ZÜMRA
„Späte Freuden sind die schönsten; sie stehen zwischen entschwundener Sehnsucht und kommendem Frieden."
Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach
„Anne? Kannst du mir morgen zeigen, wie man Lahmacun macht? Ich brauche ein komplettes Rezept", ich blickte meine Mutter an, mit der wir seit meiner Ankunft vor einer knappen Stunde im Wohnzimmer saßen und Tee tranken. „Natürlich, aber wieso?", sie grinste mich wissend an — mir war klar, dass sie spürte, dass bei mir etwas anders war.
Obwohl ich es mir nicht selbst eingestehen wollte, lag die Tatsache, dass ich Azad mochte, auf der Hand. „Azad, also mein Nachbar", fing ich an und wurde direkt von ihr unterbrochen. „Ist das der, der dir auch den Job besorgt hat?", stellte sie ihre Frage und umklammerte das bauchige Teeglas mit ihren langen und schmalen Fingern. „Ja genau", ich nickte zustimmend und fuhr fort. „Er hat am Sonntag Geburtstag und da möchte ich ihn damit überraschen", erklärte ich ihr und konnte sehen, wie sie ihre linke Braue kritisch in die Höhe zog.
„Bis zu dem Tod seiner Großeltern hatten sie das Ritual, dass seine Oma ihm an seinem Geburtstag Lahmacun, Gözleme und Schokoladenkuchen machte. Ich möchte mich damit einfach bei ihm für alles bedanken", ich zuckte mit den Achseln, während ich laut seufzte. Die Mundwinkel meiner Mutter, sanken mit meinen Worten und ihre Augen füllten sich mit Tränen — der Tod würde immer ein sensibles Thema in unserer Familie bleiben. „Und seine Mutter? Sie führt diese Tradition nicht weiter?", sie fragte vorsichtig nach, als würde sie merken, dass sie sich mit dieser Frage auf brüchigem Eis befand. „Seine Eltern haben ihn... abgestoßen?", das Wort klang so grausam, doch war die Tat seiner Eltern genau das: eine Grausamkeit. „Weißt du wieso?", meine Mutter schien interessiert an dem Jungen zu sein, von dem ich immer wieder erzählt hatte. Nachdem ich kurz nickte, setzte ich zum Sprechen an: „Nicht alles, aber einen Grund kenne ich. Er hatte einen sehr guten Abitur-Schnitt und seine Eltern haben ihn versucht zu einem Medizinstudium zu drängen — sie sind nämlich beide Ärzte. Er hat sich gegen sie gestellt und studiert jetzt Maschinenbau, er ist im letzten Jahr seines Masters. Aber er meinte, dass die ganzen Streitigkeiten bereits mit 16 Jahren angefangen hatten, er hat mir keinen Grund genannt, aber es ging wohl immer darum, dass sie seine Entscheidungen nicht akzeptieren wollten", hielt ich einen Monolog, der länger als geplant wurde.
„Dann ist der junge Mann wohl seinem Namen gerecht", grinste meine Mutter und spielte auf die Bedeutung seines Namen an. „Das ist er", lachte ich und erinnerte mich an den Tag der Verlobung seines besten Freundes. „Er hatte mal einen Anzug an und hat direkt gemeint, dass er sich darin seiner Freiheit beraubt vorkommt", auf meine Worte hin fing meine Mutter laut an zu lachen und wischte sich die imaginären Tränen von der Wange. „Das hört sich auf jeden Fall nach einem freien Menschen an", grinste sie schließlich und blickte tief in meine Augen. Aus Angst, sie könnte etwas tiefgründiges in ihnen erkennen, stand ich auf und lief in die Küche um die Teekanne zu holen, um uns Tee nachzuschenken.
„Oh das riecht nach einem Festmahl", Halils Stimme erfüllte die Küche, in der wir mit meiner Mutter standen und die Lahmacuns zubereiteten. Grinsend wendete ich mich zu ihm, lief einige Schritte auf ihn zu und legte meine Arme um seinen Nacken. Er zog mich dicht zu sich und vergaß wohl, dass meine Kleidung mehlübersät war. Seine Nase drückte er gegen meine Halsbeuge und atmete einige male tief ein und aus. „Wie kann ein Mensch trotz Essengeruch so einen dominanten Eigengeruch haben?", kopfschüttelnd löste er die innige Umarmung, nur um mir einen langen Kuss auf die Stirn zu drücken. „Tükettin kızı (Du hast das Mädchen aufgebraucht)", rief Ibrahim und betrat ebenfalls die Küche. Tadelnd blickte er seinen Zwilling an, schubste ihn einen Schritt zur Seite und umklammerte meinen Oberkörper. „Schön, dass du hier bist", flüsterte er dicht an meinem Ohr und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Platz da", ertönte plötzlich Mirzas Stimme und Ibrahim wurde gewaltvoll von mir gerissen. „Das war nicht nett", kritisch blickte ich in die grünbraunen Augen von Mirza. „Echt mal, du Tier", rief Ibrahim entsetzt und warf Mirza einen angepissten Blick zu. „Seit wann bin ich nett?", lachte er und umarmte mich. „Ich habe letztens Beyda getroffen", flüsterte ich ins Ohr meines Bruders und spürte seine Muskeln, die sich mit dem erwähnen ihres Namens anspannten. „Ach geh zur Seite", rief Fatih und schob seinen Bruder, der wie erstarrt vor mir stehengeblieben war, zur Seite, um mich in eine Umarmung zu ziehen. „Özlemişim seni (Ich habe dich vermisst)", sprach Fatih und ich umarmte ihn fester.
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Fels in der Brandung
Genç KurguZwei zerstörte Seelen, die aufeinandertreffen. Die sich gegenseitig heilen. Zümra und Azad. Man sagt Liebe sei das Aufeinandertreffen von zwei Seelen, die gegenseitig all ihre guten und schlechten Seiten akzeptieren und bereit sind alles füreinander...