31. Kleiner Mann

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ZÜMRA

„It is easier to build strong children than to repair broken men."

Frederick Douglass

Es waren zehn Minuten vergangen, seitdem Azad mir freudig mitgeteilt hatte, dass ich die Stelle als Werkstudentin bei Daimler hatte. Zehn Minuten, in denen ich einfach nur vor mich hin gelacht hatte und mein Glück nicht fassen konnte. Ich sollte morgen zum Unterzeichnen des Vertrags vorbeischauen und anschließend wäre ich im Bereich Kühlung- und Kühlwasser-Entwicklung für dieses Semester eingestellt.

„Madame", grinste mich Okan vom Nachbarbalkon an, als ich meinen betrat und überrascht blickte ich den Jungen mit den Schlitzaugen an. „Ich dachte Azad kommt erst am Abend?", ich zog meine Stirn in Falten und brachte ihn zum Grinsen. „Kommt er auch. Ich habe seit einigen Tagen seinen Ersatzschlüssel, und da mich meine wundervollen Schwestern aus dem Haus geworfen haben, war das meine einzige Alternative", er zuckte mit den Schultern und lachte leise vor sich hin.

„Hast du Hunger?", ich lächelte Okan an, und überlegte, was ich auf die Schnelle kochen könnte. „Immer", er lachte herzlich und legte seinen Kopf schief. „Aber ich warte noch auf Azad, er müsste in eineinhalb Stunden da sein", ergänzte er seinen Satz und lehnte sich an das Gelände. „Ich muss sowieso noch kochen, aber wir können dann gemeinsam essen, wenn Azad nachhause kommt", grinste ich und lief in meine Wohnung.

Vor meinem Kühlschrank kam ich zum Stehen und überlegte intensiv, was ich kochen könnte. Ich durchstöberte die Tiefkühltruhe und ergriff die Packung Mantı, die mir meine Mutter bei meinem letzten Besuch mitgegeben hatte. Während ich Wasser zum Kochen aufsetzte, bereitete ich die Tomatensauce für die gefüllten Teigtaschen vor.

Eine knappe Stunde später klingelte es an meiner Tür und Okan strahlte mich an, während Azad an die Decke starrte. „Kommt doch rein", bat ich also die beiden Herren rein und bekam Azads schönes Lächeln einige Sekunden später zu sehen. „Du hättest uns nicht einladen müssen", mein Nachbar legte seinen Kopf schief und sah mich erschöpft an. „Ich tue es gerne", ich zuckte mit den Achseln und trat einen Schritt zur Seite, damit er in aller Ruhe reintreten konnte.

„Du bist nicht zufällig Köchin?", Okan legte seinen Löffel nach seiner dritten Portion der Teigtaschen zur Seite. „Nein, nicht wirklich. Ich hatte aber eine gute Lehrerin", ich musste bei dem Gedanken an meine Mutter schmunzeln. „Ich würde gerne die Hände deiner Mutter küssen", grinste Okan und brachte Azad zum Lachen. Zum ersten Mal heute Abend, schien er sein Gehirn abzuschalten und legte all seine Bedenken zur Seite. „Gott sei Dank", flüsterte Okan auf das Lachen seines besten Freundes kaum hörbar gen Himmel und sorgte für ein erleichtertes Lächeln meinerseits.

„Ich hätte auch eine Nachspeise da", bat ich meinen Gästen an, die inzwischen im Wohnzimmer Platz genommen hatte, und konnte Okans leuchtende Augen nur als eine stumme Bitte annehmen. So stellte ich mich grinsend an die Kaffeemaschine, während ich drei Teller mit Kuchen füllte. Nachdem alles auf einem Tablett platziert war, lief ich die wenigen Schritte ins Wohnzimmer und stellte die Sachen auf dem Couchtisch ab.
„Wir sollten dich mit einem der Jungs verheiraten, dann haben wir ein Leben lang etwas von deinen Kochkünsten", Okans Worte brachten mich zum Lachen und ich schüttelte mit dem Kopf. „Okan", Azads warnende Stimme und sein darauffolgender Blick waren mir unangenehm. „Was denn?", provozierend grinste Okan Azad an und ich versuchte zu verstehen, was zwischen den beiden Männern vor sich ging.

Stumm studierte ich Azads Profil, die dunkelbraunen Haare fielen ihn seit seinem Friseurbesuch nicht mehr in die Stirn, sodass er seinen Kopf auch ohne Cap ungestört senken konnte. Trotz der kurzen Haare machten sich kleine Löckchen bemerkbar, weswegen er trotz seiner strengen Gesichtszüge eine kindliche Ausstrahlung hatte. Sein gekürzter Bart ließ ihn wesentlich jünger aussehen, als der Vollbart. Die hohen Wangenknochen gaben seinem länglichen Gesicht das gewisse etwas, während die braunen mandelförmigen Augen mit den dichten und langen Wimpern seinen Blick weicher wirken ließen.

Fels in der BrandungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt