BILAL
„Man sagt, dass Menschen ihren Tod spüren. Dass sie kurz zuvor Bescheid wissen, dass es soweit ist. Vielleicht ist es eine Gnade Gottes, damit wir Abschied nehmen können und vielleicht noch gewisse Fehler ausbessern können."
Verâ (hayalimdin1905 )
„Los, lass uns deine Präsentation nochmal durchgehen", Zümra setzte sich im Schneidersitz auf mein Bett und lächelte mich breit an. Nickend startete ich die PowerPoint Präsentation und stellte mich neben meinen Schreibtisch, auf dem mein Laptop stand.
Wie als wäre ich gerade in meiner Verteidigung, stellte ich meine Präsentation vor und erklärte meine Bachelorarbeit.„Verdammt, Bilal, du hast das alles so gut drauf! Du wirst das Ding übermorgen rocken!", rief meine Milchschwester euphorisch und klatschte sich in die Hände. Seit Mevlüts Abgang und Esras linker Aktion hatte ich sie zum ersten Mal so glücklich erlebt, weswegen ich ein breites Lächeln nicht verhindern konnte. „Magst du einen Kaffee trinken?", fragte ich Zümra und machte mich bereits nach der rhetorischen Frage auf den Weg zu meiner Zimmertür. „Wollen wir die anderen auch rufen? Mirza ist schließlich auch schon von seiner Verteidigung zurück ", sie ließ sich rückwärts aufs Bett fallen und brachte mich zum Lachen — ihre Verteidigung war auch richtig gut gelaufen, weswegen sie so erleichtert war. „Machst du das eben? Ich starte dann schon mal die Kaffeemaschine damit wir einige Kaffees fertig haben, bis die kommen", ich zuckte mit den Achseln und sah ihr dabei zu, wie sie aufgeregt auf ihrem Handy tippte, bis plötzlich eine Nachricht in unserer Gruppe ankam.
Nach zehn Minuten trotteten die Jungs nacheinander in unser Haus und betraten unsere große Küche, in der ich vor der Kaffeemaschine stand und uns das heilige Gebräu vorbereitete. „Wir müssten noch Kuchen von gestern haben, ich schaue mal kurz nach", ließ Zümra uns wissen und verschwand durch die Haustür. „Bist du vorbereitet?", lächelte Halil und stellte sich neben mich. Mit einem Nicken bestätigte ich ihm seine Frage und er nickte zufrieden. Inzwischen hatten alle ihre Kolloquien hinter sich bis auf mich, aber zu meiner Befreiung waren es schließlich auch nur noch zwei Tage, die zweifellos schnell verstreichen würden.
Einige stille Minuten später kam Zümra grinsend mit einem halben Kuchen die Treppen herunter — vermutlich war sie von ihrem Zimmer aus in meins getreten.
„Wie sind so integriert alter, Kaffee und Kuchen statt çay und çekirdek (Tee und Sonnenblumenkerne)", grinste Mirza und griff nach einem Teller mit Kuchen und brachte uns alle zum Lachen — der Junge hatte ohne Zweifel einen Dachschaden.
Langsam ließ ich meine Blicke über meine Geschwister gleiten, spürte wie sich etwas in mir zusammenzog. Irgendetwas sagte mir, dass es das letzte Mal war, dass wir beisammen saßen.
Um diesem negativen Gefühl nicht die Oberhand zu lassen, sang ich ein freudiges kurdisches Lied und brachte die Zwillinge dazu zu dem Lied zu tanzen. Lachend betrachteten wir sie dabei und genossen die gemeinsame Zeit.Seit einer Stunde waren die Jungs weg und auch Zümra war vorhin in ihr Zimmer gegangen. Seufzend schlenderte ich zu meinem Schreibtisch und ließ mich auf meinem Stuhl nieder. Aus einer Schublade suchte ich Papier und einen Briefumschlag raus und setzte meinen Stift an.
„Zümra, mein Seelenspiegel,
Ich schreibe dir diese Zeilen, weil ich das Gefühl habe, dass in den nächsten Tagen etwas unerwartetes, etwas negatives passieren wird", ich seufzte schwer und fuhr mir mit meiner linken Hand übers Gesicht, während meine rechte Hand verkrampft versuchte den Stift festzuhalten.
„Etwas in mir sagt, dass mein Leben langsam aber sicher ein Ende nehmen wird. Ich werde mit Enes reden und dafür sorgen, dass du das alles nur dann zu lesen bekommst, falls es wirklich der Fall sein sollte", ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen und versuchte sie zu unterdrücken.
„Es tut mir leid, dass es Enes sein wird, der dir diesen Brief übergibt. Dilêmin (mein Herz), mein Ein und Alles, falls ich wirklich von euch gehen sollte, bitte versink nicht in Trauer. Sei für unsere Familien, aber vor allem für dich selber stark! Ich weiß, ich kann leicht reden — ich würde wahrscheinlich auch in meiner Trauer untergehen, wenn einem von euch etwas passieren würde — aber versuch meine Bitte, wenn auch nur ansatzweise, in die Tat umzusetzen", mein Stift protestierte, die Worte in meinem Kopf stellten sich gegen mich — es fühlte sich so falsch an diesen Brief zu schreiben.
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Fels in der Brandung
Roman pour AdolescentsZwei zerstörte Seelen, die aufeinandertreffen. Die sich gegenseitig heilen. Zümra und Azad. Man sagt Liebe sei das Aufeinandertreffen von zwei Seelen, die gegenseitig all ihre guten und schlechten Seiten akzeptieren und bereit sind alles füreinander...