamotten eignen würden. Lächelnd erkannte ich eine Trainingsshorts von Fatih und ein T-Shirt von Halil. Meine Brüder waren wirklich überall.
Mit einem traurigen Lächeln kuschelte ich mich an meinen Kuschelhasen, den ich zum zwölften Geburtstag von meinen Brüdern bekommen hatte, zog mir die Decke bis zum Kinn und versuchte einzuschlafen.

Nach einem erstaunlich durchgängigen und erholsamen Schlaf wachte ich gegen neun Uhr auf und richtete mich her. Nachdem ich einen kurzen Abstecher zum Bäcker und zum Blumenhändler machte, standen wir kurz vor zehn mit meiner Mutter an Hatice Annes Tür. Erst trat meine Mutter herein und begrüßte ihre Freundin innig — als hätten sie sich Jahre lang nicht gesehen. „Sieh mal einer an, die Ausreißerin ist da", lächelnd breitete sie ihre Arme aus, in die ich mich nur zu gerne fallenließ. „Wie geht's dir, dayê (kurdisch: Mutter)?", ich legte meine Hand auf ihre Wange und sah sie liebevoll an. „Ich hatte schon bessere Tage", sie versuchte zu Lächeln, doch es misslang ihr. Ihre Augen füllten sich, der Gedanke an Bilal tötete uns alle ein wenig. Erneut umarmten wir uns, leise wimmerte sie vor sich hin und ich versuchte sie so gut es ging zu beruhigen.
Was würde denn eine Mutter, die ihr Kind verloren hatte, beruhigen?

Fels in der BrandungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt