4. Freunde

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AZAD

"Freund zu sein heißt Rückendeckung, Wege ebnen, da zu sein
Auch wenn du nix davon hast, im Helfen, wieder stark zu sein
Da zu bleiben, nicht Rücken kehren in harten Zeiten
Kein Wort auf ihn kommen lassen, Straßensprache, grade bleiben
Kennst du diese Werte? Lebst du sie und bist du ehrlich?
Stehst du zu dei'm Wort und bist zu schweren Zeiten da?
Verzichtest du, zu nehmen und wirst ohne Zweifel geben?
Dann bist du ein Freund, ein Mensch, für den sich's lohnt, zu leben"

Twin - Freunde (feat. Kontra K & Samson Jones)

„Guten Morgen", lächelte ich die Jungs an, die auf dem Weg zum Eingang der Bibliothek waren. Während Selim und Gençer an ihren Kippen zogen, liefen Mevlüt und Okan diskutierend neben ihnen her. „Morgen", sagten alle wie aus einem Mund und blieben vor der Tür stehen. Ich warf einen kurzen Blick zu Selim und forderte ihn wortlos auf, mir seine Kippe zu reichen, damit ich einmal daran ziehen konnte. Vorsichtig drehte sich dieser zu Okan und nachdem er bemerkte, dass dieser vertieft in die Diskussion mit Mevlüt war, reichte er sie mir zögernd.
Ohne dass Okan es gesehen hatte, hatte ich meine Seele für einen Atemzug befreit von dem Stress, und konnte nun erleichtert aufatmen.

Als wir an unserm Stammtisch saßen und wieder mal fleißig lernten, sah mich Okan mittendrin ernst an und brachte mich somit dazu, meinen Stift wegzulegen und ihn anzusehen.
„Ich habe gesehen, dass du geraucht hast", zischte er im Flüsterton und sah mich mit einem ernsten Blick an. „Na und?", lächelte ich provokativ und beugte mich wieder über meine Lernsachen. Ich hasste es, wenn er meinen Beschützer spielte. Ich war kein Kettenraucher, konnte dementsprechend nicht verstehen, warum er jedes Mal eine Welle daraus machen musste. Er wusste, dass ich gelegentlich mal an einer Kippe zog, aber mehr als ein Zug war in der Regel nicht drin. Natürlich kam es auch schon einige Male vor, dass ich eine komplette Stange rauchte, an manchen Tagen hatte ich auch ganze Schachteln geraucht. Aber solange ich meine Grenzen kannte, mich stoppen konnte und es nicht zur Gewohnheit wurde, sollte er es nicht an die große Glocke hängen. Ich hörte ihn nur noch leise fluchen und musste mir ein Lachen verkneifen.

„Alter, warum lernen wir so viel und können trotzdem nichts", heulte Selim rum, als wir am frühen Nachmittag die Bibliothek verließen. „Weil wir dumm sind", lachte Mevlüt und brachte uns anschließend alle zum Lachen, als er über eine Cola-Dose stolperte. Im letzten Moment hatte ich ihn abgestützt, damit er sein Gleichgewicht nicht verlor und so nicht Bekanntschaft mit dem Boden machen musste. Dankend sah er mich an und ich lächelte ihn nur brüderlich an. „Und somit hatte der Idiot seine These bestätigt", strahlte Gençer und grinste Mevlüt frech an. In den letzten Jahren hatten wir so viel miteinander erlebt. Sie hatten mich alle aufgebaut, hatten mir Halt gegeben, hatten mich vor jeder Klausurphase motiviert. Mevlüt war zwar ein Jahr später zu uns gestoßen, hatte sich aber schneller bei uns integriert, als ich es am Anfang getan hatte. Ich war eigentlich nur durch Okans Zwang in dieser Gruppe gelandet, war aber mehr als nur glücklich darüber, diese Jungs zu haben.

„Machen wir heute Abend was?", fragte Selim und sah uns bittend an. „Ihr könnt gerne vorbei kommen", bat ich ihnen an und sofort war zustimmendes Gemurmel zu hören.

Um Sieben rum tauchten die Jungs hintereinander auf, jeder vollbepackt mit Essen oder Getränken. Als letzter stoß Okan zu uns und die Lustlosigkeit war in sein Gesicht geschrieben. „Was ist los, Bruder", fing ich ihn ab, bevor er mein Wohnzimmer betreten konnte. „Ach, ich habe ein schlechtes Gefühl in mir", murmelte er vor sich hin und ließ mich hinter sich stehen, während er durch die offene Tür in meine schwarz-weiße Welt trat. Stumm folgte ich ihm und beobachtete, wie er jeden einzelnen mit einem Handschlag begrüßte und sich anschließend neben Mevlüt auf der Couch niederließ.
Mit Tee, Shisha, Fifa, Pizza und jeder Menge Gesprächsstoff ließen wir den Abend ausklingen und genossen die gemeinsame Zeit.
Immer wieder erwischte ich mich dabei, wie ich mitten in den Gesprächen auf Fatihs Bild starrte. Und genauso oft, spürte ich Okans Blicke auf mir. Ich wusste, dass sich seine Augenbrauen kritisch zusammenzogen, auch wenn ich ihn in diesen Momenten nicht ansah.
Ich wusste, dass er sich selbst die Schuld gab, weil er gestern das Thema angesprochen hatte. Ich wusste, dass er dachte, dass er der Grund für meine Gefühlslage war. Unwissend, dass es mir täglich so ging, dass jeder Tag in meinem Leben so gestaltet war.

Fels in der BrandungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt